Neue Studie zu Corona sorgt für Wirbel Unerwartete Reaktionen nach mehrfacher mRNA-Impfung

Neue Studie zu Corona sorgt für Wirbel: Unerwartete Reaktionen nach mehrfacher mRNA-Impfung
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Eine vor wenigen Wochen im renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte Studie zu Corona-Schutzimpfungen schlägt hohe Wellen. In dieser Studie berichten Forscher des Instituts für Klinische und Molekulare Virologie der Uni Erlangen-Nürnberg von einer überraschenden Entdeckung: Bei Menschen wurden nach der zweiten, verstärkt nach der dritten Corona-Schutzimpfung mit einem mRNA-Impfstoff vermehrt Antikörper gefunden, die man so nicht erwartet hätte. Diese Antikörper fanden sich auch bei Menschen, die sich nach der zweiten Impfung mit dem Coronavirus infiziert haben.

Jetzt gibt es viele Fragen: Was bedeuten die unerwarteten Antikörper? Was bewirken sie? Sind sie gefährlich? Schützen Impfungen mit mRNA dann weniger oder gar nicht mehr, wenn ich mich nach einer Mehrfachimpfung mit Corona infiziere? Und was sollte man jetzt tun? Die Impfungen mit mRNA-Impfungen stoppen? Impfgegner wittern einen Skandal und sprechen von einer „schockierenden Studie“.

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben wir den Seniorautor der Studie, Prof. Dr. Matthias Tenbusch, Virologe an der Uni Erlangen-Nürnberg, und Prof. Dr. Carsten Watzl , Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, gefragt. Das Fazit könnte man so umschreiben: „Nein, aber...“ Und: „Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen“, wie Prof. Watzl sagt. Das ist höchst vereinfacht ausgedrückt, die ganze Antwort ist kompliziert.

Der Schlüssel, das Schloss und das Kaugummi

Um zu verstehen, was die Studie genau aussagt, muss man zunächst wissen, wie eine Impfung wirkt. Dazu verweist Prof. Watzl auf den Aufbau des Antikörpers, der das Virus hindern soll, in die menschlichen Zellen einzudringen: „So ein Antikörper ist aufgebaut wie ein Y-Molekül. Mit den beiden oberen Enden des Y dockt der Antikörper an das Spike-Protein des Virus an. Damit fällt das Spike-Protein aus und das Virus wird am Eindringen in eine Zelle gehindert“, erklärt Watzl.

„Das können Sie sich so vorstellen: Wenn Sie Ihren Schlüssel mit Kaugummi zukleben, dann passt der auch nicht mehr ins Schloss rein. Und dieses Kaugummi ist letztlich der Antikörper, der Schlüssel ist das Spike-Protein, mit dem das Virus in die Zelle gelangt“, sagt Watzl. Diese neutralisierende Wirkung sei der erste und wichtigste Effekt der Antikörper bei einer Corona-Infektion.

Es geht um den zweiten Effekt des Antikörpers

So ein Antikörper hat aber nicht nur die beiden nach oben zeigenden Enden, sondern auch das Ende, das in der Y-Struktur nach unten zeigt. „Auch dieser gerade Teil ist wichtig, er löst einen zweiten Effekt aus. Und darin unterscheiden sich die Antikörper“, sagt Watzl.

Wenn wir von Antikörpern reden, handelt es sich ganz konkret um Immunglobulin (IgG), das sind bestimmte Eiweiße. Von diesen IgG gibt es verschiedene Klassen: 1,2, 3 und 4. „Alle vier Klassen“, sagt Watzl, „schaffen dieses Neutralisieren, auch IgG4, denn: Das Neutralisieren, das machen die beiden oberen Enden des Y.“

Überraschung: Plötzlich ist Immunglobulin der Klasse 4 da

In der Studie der Uni Erlangen-Nürnberg hat man nun festgestellt, dass nach einer ersten Impfung mit mRNA-Impfstoffen wie von Biontech oder Moderna IgG1 und 3 gebildet wurden, die das Virus wirkungsvoll bekämpfen. Nach der zweiten Impfung und noch einmal verstärkt nach der dritten Impfung oder einer nach der zweiten Impfung durchgemachten Corona-Infektion machten die Forscher eine unerwartete Entdeckung: „Wir haben in der Tat einen relativen Anstieg der Spike-spezifischen Antikörper gesehen, die der IgG4-Subklasse zugeordnet sind“, erläutert auf Anfrage unserer Redaktion Prof. Tenbusch, der die Studie maßgeblich begleitet hat.

