Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat am dritten Räumungstag Lützerath besucht und das Vorgehen der Polizei scharf kritisiert. „Es ist empörend, wie die Polizeigewalt ist“, sagte Thunberg.
In dem zu Erkelenz gehörenden Ort am Rande des rheinischen Braunkohlereviers zeichnete sich am Freitag schon das Ende der am Mittwoch begonnenen Räumung an. Von den mehreren Hundert Klimaaktivisten, die Lützerath besetzt hatten, waren am Freitag noch höchstens einige Dutzend übrig. Die anderen waren freiwillig gegangen oder von der Polizei weggebracht worden. Einige hielten noch in Bäumhäusern aus. In den Häusern und auf den Dächern der Gebäude seien keine Aktivisten mehr, teilte die Polizei am Abend mit. Weiter geräumt werden müssen aber noch ein Tunnel mit zwei Aktivisten und mehrere Baumhäuser.
Zwei Aktivisten in Tunnel verschanzt
Das größte Kopfzerbrechen machten der Polizei zwei Aktivisten in einem Tunnel. Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach stieg selbst ein Stück weit in den Tunnelschacht hinein. Die Bergung der beiden Personen müssten Spezialkräfte der Feuerwehr und des THW übernehmen, sagte er anschließend. „Ich finde es einfach schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen, für sich.“ Die Konstruktion sei alles andere als sicher.
Am Donnerstag hatte ein auf der Plattform Youtube eingestelltes Video zweier vermummter Männer für Aufsehen gesorgt. „Pinky“ und „Brain“ geben darin an, sich in dem Tunnel unter Lützerath aufzuhalten. „Wir haben Hinweise, dass das Video authentisch ist“, sagte ein Polizeisprecher am Freitag.

Lützerath: Abriss hat begonnen
Während Klimaaktivisten aus dem letzten noch von ihnen besetzten Gebäude getragen wurden, begann daneben schon der Abbruch des früheren Hofes von Bauer Eckardt Heukamp. An Wand des Hofes hatte weithin sichtbar ein gelbes Transparent mit der Aufschrift „1,5°C heißt: Lützerath bleibt!“ gehangen - diese Wand wurde nun abgebrochen. Der Heukamp-Hof war seit Jahren im Hintergrund vieler Protestaktionen zu sehen gewesen und hatte dementsprechend hohen Symbolwert.
Thunberg besichtigte am Freitag das Dorf und den Krater des Braunkohletagebaus und hielt dabei ein Schild mit der Aufschrift „Keep it in the ground“ (Lasst es im Boden) hoch. Lützerath soll abgerissen werden, damit der Energiekonzern RWE die darunter liegende Kohle abbaggern kann. „Es ist entsetzlich zu sehen, was hier passiert“, sagte Thunberg. Am Samstag werde sie an der geplanten Kundgebung für die Erhaltung von Lützerath teilnehmen, kündigte sie an. Wenn Regierungen und Konzerne in dieser Weise zusammenarbeiteten, um die Umwelt zu zerstören und zahllose Menschen zu gefährden, müsse die Bevölkerung dagegen angehen und ihre Stimme erheben. „Wir wollen zeigen, wie People Power aussieht, wie Demokratie aussieht.“ Zu der Kundgebung werden nach Angaben der Polizei Tausende Teilnehmer erwartet.
Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) sagte der „Bild“-Zeitung, in Nordrhein-Westfalen dürfe jeder demonstrieren, „auch die aus der Ferne anreisende Frau Thunberg.“ Er hoffe, dass sie dafür sorge, dass ihre Mitstreiter friedlich blieben. Harsche Kritik an Thunberg kam aus der CSU. Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Bundestagsfraktion, sagte „Bild“: „Greta Thunberg fährt nach Lützerath, obwohl dort Polizisten mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen werden. Mit ihrem Besuch macht sich Thunberg wissentlich mit diesen Straftätern gemein.“
Aktivisten besetzen RWE-Zentrale in Essen
Am Freitagmorgen tauchten Aktivisten unter anderem der Gruppe Extinction Rebellion vor der RWE-Konzernzentrale in Essen auf. Sie forderten einen Stopp der Räumung Lützeraths. Nach deren Angaben ketteten sich mehrere von ihnen an das Eingangstor. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwagen an, nachdem der RWE-Sicherheitsdienst den Vorfall gemeldet hatte.
Am Donnerstag (12.1.) hatten Klimaaktivisten auch die Parteizentrale der nordrhein-westfälischen Grünen besetzt. Rund 30 Aktivisten mehrerer Klimaschutz-Organisationen besetzten das Düsseldorfer Büro.

Scholz verteidigt Räumung - Auch Habeck wenig Verständnis für Proteste
Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte Teile der Proteste. „Auch ich habe früher häufiger demonstriert. Allerdings gibt es für mich eine Grenze, die genau da verläuft, wo Protest gewalttätig wird“, sagte der SPD-Politiker der „wochentaz“. Kritik, mit der Erschließung der Braunkohlevorkommen unter Lützerath seien die Klimaziele in Gefahren, ließ Scholz nicht gelten: „Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Es ist genau umgekehrt: Wir machen Politik, damit wir unsere Klimaziele erreichen.“
Auch Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) zeigte wenig Verständnis für die Proteste gegen den Abriss von Lützerath. „Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol“, sagte Habeck dem „Spiegel“.
Das Dorf sei eben nicht das Symbol für ein Weiter-so beim Braunkohletagebau Garzweiler im Rheinland, sondern „es ist der Schlussstrich“, sagte Habeck. Man ziehe den Kohleausstieg im dortigen Kohlerevier um acht Jahre auf 2030 vor, was immer auch Ziel der Klimabewegung gewesen sei. „Wir retten fünf Ortschaften und Höfe mit rund 450 Bewohnern. Der Hambacher Forst ist gesichert worden. Die genehmigte Abbaumenge für Kohle im Tagebau wurde durch die Vereinbarung halbiert.“
RWE-Deal: Grüne weiter unter Druck
Doch unterdessen rumort es an der Parteibasis der Grünen: Einen offenen Brief gegen die Räumung unterzeichneten bis Freitagvormittag mehr als 2000 Grünen-Mitglieder. Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur werden in dem Brief aufgefordert, die Aktion sofort zu stoppen. Der „ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen“, heißt es. Der Co-Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, warnte vor einer Entfremdung der Grünen von der Klimabewegung. „Gerade jetzt bräuchten die Grünen die Unterstützung der Klimabewegung“, sagte er dem Nachrichtenportal „t-online“. „Der RWE-Deal hilft da überhaupt nicht.“
Nach einer Umfrage des ZDF-„Politbarometer“ ist eine Mehrheit der Deutschen gegen eine Ausweitung der Braunkohleabbaugebiete, wie sie derzeit nach der Räumung von Lützerath geplant ist. 59 Prozent der Befragten sprachen sich gegen eine solche Ausdehnung aus - 33 Prozent sind dafür. Vor allem eine deutliche Mehrheit (87 Prozent) der Grünen-Wähler ist gegen das Vorhaben. Hingegen wird von 60 Prozent aller Befragten eine stärkere Nutzung der Kohlekraftwerke zur Sicherung der Stromversorgung als richtig erachtet. 36 Prozent sprechen sich dagegen aus.
dpa/capa
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