Marcel Reif: Handwerklich ist nichts hängengeblieben

Der Torfall von Madrid

Es war kein Scherz. Am 1. April 1998 fällt vor dem Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und dem BVB ein Tor um. Es folgt eine Fernsehsternstunde. Wir haben mit Marcel Reif gesprochen.

DORTMUND

, 01.04.2018, 09:26 Uhr / Lesedauer: 3 min
„Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan wie heute.“ Marcel Reifs Spruch passte am 1. April 1998 wie die Faust aufs Auge.

„Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan wie heute.“ Marcel Reifs Spruch passte am 1. April 1998 wie die Faust aufs Auge. © dpa

Herr Reif, sie haben vor 20 Jahren einen Heimwerkerkurs in Madrid besucht. Was ist bis heute davon hängengeblieben?

Sie meinen handwerklich? Nichts. Es waren da aber auch nicht wirklich Fachleute am Werk damals. Von daher ist im Nachhinein ein Abend geblieben, für den man sich nicht schämen muss.


Sie könnten nach den 76 Minuten von damals also kein Tor zusammenschrauben?

Ich? Nein, wenn ich eine Birne reinschraube, freue ich mich jedes Mal, wenn sie leuchtet.


Was war während der 76 Minuten in der Regie los?

Nichts. Kein Mensch war zu hören, die haben nicht mal laut geatmet, um uns bloß nicht zu stören. Und damit wir nicht merken, was wir da machen. Es war so, dass Programm gemacht wurde für das niemand irgendetwas konnte. Die waren stumm vor Glück offensichtlich, dass wir irgendeinen Quatsch gemacht haben, der die Zeit rumgebracht hat. Niemand wusste ja genau, wie lang es dauert und was am Ende bei rumkommt.

Es war also eine komplette Eigenleistung von Ihnen und Herrn Jauch?

Naja, Eigenleistung. Leistung ist, wenn man etwas als Aufgabe übertragen bekommt, sich darauf vorbereitet und das umsetzt. Dann ist das Leistung. Das hier war gelebte Anarchie, die am Ende aber offensichtlich funktioniert hat.


Heute würde man es Impro-Theater nennen…

Ja, aber das stand ja nicht in meiner Arbeitsplatzbeschreibung.


Und wie war es nach dem Ende der Übertragung? Sind Sie alle noch einen Trinken gegangen oder hatte um kurz nach Mitternacht keiner mehr Lust?

Nein. Der wahre Held dieses Abends war ich. Warum? Alle anderen fanden: Das haben wir doch ganz gut hinbekommen. Ich musste danach noch ein Fußballspiel kommentieren von dem niemand wusste, ob das zählt, ob das unter Protest läuft. Es weiß ja heute niemand mehr, wie es ausgegangen ist. Ich musste 90 Minuten lang so tun, als sei es ein ganz normales Fußballspiel. Das war großartig. Alle anderen dachten: War doch ein schöner Abend.


Wissen Sie noch, was es für ein Spiel war?

Ich glaube, es ging 2:0 aus. Aber nochmal: Das hatte so viele Fragezeichen. Es gab Menschen beim Sender, die danach gesagt haben: Können wir das nicht jetzt jedes Mal so machen? Irgendwelche Tore umfallen lassen? Wir hatten ja entschieden mehr Zuschauer in der Vorberichterstattung, bei diesem Klamauk, als beim eigentlichen Spiel.


Es waren zwölf Millionen vorher, das Spiel schauten noch sechs Millionen. Was haben Sie gedacht, als Sie die Quoten gesehen haben?

Ich wusste, dass mein Chefredakteur kommen und sagen würde: Das machen wir jetzt jede Woche. Und zwar nur den ersten Teil. Beim Rückspiel zwei Wochen später im Westfalenstadion habe ich geguckt, ob nicht jemand am Tor rumsägt.

Wussten Sie, dass zwei BVB-Funktionäre noch in der Nacht zurück ins Stadion gefahren sind, um das neue Tor nochmal nachzumessen? Der Witz ist: Das Ersatztor hatte die korrekte Höhe, aber das ursprüngliche war zu klein.

(Lacht) Nein, das wusste ich nicht.


Später gab es den bayerischen Fernsehpreis und immerhin eine Nominierung für den Grimme-Preis. Hat der Preis einen prominenten Platz bekommen? Oder haben Sie sonst etwas von diesem legendären Abend behalten?

Natürlich freut man sich über so einen Fernsehpreis, aber nochmal: Ich habe gedacht, dass mein Job doch eigentlich etwas anderes ist. Der Fernsehpreis steht neben dem Grimmepreis, den ich danach noch für meine Kommentierung von Fußballspielen bekommen habe. Insofern war ich dann wieder mit mir im Reinen und habe meinen Frieden damit gemacht.


Den Spruch „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan wie heute“ würde man heute vermutlich als T-Shirt verkaufen. Mal drüber nachgedacht?

Der stand ja damals auf dem Kommentatorenindex. Ich war damals Sportchef bei RTL, wenn den Spruch ein jüngerer Kollege benutzt hätte, hätte ich dem aber was erzählt. Da gingen immer mehrere Augenbrauen hoch. Er bekam in dem Zusammenhang aber zum Glück eine andere Bedeutung und er passte einfach.