Mobiler Sichtschutz gegen Gaffer an Unfallstellen

Schaulustige

Stau auf der Gegenfahrbahn, kein Platz für den Rettungswagen - Schaulustige behindern immer wieder die Arbeit von Ärzten, Sanitätern, Feuerwehr und Polizei. Nordrhein-Westfalen investiert jetzt fast eine halbe Million Euro in mobile Sichtschutzwände. Warum können wir einfach nicht wegschauen?

NRW

, 16.04.2015, 17:27 Uhr / Lesedauer: 2 min

"Das Phänomen des Hinschauens ist kein Neues", sagt Professor Frank Lasogga vom Institut für Psychologie der Universität Dortmund. "Zu jeder Zeit haben Leute sich Hinrichtungen angeschaut – ob im antiken Rom beim Kampf der Gladiatoren oder im Mittelalter." Damals habe es halt nur noch kein Smartphone gegeben. Das Hinschauen an sich sollte man nicht verurteilen, sagt Lasogga. "Das ist ein Reflex. Und je größer das Unglück, desto mehr Anreize schaffe der Vorfall." Dass Menschen heute Fotos machen, könne durchaus kritisch betrachtet werden. Was Gaffer dabei empfinden, ist für den Psychologen klar: "Damit wird ausgedrückt, ich war dabei, ich habe das miterlebt."

Doch der Wille "dabei sein zu wollen", wird für die Rettungskräfte immer mehr zu einem Problem. Ihre Arbeit wird durch Gaffer immer wieder erschwert. Insbesondere durch das Fotografieren oder Filmen von Unfallstellen mit Smartphones habe das Problem eine neue Dimension erreicht, heißt es übereinstimmend vonseiten der Polizei und des ADAC. Im März war es auf der A 57 zu einem langen Stau durch Gaffer gekommen. Auch auf der A 1 musste die Polizei nach einem LKW-Unfall Mahnungen und Bußgelder gegen Gaffer aussprechen, die an der Unfallstelle abgebremst hatten, um das Geschehen zu filmen.

470.000 Euro für Sichtschutzwände

Die Landesregierung versucht jetzt, mit einer Investition in Sichtschutzwände das Gaffen einzudämmen. 470.000 Euro kosten die zwölf Stellwände. Die zwei Meter hohen Stellwände können in bis zu 100 Meter aufgereiht werden. Ein entsprechendes System wurde seit 2008 auf den Autobahnen 44, 52 und 57 getestet. Die  Wand lässt sich binnen Minuten aufbauen und hält dank blickdichter Öffnungen in der Folienbespannung selbst starkem Wind Stand. Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) will die Sichtschutzsystem am Freitag (24. April) dem Landesbetrieb Straßen.NRW übergeben. 

Peter Meintz, Sprecher des ADAC Westfalen, begrüßt den Vorschlag. „Wir sind ja oft auch mit als erstes an Unfallorten. Alle Einsatzkräfte leiden unter solchen Privatreportern und Gaffern“. Sichtschutzwände könnten in vielen Fällen tatsächlich helfen – insbesondere um Staus und Unfälle im Gegenverkehr zu verhindern.

Härtere Strafen sind umstritten

Umstritten sind hingegen härtere Strafen gegen Gaffer. Derzeit behilft sich die Polizei mit einem Trick - entweder sanktioniert sie die Handy-Nutzung oder den Eingriff in den Straßenverkehr. Einen eigenen Straftatbestand fürs Gaffen gibt es nicht. Ist der nötig? Die Meinungen gehen selbst unter den beiden Polizeigewerkschaften auseinander. So hatte zuletzt der NRW-Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus gefordert, Gaffen zu einem eigenen Straftatbestand zu erklären. "So etwas muss einfach härter und konsequenter geahndet werden, als es bisher der Fall ist", so Rettinghaus. 

Bei der konkurrierenden Gewerkschaft der Polizei NRW sieht man das anders. Sprecher Stephan Hegger hält härtere Strafen für nicht zielführend. "Die Wirklichkeit ist davon unbeeindruckt", sagt er und sie ließen sich "ohnehin kaum durchsetzen". Die Opposition in Düsseldorf drängt darauf, die bestehenden Gesetze öfter anzuwenden."Unsere bereits vorhandenen Vorschriften reichen aus" sagt der innenpolitische Sprecher der FDP, Marc Lürbke. "Gegenwärtig liegen in diesem Bereich aber gravierende Vollzugsdefizite vor, die dringend beseitigt werden müssen." 

Das Gaffen erklärt Professor Hermann Strasser, Soziologe der Universität Duisburg-Essen, mit dem Wunsch, überall dabei sein zu wollen. "Das ist wie beim Public-Viewing, etwas gemeinsam zu erleben, obwohl man manchmal überhaupt nicht weiß, worum es geht. Neuigkeiten jagen uns. Wir wollen alle, alles miterleben." Wie der Wissenschaftler Lasogga sieht auch er darin kein neues Phänomen. Strasser beschreibt jedoch eine Veränderung - die sozialen Medien. "Der Anreiz ist die Aufmerksamkeit. Danach tretet jeder", sagt er. Und diese Aufmerksamkeit, die man erhält, habe sich durch die digitale Welt verstärkt.