Im Wembley-Stadion laufen in dieser Woche die Halbfinalspiele der Fußball-Europameisterschaft – vor jeweils 60.000 Zuschauern. Für unseren Autor ist das eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen.

© Foto: unplash/ Mitch Rosen

Noch auf den Gräbern der Corona-Opfer pfeift die Uefa das nächste Spiel an

rnMeinung

Dienstag läuft das erste Halbfinale der Fußball-EM in London. Mittwoch das zweite. Vor je 60.000 Zuschauern. Unser Autor meint: Ein Skandal, der zeigt, wer es wirklich zu sagen hat in Europa.

NRW

, 06.07.2021, 09:15 Uhr / Lesedauer: 2 min

Seit einigen Wochen breitet sich die Delta-Variante des Coronavirus in Großbritannien schneller aus als die Kunde von Freibier in einem englischen Pub. Großbritannien, im Frühjahr noch Musterknabe bei der Pandemie-Bekämpfung, ist zum Hotspot geworden.

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Aktuell liegt die 7-Tages-Inzidenz bei mehr als 250. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie bei 4,8. Und exakt in dieser Lage werden jeweils mehr als 60.000 Menschen im Wembley-Stadion sein, Küsschen hier, Küsschen da. Sie werden singen, schreien, sich umarmen, sich abklatschen und eben all das tun, was es der hochansteckenden Virus-Variante leichter macht, sich munter zu verbreiten. Ein perfektes Wohlfühlklima für ein Schreckensszenario.

Absurde Entscheidung im Hochrisikogebiet

Die Entscheidung, so viele Zuschauer – wie zuvor schon in anderen Stadien dieser EM – in einem Hochrisikogebiet zuzulassen, ist mir absolut unerklärlich, geradezu absurd. Wir diskutieren, ob Schülerinnen und Schüler nach den Ferien im Unterricht auch an ihrem Platz noch eine Maske tragen müssen, müssen beim Essen im Restaurant unsere Adresse hinterlegen.

Beim Bäcker ernte ich böse Blicke, wenn ich nur zwei und nicht vier Meter Abstand zum Vordermann halte. Und im Bus musste ich mich gerade erst von einer Frau übel anraunzen lassen, weil meine Maske halb von der Nase gerutscht war. Halb, nicht ganz, auf meinem festen Sitzplatz, wohlgemerkt. Und in London? Da wird getan, als gäbe es kein Corona. Nach uns die Sintflut. Pfeif auf das Virus, pfeif auf die möglichen Schwerkranken und Toten. Noch auf den Gräbern der Corona-Opfer pfeift die Uefa das nächste Spiel an. Unfassbar.

Wer hat eigentlich noch die Macht in Europa? Wieso stoppen die Regierungen nicht diesen Wahnsinn? Welche Politikerin, welcher Politiker kann denn jetzt noch irgendjemanden ernsthaft dazu ermahnen, die Hygienevorschriften einzuhalten und Vorsicht walten zu lassen, wenn er der Uefa ein so verantwortungsloses Verhalten durchgehen lässt? Warum kann die Uefa überhaupt entscheiden, wer reindarf ins Stadion und wer nicht?

Wer entscheidet in Europa eigentlich noch?

Wer hat das Sagen in unseren Ländern, in Europa? Die gewählten Regierungen sind es offenbar – zumindest, wenn es um Fußball-Events geht – nicht, sondern es ist die Uefa. Mit welchem Recht? Mit welchem Mandat? Ich kann nicht erkennen, dass es für ein solches Handeln auch nur die geringste Legitimation gibt.

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Ich liebe Fußball, ich liebe den Besuch in einem proppevollen Stadion, ich liebe das Gedränge, die Fangesänge, das Bier, die Bratwurst, die glücklichen und tragischen Momente auf dem Rasen, aber: Ich liebe auch das Leben und das meiner Familie, meiner Verwandten, Freunde und Bekannten.

Angst und Wut

Die Uefa setzt dieses Leben aufs Spiel. Und die Uefa gefährdet obendrein die vorsichtig und in kleinen Schritten wieder zurückkehrende Normalität, nach der wir uns alle so sehr gesehnt haben. Ich habe Angst vor der Nachspielzeit dieser EM und ich habe eine fürchterliche Wut auf die Uefa und all die, die sie gewähren lassen.

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