
Jorge Mario Bergoglio war zwar als Papst Franziskus die Nummer eins im Vatikan, aber eigentlich war er dort völlig fehl am Platz. Er ging lieber in ein Flüchtlingscamp, in Gefängnisse oder in ein Armenviertel, aß lieber in der Kantine als an den Tischen der Reichen und Mächtigen, sprach lieber mit der Putzfrau, als Staatsoberhäupter und Wichtigtuer aller Arten zu empfangen.
Er verachtete Punk und Protz, fuhr im kleinsten Fiat statt im dicken Benz, wohnte in einem 2-Zimmer-Apartment statt im Päpstlichen Palast, trug einfache schwarze Schuhe statt handgefertigter roter Papst-Treter. Was er von den priesterlichen Hochwürden hielt, hat er mehr als einmal klargestellt.
Am deutlichsten wurde er in seiner Ansprache an die Spitzen der römischen Kurie kurz vor Weihnachten 2014. Dabei prangerte er 15 Fehl-Einstellungen an, die sich ändern müssten. Er sagte unter anderem: „Eine Kurie, die sich nicht selbst kritisiert, (...) ist ein kranker Körper“. „Es ist gefährlich, diese menschliche Empfindsamkeit zu verlieren, die einen mit denen weinen lässt, die weinen, und mit denen feiern lässt, die fröhlich sind“. Er sprach von „spirituellem Alzheimer“ und geißelte Prahlerei: „Wenn das eigene Aussehen, die Farbe der Gewänder oder Ehrentitel zu den wichtigsten Zielen im Leben werden“.
Er sprach vom „Terror des Geschwätzes“: „Das ist die Krankheit von Feiglingen, die nicht den Mut haben, direkt zu sprechen, sondern nur hinter dem Rücken von Leuten“. Er kritisierte Schmeichler: „Das ist die Krankheit jener, die ihre Vorgesetzten hofieren und dafür auf deren Wohlwollen hoffen.“
Selbstverständlich hat Franziskus mit einer solchen Fundamentalkritik innerhalb der Kurie wenig Freunde gewonnen. Bei den einfachen Menschen dagegen traf er den Nerv. Sicherlich handelte er, dem Eitelkeit fremd war, nicht aus Effekthascherei, sondern aus tiefster Überzeugung. Er wollte mit jeder Faser seines Redens und Handelns die einfache Botschaft des jüdischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth leben und verkünden.
Jesus sprach zu einfachen Menschen in einfachen Worten. Seine engsten Vertrauten waren Fischer, ein Bauer, ein Zöllner, einfache Leute, keine Gelehrten, nicht die Mächtigen, Reichen dieser Welt. Gegen die religiösen Würdenträger seiner Zeit wetterte Jesus, brandmarkte sie als Heuchler. Diesem Jesus der kleinen Leute wollte Franziskus nachfolgen.
Und dann sah Franziskus die Kirche, der er selbst vorstand. Die langen Reihen von Männern in aus der Zeit gefallenen Gewändern. Eine Kirche, die mit ihren Traditionen, selbst geschaffenen Regeln und Gesetzen in Jahrhunderten an vielen Stellen die Botschaft Jesus so weit zugeschüttet hat, dass viele ihren Kern heute kaum mehr erkennen. Viele haben sich enttäuscht – nicht von der Botschaft Jesu, aber von dieser Kirche – abgewandt.

Franziskus hat versucht, die Kirche möglichst nahe zum Kern der Botschaft zurückzuführen. Das mag ihm gerade mit der ein oder anderen Geste gelungen sein, aber letztlich blieb er in der Kurie ein Einzelkämpfer im Namen des Herrn.
Deutschland ist nicht das Zentrum der Kirche. Es wäre vermessen, zu fordern, dass sich Weltkirche und Papst nach deutschen Bedürfnissen und Forderungen ausrichten. Umgekehrt gilt: Was für die Philippinen oder in Kolumbien angemessen und gut ist, könnte für die deutsche Kirche fatal sein.
Franziskus hat mit vielen Traditionen gebrochen, ein Revoluzzer aber war er nicht. Das mag man bedauern, aber er hat immer auch die Gefahr einer neuerlichen Spaltung der Kirche gesehen zwischen jenen, die auf Reformen drängen, und jenen, die sie fürchten. Zur Spaltung ist es zwar nicht gekommen, zerrissen ist die Kirche gleichwohl.
Wer auch immer als Papst das Erbe von Franziskus antritt, es wird eine seiner heikelsten Aufgaben sein, die Weltkirche zusammenzuhalten. Dabei könnte ihm das 2. Vatikanische Konzil helfen, das vor mehr als 50 Jahren diesen Grundgedanken für die Kirche der Zukunft formuliert hat: Weltkirche als „Einheit in Vielfalt“. Das könnte bedeuten, dass die Weltkirche die vielen Kulturen, Sprachen und Traditionen ihrer Gläubigen nicht nur toleriert, sondern fördert, solange nur der Kern des Glaubens gewahrt bleibt. Wer das zu Ende denkt, dem öffnet sich ein großes Fenster für Toleranz.
Wenn es etwa für die Kirche bei uns gut wäre, dass Frauen die Priesterweihe empfangen oder Priester heiraten dürfen, spräche nichts dagegen, das zuzulassen. Es ist ja nicht wichtig, ob Mann oder Frau, verheiratet oder nicht, die frohe Botschaft verkündet und vorlebt, sondern dass es überhaupt geschieht.
Es wäre den Gläubigen in aller Welt zu wünschen, dass der Gedanke von der Einheit in Vielfalt mit einem neuen Papst (warum nicht eines Tages auch mit einer Päpstin?) an der Spitze mutiger und entschlossener als bisher in die Tat umgesetzt wird. Franziskus würde von oben sicher seinen Segen dazu geben.
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