Der Anteil der IgG4 an allen IgG lag zwischen 20 und 30 Prozent. 70 bis 80 Prozent der gebildeten Antikörper stammten also weiterhin aus der Klasse der IgG 1 und 3.

Warum stiftet die Entdeckung einer solchen Zunahme von IgG4-Antikörpern so große Unruhe? Zum einen, weil das nicht erwartet worden war und man so etwas von bisherigen, traditionellen Impfungen nicht kannte.

Zum anderen, weil sich IgG4 von den anderen IgG in einem Punkt unterscheidet. Zwar schirmt IgG4 mit den beiden nach oben weisenden Enden seines Y-Moleküls Viren genauso gut gegen das Coronavirus ab wie die anderen IgG, aber das nach unten weisende Ende unterscheidet sich.

Die Sache mit den sogenannten Fresszellen

Prof. Watzl erklärt das so: „Wenn man sich infiziert hat und sich das Virus im Körper vermehrt, spielen auch andere Funktionen der IgG-Antikörper eine Rolle. Und da kommt der untere Teil des Y zum Tragen, der einen zweiten Effekt auslöst. Wenn Viren mit den Antikörpern verklebt sind, können die von sogenannten Fresszellen aufgefressen und beseitigt werden.“ Diese Fresszellen sind bei einer Infektion also quasi die Müllabfuhr für unseren Körper. Und das ist der Punkt: „Das funktioniert besser, wenn man IgG1 oder 3 im Körper hat und nicht so gut, wenn man IgG4- Antikörper hat“, erklärt Watzl.

Die mögliche Folge umschreibt Prof. Tenbusch so: „Das könnte theoretisch dazu führen, dass unser Körper länger braucht, um die Virusinfektion vollständig zu eliminieren. Das heißt, man könnte das Virus eventuell länger im Körper nachweisen, was aber ebenfalls noch nicht gleichzusetzen wäre mit einem schlimmeren Verlauf.“


Denkbar sei eben auch, so Prof. Tenbusch, dass Menschen bei einer Neuinfektion sogar weniger Symptome hätten, wenn sie mehr IgG4 aufweisen, denn: Das Aufräumen der sogenannten „Fresszellen“ macht sich im Körper mit Entzündungssymptomen bemerkbar.

Mit den Worten von Prof. Watzl klingt das so: „Die große Frage ist: Macht das einen großen Unterschied, wenn der zweite Effekt, dieser Fresszellen-Effekt kleiner ist, weil ich viel IgG4 habe? Ist das ein Nachteil für mich? Theoretisch könnte es sein. Es könnte aber auch ein Vorteil sein, weil es weniger Entzündungen macht. Im Moment gibt es keine Daten, die uns zeigen würden: Weil dieser zweite Effekt fehlt, habe ich einen großen Nachteil, wenn ich mich jetzt wieder infiziere. Das ist im Moment nur rein theoretisch.“

Ist das Fehlen des Fresszellen-Effekts ein Vor- oder ein Nachteil?

Die ganz konkrete, sich daraus ergebende Frage lautet: Sorgt eine dritte oder vierte Impfung dafür, dass ich eine neue Corona-Infektion schlechter abwehren könnte? „Das ist noch vollkommen unklar“, antwortet Prof. Watzl und ergänzt: „Ob es wirklich so ist, dass Leute, die viel mehr IgG4 haben als andere, weil sie vielleicht mehr mit mRNA geimpft worden sind, ob die irgendwie einen Nachteil haben, das kann man aktuell nicht zeigen.“

Er sei zuversichtlich, dass das nicht der Fall sei, sagt Watzl, denn: „Es gibt viele Publikationen, die sehr schön zeigen, dass vier Impfungen besser schützen als drei. Oder drei besser als zwei Impfungen. Wenn es dann so wäre, dass ich mit der mRNA mehr und mehr von diesen IgG4 hervorrufen würde und das dann auch von der Schutzwirkung schlechter wäre, dann würde ich das ja in diesen Studien sehen. Das ist aber nicht so.“ Daher sei die Entdeckung immunologisch etwas Interessantes, das man nachverfolgen sollte, aber kein Grund zur Panik. Das sieht auch Prof. Tenbusch so, der dazu rät, die „weitere Entwicklung zu beobachten“.

