Mit doppeltem Boden „Die Dreigroschenoper“ im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier

Mit doppeltem Boden
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Bertolt Brecht und Kurt Weill nannten ihre „Dreigroschenoper“ ein „Stück mit Musik“. Konzipiert für singende Schauspieler, ist das Werk eher selten im Opernhaus zu hören. Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen macht da jetzt eine Ausnahme mit Markus Bothes pfiffiger Neuinszenierung, die dort am Samstag begeistert aufgenommen worden ist.

Der Clou der Produktion ergibt sich aus der Beteiligung von Musik- und Puppentheater. Bothe setzt auf diese Weise virtuos den Brechtschen Verfremdungseffekt um. Dabei veranstaltet er ein doppelbödiges Spiel auf leerer Bühne – und das ist zunächst einmal wörtlich zu nehmen, denn in dem einem Spielfeldbrett nachempfundenen Boden sind Klappen eingelassen, durch welche Menschen wie Puppen auf- und abtreten können.

Szene aus "Die Dreigroschenoper"
Schauspieler und Puppen – hier: Sebastian Schiller als Tiger Brown und Gloria Iberl-Thieme als Macheath – interagieren in der Gelsenkirchener Neuinszenierung der „Dreigroschenoper“. © Malinowski

Zugleich sind die Darsteller und die ihnen in der Kostümierung gleichenden Gliederpuppen (Peter Lutz) nicht immer einer Meinung. Während die allesamt Brechts Gesichtszüge tragenden Puppen die persönlichen Ansichten ihres Autors vertreten, gehen ihre menschlichen Alter Egos schon mal auf Distanz zu ihm, vor allem wenn es um dessen klischeehaft-fragwürdigen Vorstellungen der Geschlechterrollen geht.

Die Geschichte um den Londoner Bettlerkönig Peachum, seinen Gegenspieler Macheath („Mackie Messer“), den Herrscher über Unterwelt und Rotlichtmilieu, und den korrupten Polizeichef Tiger Brown wird schwungvoll und gewitzt erzählt. Das geschieht über weite Strecken auf so unterhaltsame Weise, dass die von Brecht beabsichtigte – und noch heute gültige – Kapitalismus- und Sozialkritik ganz in den Hintergrund gerät. Das ändert sich allerdings im zweiten Teil, nicht zuletzt am Schluss, wo mit der Begnadigung Macheaths alles Mögliche „great again“ gemacht werden soll.

Vielfalt der Tonfälle

m Ensemble begeistert die Vielstimmigkeit der Tonfälle in Sprache und Gesang. Bele Kumberger stattet die Jenny, eine der ehemaligen Geliebten Macheaths, mit operaler Sinnlichkeit und Stimmgewalt aus. Polly Peachum findet in der Schauspielerin Fayola Schönrock im „Barbarasong“ und der Ballade von der „Seeräuberjenny“ eine Chansonette von großem Format. Klaus Brömmelmeier verleiht Vater Peachum Autorität und überzeugt im „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ mit gesanglichen Qualitäten.

Absolut hinreißend als Schauspieler, Sänger und Puppenspieler ist Martin Homrich in der Rolle der Frau Peachum, große Töne stimmt er in der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ an. Puppenspielerin Gloria Iberl-Thieme tauscht ebenfalls versiert das Geschlecht und wird zu Macheath.

Salonorchester-Besetzung

Die Neue Philharmonie Westfalen in Salonorchester-Besetzung und mit Dirigent Lutz Rademacher am Harmonium trägt wesentlich zum Schwung der Aufführung bei. Hinten über der Bühne postiert, wird sie auch ins Geschehen einbezogen.

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Weitere Aufführungen

Termine: 4. / 16. / 18. / 29. 5., 7. / 15. / 22. 6., 4. 7.; Karten: Tel. (0209) 40 97 200.

www.musiktheater-im-revier.de

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