Nach dem Horror im Krankenhaus von Gaza Genau jetzt ist die Zeit, den Frieden zu suchen

Nach dem Horror im Krankenhaus von Gaza: Genau jetzt ist die Zeit, den Frieden zu suchen
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Ulrich Breulmann

Wie soll man sprechen von dem, was einem vor Entsetzen die Kehle zuschnürt? Von einem barbarischen Krieg, in dem die Rollen der Guten und der Bösen so glasklar verteilt sind? Von einem Irrgarten unendlichen Leids, aus dem mit keiner Waffe dieser Welt ein Ausweg führt?

Gut zehn Tage ist es her, dass die Hamas die Hölle nach Israel trug. Mit unvorstellbarer Grausamkeit töteten die Terroristen Männer, Frauen, Kinder und selbst Säuglinge. Erschossen 260 junge Menschen, die einfach fröhlich feiern wollten. Brachen in Häuser ein, töteten, vergewaltigten und verschleppten 199 Menschen oder noch mehr als Geiseln.

Und jetzt droht der fürchterliche Raketenangriff vom 17. Oktober auf die Al-Ahli-Arab-Klinik in Gaza, die Lage vollends aus dem Ruder laufen zu lassen, sämtliche Vermittlungsversuche wie den von US-Präsident Biden im Keim zu ersticken.

Wer diesen Angriff zu verantworten hat, ist völlig unklar. Ich mag einfach nicht glauben, dass die Israelis ein so abscheuliches Kriegsverbrechen begangen haben. Zumal eine solche Tat ihrem ureigensten Interesse, den Krieg auf Gaza zu begrenzen, zuwider laufen würde.

Genauso wenig kann ich mir vorstellen, dass eine Extremistengruppe wie der Islamische Dschihad das Krankenhaus bewusst angegriffen und die eigenen Leute massakriert hat. Das traue ich selbst diesen Menschen nicht zu.

Selten wäre es so wichtig wie in diesem Fall, schnell die Antwort auf zwei Fragen zu finden: Wie konnte das passieren und wer ist dafür verantwortlich?

Die Bilder dieses Krieges – nicht nur aus dem Al-Ahli-Arab-Krankenhaus – erzählen einen einzigen Alptraum. So viel Zeit kann gar nicht vergehen, dass bei denen, die ihr Kind, ihre Eltern, ihre Geschwister und ihre Freunde verloren haben, diese Wunden je heilen könnten. Es ist ein Schmerz, den keine Medizin der Welt betäuben könnte.

Absolut verständlich ist daher, dass Israel mit aller Macht zurückschlägt. Dass der Staat die Terroristen jagen will, bis er sie zur Rechenschaft gezogen hat. Israel sieht sich nicht nur einem abgrundtief bösen Ausnahmeverbrechen gegenüber. Für Israel geht es um das Überleben.

Auch 75 Jahre nach der Gründung ist die Zahl derer, die das Existenzrecht Israels bestreiten und das Land am liebsten auslöschen würden, groß. Die bedingungslose Solidarität des Westens mit Israel ist daher absolut richtig. Das gilt nach dem Holocaust in ganz besonderer Weise für Deutschland.

Ein Rest von Menschlichkeit

All das dürfte unter Demokraten unstrittig sein. Gleichwohl wäre es fatal, zwei Dinge außer Acht zu lassen.

1. Israel sollte sich auf seinem Rachefeldzug, so schwer das mit den entsetzlichen Bildern im Kopf auch fallen mag, einen Rest an Menschlichkeit bewahren und das Völkerrecht achten. Den Gazastreifen von allen Versorgungssträngen abzuschneiden, Millionen Menschen Nahrung, Wasser und Strom zu verweigern, ist Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Das trifft nicht nur Verbrecher, das trifft unschuldige Männer, Frauen und Kinder. Wenn selbst Generatoren keinen Strom mehr liefern, werden Krankenhäuser auch ohne Raketenbeschuss wie am Dienstagabend zu Friedhöfen. Wer so agiert, handelt ebenso barbarisch wie die Terroristen.

Das Palästinenser-Elend in die Flüchtlingslagern

2. Allen Beteiligten muss klar sein, dass kein Frieden möglich ist, solange es nicht neben Israel einen eigenen Staat der Palästinenser gibt. Der wurde zwar 1988 ausgerufen und von 138 Nationen anerkannt, aber mit einem autonomen Staat hat das Gebilde nichts zu tun.

Nach der Staatsgründung Israels 1948 verloren rund 700.000 Palästinenser als Flüchtlinge und Vertriebene ihre Heimat. Viele von ihnen und ihren Nachkommen leben bis heute in Flüchtlingslagern in Gaza, im Libanon und in Jordanien unter widrigsten Verhältnissen. Eine Brutstätte für neuen Terror, neue Gewalt.

Seit 1948 hat es immer wieder Friedensprozesse zwischen Israelis und Palästinensern gegeben, Verhandlungen, Roadmaps, Konzepte und Strategien. Und noch viel öfter gab es Kriege und Raketen-Angriffe gegen Israel, gnadenlose Vergeltungsaktionen der Israelis, neue Opfer, neues Leid, neues Blut.

Wer das Drama dieses zerrissenen Landes besser verstehen will, dem seien zwei Bücher empfohlen, die das Ringen zweier Völker um dasselbe Land von beiden Seiten beleuchten: „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ des 2018 gestorbenen jüdischen Schriftstellers Amos Oz und „Während die Welt schlief“ der Araberin Susan Abulhawa.

Die Welt als desillusionierter Zuschauer

Vor allem die USA haben wiederholt versucht, einen Friedensprozess in Gang zu setzen. Manchmal schien eine Lösung zum Greifen nah – etwa im Osloer Friedensprozess, doch auch diese Initiative scheiterte. In den vergangenen Jahren scheint die Weltgemeinschaft nur noch als desillusionierter Beobachter auf dieses geschundene Fleckchen Erde zu schauen.

Ernsthafte Versuche, den Konflikt dauerhaft zu entschärfen, gab es nicht. Ein paar Raketen, ein paar Gegenschläge, was soll’s? Damit schien man leben (und sterben) zu können. Der 7. Oktober änderte das für immer.

Zwei souveräne, überlebensfähige Staaten, die ihre Grenzen einander achten – eine andere Lösung gibt es nicht. Sonst wird niemand das finden, was jeder Mensch für sich und die, die er liebt, erhofft: ein Leben in Sicherheit und Frieden. Alle friedliebenden Länder müssen jetzt von Zuschauern zu Handelnden werden. Trotz oder gerade wegen der Horror-Bilder aus dem Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza ist genau jetzt die Zeit, den Frieden zu suchen.

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