Eine Kirche sei ja durchaus ein ungewöhnlicher Ort für eine Pressekonferenz, sagt Carla Hinrichs. Die Sprecherin der Letzten Generation sitzt am vergangenen Dienstag gemeinsam mit vier Mitstreiterinnen und Mitstreitern an einem Holztisch neben dem Altar in der St.-Thomas-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Im Hintergrund schwebt die Orgel über ihren Köpfen. Vor ihnen stehen mehr als ein halbes Dutzend Mikros. Und davor wiederum sitzen noch mal mehr Journalistinnen und Journalisten.
Die zweitgrößte Kirche Berlins ist so etwas wie der zentrale Treffpunkt der Letzten Generation während der Protestaktionen in der Hauptstadt. Jeden Tag treffen sie sich hier zum Brunch. „Die Kirche spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte des zivilen Widerstands“, sagt Hinrichs auf der Pressekonferenz. Das, so wird später deutlich, ist ihnen wichtig zu betonen.
Die Strategie der Letzten Generation ist klar: Um in der Gesellschaft für Akzeptanz zu werben, wollen sie die Kirchen auf ihrer Seite haben. Solche Orte bräuchte es, um größtmögliche Stärken zu generieren, sagt Hinrichs. Dafür haben sie die Arbeitsgemeinschaft Vernetzung mit den Kirchen gegründet.
Fragwürdige Vergleiche
Öffentlich einsehbare Dokumente der Gruppe zeigen, wie diese Vernetzung funktionieren soll. Darunter findet sich auch ein Dokument mit „Hinweise(n) für Vernetzungsgespräche in kirchlichen Kontexten“. Darin wird unter anderem empfohlen, die Ansprechpersonen in den Kirchen vorher zu googeln, um zu erfahren, welche Ansichten sie haben und „welche Argumente überzeugen könnten“.
Außerdem solle man auf kritische Fragen vorbereitet sein. Ein Leitfaden listet „kritische Anfragen und mögliche Antworten (speziell im kirchlichen Kontext)“ auf – auch mit fragwürdigen Vergleichen. Darin heißt es beispielsweise, auf die Frage, ob Straßenblockaden Menschenleben gefährden würden, könne man „vor allem im evangelischen Kontext“ mit dem NS-Widerstandskämpfer und Theologen Dietrich Bonhoeffer argumentieren. Dieser habe gesagt, man sei auf Gottes Gnade angewiesen und müsse im zivilen Ungehorsam Schuld auf sich nehmen – „um unseres Nächsten Willen“. Bonhoeffer hatte die Attentatpläne gegen Hitler unterstützt und wurde dafür 1945 von den Nazis hingerichtet.
Auch in einem Redemanuskript, das die Letzte Generation nutzt, um neue Aktivistinnen und Aktivisten zu rekrutieren, findet sich der Bezug zur Geschichte des zivilen Widerstands. Darin wird die Bürgerrechtsbewegung in den USA um Martin Luther King in den 1960er-Jahren nachgezeichnet. Natürlich sei die gesellschaftliche Situation anders, aber man könne davon lernen und sich inspirieren lassen, heißt es in dem Manuskript.
Berliner Pfarrer: „Versuchen, Radikalisierung zu verhindern“
Etwa zwei Kilometer von der St.-Thomas-Kirche entfernt serviert Pfarrer Bertold Höcker im ersten Obergeschoss des Evangelischen Kirchenforums Kaffee und Kekse. Höcker ist Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte und war mit dafür verantwortlich, dass die St.-Thomas-Kirche den Aktivistinnen und Aktivisten als Treffpunkt bereitgestellt wurde.
Die Letzte Generation sei auf ihn zugekommen, ein Aktivist habe einen Vortrag gehalten, erzählt Höcker. „Dann haben wir festgestellt, dass wir uns in den Zielen völlig einig sind.“ Nur, dass dieses Ziel bei der Letzten Generation heißt, „das Überleben der Zivilisation und Menschheit zu sichern“. Und in der Kirche, „die Erhaltung der Schöpfung“ zu gewährleisten.
Den Vergleich zur Bewegung des zivilen Widerstands in den USA sieht Höcker kritisch. Die gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen seien ganz unterschiedlich. „Dieser Vergleich bringt auch nichts, außer dass sich die Letzte Generation zusätzlich legitimieren kann.“ Dennoch war es für ihn selbstverständlich, der Letzten Generation die Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Er gilt als progressive Stimme in der evangelischen Kirche, setzt sich unter anderem für die Rechte der LGBTQ-Community ein.
Die Kirche sei ein „Save Space für die Diskussion in der Gesamtgesellschaft“. Man wolle damit zum Meinungsbildungsprozess beitragen. „Uns ist wichtig, dass die Aktivist*innen sich nicht weiter radikalisieren und dass das Gespräch mit der Zivilgesellschaft nicht aufhört“, sagt Höcker. „Deswegen öffnen wir unsere Räume. Wir versuchen damit, Radikalisierung zu verhindern.“
Gleichzeitig betont er, er unterstütze die Mittel des Protests der Letzten Generation nicht. Straßenblockaden seien kein legitimes Mittel, wenn dabei Menschen an der Ausübung ihrer Pflichten gehindert würden. „In einem demokratischen Staat geht das nicht“, sagt Höcker. „Das Dilemma ist aber, das die Protestform des zivilen Ungehorsams in diesem Fall leider nicht möglich ist, ohne Menschen in der Ausübung ihrer Pflichten zu beschränken.“ Dieses Spannungsverhältnis sei nicht aufhebbar.
Kirche und Aktivisten stellen sich wechselseitig infrage
„Wir versuchen, mit den Aktivist*innen zu diskutieren. Sie sind aber teilweise so von der Sache überzeugt, dass sie keine anderen Mittel sehen als zivilen Ungehorsam“, erklärt Höcker. Sie würden immer sagen, dass wir nicht genug täten. „Und so unrecht haben sie damit ja nicht.“
Dass der Klimaschutz nicht schneller umgesetzt werden könne, liege laut Höcker aber auch am Wesen der Demokratie. Da könne er die Unruhe bei den Aktivistinnen und Aktivisten nachvollziehen. „Letztlich stellen wir uns wechselseitig infrage. Wir stellen deren Mittel infrage. Und sie stellen unsere Langsamkeit infrage.“
Ob Kirchenmitglieder deswegen mit Kirchenaustritten drohten, sei für ihn kein Maßstab. „Wir positionieren uns gemäß unserem Auftrag“, sagt Höcker. Und der sei „die Schöpfung zu erhalten, uns um Menschen zu kümmern und das Evangelium zu verkünden“. Der zunehmend raue Ton in der Debatte mache ihm Sorgen. Er sagt: „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen uns nicht nur ihre Empörung hinrotzen und uns beschimpfen, sondern sich gewaltfrei an der Diskussion beteiligen.“
RND
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