Getötete Luise F. aus Freudenberg Was wird jetzt aus den Täterinnen und den Eltern?

Experte zum Fall Luise F. aus Freudenberg: Was wird jetzt aus den Eltern und den Täterinnen?
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Sie sind gerade einmal 12 und 13 Jahre alt und haben gemordet. Die beiden Kinder, die Luise F. (12) aus Freudenberg getötet haben, haben nicht nur das Leben von Luises Familie, sondern auch ihr eigenes Leben und das ihrer Familien zerstört.

Nichts wird mehr sein wie es war. Was aber wird nun aus den beiden Täterinnen? Was aus deren Familien? Wie kann man damit umgehen, wenn die eigene Tochter ermordet wurde oder gemordet hat?

Dr. Christian Lüdke aus Lünen ist einer der bekanntesten und erfahrensten Kriminalpsychologen des Landes. Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt er sich mit ähnlichen Fällen von Gewalt, in denen Kinder zu Opfern oder auch zu Tätern werden.

Er weiß, was jetzt den beiden Mädchen, die sich in der Obhut des Jugendamtes fern vom Elternhaus befinden, bevorsteht: „Es wird ein anderes Leben sein, das sie führen werden. Alle Maßnahmen, die jetzt in Gang gesetzt werden, zielen darauf ab, ihnen eine straffreie Zukunft zu ermöglichen.“

„Unter extremst strenger Aufsicht des Jugendamtes“

Das bedeute konkret, dass sie „im Grunde nachsozialisiert werden müssen“, sagt Lüdke und: „Ich weiß nicht, wie es in den einzelnen Familien aussieht, aber ich denke: Die Mädchen werden unter extremst strenger Aufsicht und Obhut des Jugendamtes stehen.“

Die beiden Täterinnen müssten begreifen, was sie getan haben: „Die müssen verstehen: Was habe ich da eigentlich gemacht? Was ist die Konsequenz daraus? Ich habe mindestens ein Leben zerstört.“ Sie müssten sich bewusst machen, dass sie auch ihr eigenes Leben und das ihrer eigenen Familie zerstört haben.

Es drohen Gefahren für die Familien der Täterinnen

Außerdem werde es für die Mädchen jetzt auch extrem gefährlich, sagt Lüdke: „Das ist vor allem durch die sozialen Medien so, wenn herauskommt, wer das eigentlich ist, der da getötet hat.“ Dann könne es dazu kommen, dass Hetze gegen sie betrieben werde, dass auch ihre Eltern massiv bedroht würden.

„Wenn bekannt wird, wo sie wohnen, was die Eltern machen, dann wird da dieser ganze Shitstorm losgehen. Das ist nicht unkritisch und nicht ungefährlich, was da passiert.“

Klar sei aber auch, dass die beiden Täterinnen weiter zur Schule gehen müssten. „Die müssen sich weiterentwickeln können. Immer mit dem Ziel, eine straffreie Zukunft zu erleben.“ Es sei sehr gut möglich, dass die beiden Familien umziehen müssten. Es könne auch dazu kommen, dass sie eine andere, neue, geschützte Identität erhielten.

Angeheizte Diskussion um die Strafmündigkeit

Ganz Deutschland nehme erschüttert am Fall der getöteten Luise F. aus Freudenberg Anteil. Zum einen wegen des Alters, zum anderen wegen der Brutalität der Tat und dann aber auch angesichts des Wissens, dass die Mädchen straffrei rausgehen: „Die Diskussionen laufen ja jetzt schon. Die dürfen wählen mit 16, und bei so einer Gewalttat, da gehen die jetzt straffrei aus“, heiße es dann.

Dabei verteidigte Lüdke die Straffreiheit für Kinder unter 14 Jahren: „Wir haben schon eines der besten Systeme der Gerichtsbarkeit. Die haben sich schon was dabei gedacht, die Experten“, sagt er. Er glaube zwar nicht, dass man aktuell an den 14 Jahren etwas ändere, aber dieser Fall heize die Diskussion darüber enorm an.

