Wirksame Mittel gegen Fachkräftemangel Nicht mit 67 in Rente, Pflichtlehre für Jugendliche

Nicht mit 67 in Rente, Ausbildungsflicht für Jugendliche: Wirksame Mittel gegen Fachkräftemangel
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Ulrich Breulmann

Was ist nur los mit Deutschland? Nein, ich meine nicht den Untergang des deutschen Fußballs. Erst die Männer, jetzt die Frauen. Nein, es geht um unsere Wirtschaft. Wenn die lahmt, hat das schlimme Folgen. Dann fehlt Geld für Schulen und Unis, für Schienen und Straßen, für Kitas, Krankenhäuser und Pflegeheime, für Soziales. Kurzum: für die Wohlstands-Gesellschaft, wie wir sie kennen.

Die Alarmsignale sind unüberhörbar. So die Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds für 2023: Von den USA bis Japan, von China bis Indien, von Frankreich bis Großbritannien – alle wachsen. Selbst Russland wächst – trotz Kriegs! Deutschlands Wirtschaftsleistung aber schrumpft, um 0,3 Prozent. Ein Land auf Talfahrt.

Drei wichtige Faktoren für den Niedergang

Wer Ursachen sucht, stößt rasch auf mindestens drei Faktoren: Teure Energie, überbordende Bürokratie und massiver Fachkräftemangel. Konzentrieren wir uns heute auf den letzten Punkt.

In der Frühsommer-Umfrage der Industrie- und Handelskammern nennen die Firmen als größte Geschäftsrisiken die hohen Energiekosten (65 Prozent) und den Fachkräftemangel (62 Prozent).

Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte erst vor ein paar Wochen diese Einschätzung: Die Zahl der Berufe mit eklatantem Fachkräftemangel sei innerhalb eines Jahres von 148 auf 200 gestiegen. Was ist zu tun, um diese fatale Entwicklung zu stoppen? Dazu drei Gedanken.

Christian Lindner und seine „Stilllegungspläne“

1. FDP-Chef Christian Lindner nannte jüngst die „Rente mit 63“ einen großen Fehler und sprach von einer „Stilllegungsprämie“. Das ist sicher despektierlich ausgedrückt und unpopulär sowieso, aber ist der Gedanke dahinter deshalb schon falsch?

Wer sich heute dem 60. Geburtstag nähert, macht eine ganz besondere Erfahrung. Immer häufiger wird er mit der Frage konfrontiert: „Und, wie lange machst du noch?“ Unterschwellig schwingt in dieser Frage die Einschätzung mit: Früher aus dem Job auszusteigen, ist gut. Länger als unbedingt nötig zu arbeiten, ist schlecht.

In Japan ist das völlig anders, wie die ZEIT schreibt. Dort arbeiten die Menschen im Schnitt fünf bis sieben Jahre über das gesetzliche Rentenalter hinaus. Nicht nur, weil die Renten niedriger sind als bei uns, sondern vor allem, weil es als ehrenwert gilt. Die „Oldies“ ernten Respekt statt Stirnrunzeln wie bei uns.

Um nicht missverstanden zu werden: Das ist kein Plädoyer dafür, das gesetzliche Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen – schon die Anhebung auf 67 Jahre ist oft ja nur eine De-Facto-Rentenkürzung. Und bestimmte Arbeitsplätze sind schon für 60-, 65- oder gar 67-Jährige eine Zumutung und blanke Überforderung. Aber das trifft eben nicht für alle zu.

In Deutschland hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den vergangenen 60 Jahren von 70 auf 82 Jahre erhöht. Eine ganze Reihe von 67-Jährigen sind heute fitter, als es viele Menschen in den 1970er Jahren mit Mitte 50 waren.

Wäre es daher nicht sinnvoll, Anreize zu schaffen, dass Menschen, die das gesundheitlich könnten, auch länger arbeiten wollen? Anreize, die für Arbeitgeber und Arbeitgeber gleichermaßen profitabel sind? Brauchen wir zudem nicht einen schärferen Blick und eine größere Wertschätzung für das, was Ältere an Erfahrung, Wissen, Leistungsbereitschaft in einen Betrieb einbringen und weitergeben können?

Warum Österreich ein gutes Beispiel für uns sein kann

2. Derzeit sind 228.000 Lehrstellen in Deutschland nicht besetzt, 117.000 Jugendliche haben noch keinen Ausbildungsplatz. Eine extrem tiefe Kluft. Warum lernen wir nicht beispielsweise von Österreich? Sonja Schmöckel, Referatsleiterin im österreichischen Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, erzählte mir, wie man dort vorgeht. Da gibt es neben der Schulpflicht von 9 Jahren eine Bildungs- und Ausbildungspflicht, bis man 18 ist. Wer nach der Schule keine weiterführende Schule besuchen, sondern eine Lehre starten möchte, bekommt vom Staat einen Ausbildungsplatz garantiert.

Wer nach der Schule selbst keine Lehrstelle findet, muss ein zehnwöchiges Berufsvorbereitungs-Training absolvieren. Dort schaue man, sagt Sonja Schmöckel, warum jemand nichts gefunden hat, schreibe Bewerbungen, lote Alternativen zum Traumberuf aus. Zudem versuche man, schulische Defizite aufzuarbeiten. Erstes Ziel ist es, doch noch eine betriebliche Lehrstelle zu finden. Gelingt das nicht, erhält der Jugendliche eine überbetriebliche Ausbildung. Vom Radar kann kein Jugendlicher verschwinden. Es gibt eine Meldepflicht.

Und was ist mit den 2,6 Millionen Arbeitslosen?

3. Und was ist mit unseren 2,6 Millionen Arbeitslosen, diesem riesigen, brach liegenden Reservoir? 2005 gab es 4,9 Millionen Arbeitslose, die Bundesagentur für Arbeit zählte 90.645 Beschäftigte. Heute haben wir 2,3 Millionen Arbeitslose weniger, aber die Arbeitsagentur hat rund 10.000 Mitarbeiter mehr. Mit so viel Manpower muss es doch zu schaffen sein, mehr Arbeitslose als bisher zurück in Lohn und Brot zu bringen. Warum gelingt das nicht?

Vielleicht geht die Phase, in der viele schon von der 4-Tage-Woche träumten und die Work-Life-Balance den Fleiß als deutsche Tugend abgelöst hat, wieder zu Ende. Möglicherweise ein schmerzhafter, gleichwohl notwendiger Prozess, um in einer globalisierten Welt im Spiel zu bleiben. Und eben nicht in der Vorrunde zu scheitern, wie unsere Fußballerinnen und Fußballer.

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