Was macht ein kluger Regisseur, wenn er eine Minimal-Music-Oper inszeniert? – Er bietet maximalen Pomp und Aktion auf der Bühne.
Martin G. Berger, 2020 mit dem wichtigsten Theaterpreis in den Deutschland, dem „Faust“, ausgezeichnet, ist so ein kluger Regisseur. Im Dortmunder Opernhaus brachte er am Sonntag mit der Premiere seiner bilderprallen Inszenierung von John Adams‘ Oper „Nixon in China“ zum Staunen.
Musikalisch herausragend
Ist das 1987 uraufgeführte Werk, das Peter Sellars dem amerikanischen Komponisten zur Vertonung empfahl, also mehr ein Fest für die Augen als für die Ohren?
In Dortmund ganz klar: Nein. Olivia Lee-Gundermann macht den Dreiakter am Pult der Dortmunder Philharmoniker zum Ereignis. Mit gestochen scharfer Präzision arbeitet sie die klare Rhythmik der Oper heraus, hält Orchester und den Riesenchor (Opern- und Extrachor) zusammen und führt die Solisten sicher durch das Werk. – Eine Top-Leistung der jungen Kapellmeisterin.

110 Mitwirkende, 450 Kostüme
„Nixon in China“ erinnert an Bernstein und Strawinsky und schreit nach großem Ballett. Auch das liefert Dortmund und gibt dem NRW-Juniorballett und dem Seniorentanztheater durchgängig eine Bühne (Choreografie: Gabriele Bruschi).
110 Mitwirkende gibt es in der Inszenierung, mehr als 450 prächtige Kostüme (Alexander Djurkov Houter).
Viele fantasievolle Einfälle
Berger bietet fast drei Stunden mehr als zwei Augen sehen können (auch starke Videos: Vincent Stefan). Lediglich am Schluss des dritten Akts zieht sich die Oper; da mäandert auch die Musik etwas vor sich hin, da hätte eine Kürzung gut getan.
Vorher bringen viele fantasievolle Einfälle Staunen.
Die braucht die Oper auch, denn die Handlung ist nicht besonders aufregend, und der Anlass, der Besuch von US-Präsident Richard Nixon 1972 bei Mao Tse-tung in China, ist nicht das wichtigste Ereignis der Weltgeschichte. Obwohl Adams den Besuch für bedeutender als die Mondlandung hielt.
Ein Jahrmarkt der Bilder
Berger entführt im ersten Akt in eine rote China-Vergnügungspark-Welt (Bühne: Sarah-Katharina Karl), zeigt einen Jahrmarkt der Bilder, der an Broadway-Revuen erinnert. Der zweite Akt ist der Frauen-Akt.
Er handelt vom Vergnügungsprogramm, das First Lady Pat Nixon für die Politiker-Gattinnen organisiert. Da geht‘s auch (auf einem Elefanten) in eine Candy-Fabrik. Der Kontrast zur Zuckerguss- und Filmdiven-Welt sind die Szenen, die brutal von Ausbeutung und Gewalt an Frauen erzählen.
Prominenz im Seniorenheim
Der dritte Akt ist ein Humor-Coup: In der Oper blicken Nixon und Mao auf ihre Zeit zurück. Berger lässt Legenden der Geschichte in einem Altersheim aufmarschieren.
Das Ehepaar Honecker, der Papst, Maggie Thatcher, Che Guevara und viele andere hocken da beim Tee, schieben Rollatoren zur Seite, springen aus dem Rollstuhl und tanzen – Surreal, aber lustig.
Großartige Solisten
Musikalisch ist das Treffen der beiden Staatsmänner ein Sänger-Heldentreffen: Bariton Petr Sokolov singt einen starken Nixon; Tenor Alfred Kim ist ein überragender Mao.
Und die Premiere war auch der Entdeckungs-Abend von Daegyun Jeong, einem jungen Bariton aus dem NRW-Opernstudio, der dem chinesischen Premierminister En-lai Riesen-Präsenz gibt. Morgan Moody hat als Henry Kissinger eine kleine Rolle; auch Irina Simmes singt als Pat Nixon die Partie, die undankbarer ist als die von Madame Mao, die Hye Jung Lee höhensicher großartig ausfüllt.
Das beste Opernhaus
Und auch das zeichnet ein „Opernhaus des Jahres“ aus: Dass Intendant Heribert Germeshausen auch Produktionen, die keine Kassenschlager sind, groß und opulent macht – obwohl die Premiere 74 Prozent Auslastung hatte.
Im Publikum saßen auch internationale Gäste, die schon für die Gala der „Oper! Awards“ Montagabend angereist waren. Sie sahen, wie leistungsfähig die Oper Dortmund ist und wie verdient der Titel „Bestes Opernhaus“ ist.
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