„Wo Großväter an gebrochenem Herzen gestorben sind“

Bei den Eltern stelle er sich die Frage: Für wen ist es jetzt eigentlich schrecklicher? Für die Eltern von Luise, die ihr Kind verloren haben, oder für die Eltern, deren Kind ein anderes Kind getötet hat? „Ich weiß es wirklich nicht.“ Die Eltern von Luise erführen ja Beistand, Trost, Hilfe, Nähe, seien eingebunden in eine trauernde Schicksalsgemeinschaft.

Für die Eltern der Täterinnen gelte das nicht. „Ich weiß nicht, was das für Eltern sind. Normale, gesunde Eltern werden sich sicherlich Vorwürfe machen: Was habe ich falsch gemacht? Hätten wir das erkennen können? Hätten wir das verhindern können?“

Er kenne Familien, die an solchen Fragen zerbrochen sind. Wo man sich gegenseitig Vorwürfe gemacht habe. Das gelte sowohl für Opfer- als auch für Täterfamilien. „Wo Großväter an gebrochenem Herzen gestorben sind. Das ist ein extremer Stress- und Belastungstest. Das schütteln die nicht so einfach ab.“

„Eltern werden ein Leben lang untröstlich sein“

Was die Eltern von Luise F. jetzt erleben, sei das Schlimmste, was Eltern widerfahren könne, sagt Lüdke, denn: „Es werden hier zwei Lebensgesetze gebrochen. Das erste Lebensgesetz, das gebrochen wird: Ein Kind stirbt nicht vor den Eltern. Das ist im Leben nicht vorgesehen. Und das zweite Lebensgesetz wird gebrochen, indem ein Kind eines unnatürlichen Todes stirbt.“

Für Christian Lüdke steht fest: „Wenn Eltern so etwas erleben, dann sind sie in der Regel ein Leben lang untröstlich. Es gibt keinen Ersatz für das Leben.“ Es gebe Eltern, die es schafften, eine neue Orientierung im Leben zu finden, etwa indem sie sich um Geschwister kümmern oder indem sie sich in irgendeiner Form engagieren im Bereich von Opferschutz.

„Andere gehen daran zugrunde. Die gehen total daran kaputt, landen in Süchten, Alkohol, Drogen, trennen sich, was auch immer. Eigentlich kann man das nicht verarbeiten.“

Da die Eltern etwas ganz Schreckliches erlebt hätten, würden sie auch heftige Symptome zeigen. „Schmerzen, Schafstörungen, der Körper tut weh; sie können nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, können Ängste, Depressionen entwickeln.“ Psychologische, therapeutische Hilfe könne hier sehr wertvoll sein.

„Rachephantasien sind vollkommen normal“

Und was ist mit Rachegefühlen? „Die sind vollkommen normal, verständlich und sind auch ein Teil der Verarbeitung. Denken ist Probehandeln. Das Ganze entlastet dann erst einmal, wenn man solche Rachephantasien sehr bildhaft ausmalt, sie am Ende aber nicht umsetzt“, sagt Lüdke. Die meisten der Familien, die er begleitet habe, hätten solche Rachegedanken gehabt, aber es seien nur wenige, die sie auch umgesetzt hätten.

Am Ende kann nach Jahren nur ein einziger Weg helfen

Was am Ende helfe – und diese Erfahrung habe er bei ganz vielen seiner Patientinnen und Patienten gemacht – sei das Thema Vergeben und Verzeihen. „Menschen, die in der Lage sind, zu vergeben und zu verzeihen, haben eine größere Chance, gesund zu werden oder zu heilen“, sagt Lüdke.

Vergeben und verzeihen bedeute aber nicht, etwas ungeschehen zu machen, sondern es bedeute, auf Rache zu verzichten. „Wenn die Eltern bereit sind, auf Rache zu verzichten für das, was ihnen angetan wurde, dann haben sie eine gute Chance, ihren inneren Seelenfrieden wiederzufinden.“

Im Moment sei das aber völlig unmöglich. Ein solcher Prozess sei – wenn überhaupt – dann frühestens mit einigen Jahren Abstand denkbar. „Jetzt aber definitiv nicht“.

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