„Keine Notwendigkeit für die meisten Menschen, sich jetzt noch ein viertes oder fünftes Mal impfen zu lassen“

Und wie gehen wir jetzt weiter vor bei den Corona-Impfungen? Sollte man weitere Impfungen aussetzen oder die Abstände zwischen den Impfungen vergrößern, wenn ich schon zwei habe?


„Wir sind ja sowieso bei den Impfabständen bei mindestens sechs Monaten und eigentlich kommen wir jetzt, wo wir in der endemischen Phase sind, dahin, dass wir sagen: Es gibt ja gar keine Impfempfehlung für immungesunde Menschen unter 60 jenseits der dritten Impfung. Die haben die meisten schon gehabt. Aktuell sehe ich gar keine Notwendigkeit für die meisten Menschen, sich jetzt noch ein viertes oder fünftes Mal impfen zu lassen“, sagt Watzl und: „Bei Menschen mit Vorerkrankungen oder über 60- oder über 70-Jährige reden wir ja aktuell eher von Abständen von einem Jahr. Das sollten wir ähnlich machen wie bei der Grippeimpfung, einmal im Jahr vor dem Winter. Im jährlichen Abstand, aber sicherlich nicht noch häufiger.“

Und was ist, wenn ich schon mehrfach mit mRNA geimpft bin und diese IgG4-Antikörper in mir habe? Muss ich mir Sorgen machen? „Wenn ich einmal diese Zellen habe, die diese IgG4-Antikörper produzieren, dann werden diese Zellen wieder angeregt und vermehren sich wieder, wenn ich mich noch einmal impfe oder infiziere. Platt ausgedrückt: Dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.“


Ob bei größeren Abständen zwischen den einzelnen Impfungen mehr oder weniger IgG4 produziert wird, „das wissen wir nicht, muss man ganz ehrlich sagen“, sagt Prof. Watzl.

Doch besser auf andere Impfstoffe umsteigen und mRNA meiden?

Möglicherweise sei es auch sinnvoll, künftig bei Auffrischungsimpfungen die Dosis des mRNA-Impfstoffs zu reduzieren, meint Watzl, damit weniger IgG4 produziert werde. Aber auch das wisse man nicht, daran müsse man weiter forschen.

Und dann die Gretchenfrage zum Schluss: „Würden Sie einem Ungeimpften heute noch empfehlen, sich mit mRNA impfen zu lassen oder doch eher mit einen eher Vektor-Impfstoffe wie beispielsweise AstraZeneca oder Johnson & Johnson, bei denen man bisher keine IgG4-Problematik gefunden hat?“ Prof. Watzl lacht und antwortet dann: „Sagen wir so: Die mRNA-Impfstoffe haben auch deutliche Vorteile, weil sie einfach auch viel besser schützen.“

Das ist die Reaktion der Impfstoff-Hersteller

Wir haben auch die beiden großen Hersteller von mRNA-Impfstoffen, Biontech und Moderna, um eine Stellungnahme gebeten. Während Biontech nicht antwortete, verwies Moderna darauf, dass ihre Impfstoffe auch nach Monaten noch wirksam gegen eine Corona-Infektion schützten, auch gegen Omikron und andere bedenkliche Varianten.

Zur neuen Studie der Uni Erlangen-Nürnberg schreibt Moderna: „Ob eine IgG4-gesteuerte Antikörperreaktion nachfolgende Virusinfektionen und Auffrischungsimpfungen beeinflusst, konnte in der von Ihnen zitierten Studie abschließend nicht bewertet werden.“ Das Thema wird uns also weiter beschäftigen.

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