Corona-Skandal beim Deutschen Roten Kreuz Geschäftsführer soll abkassiert haben

Corona-Skandal beim Deutschen Roten Kreuz : Geschäftsführer soll abkassiert haben
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Keinem Thriller-Autoren würde ein Verlag diese Geschichte abkaufen. Zu unglaubwürdig, zu weltfremd, das gibt’s doch gar nicht. Gibt’s – so der Verdacht – doch. Im Sauerland. Genauer gesagt, in Lüdenscheid, dem 71.000 Einwohner-Ort, den durch die gesprengte Rahmedetal-Brücke inzwischen ganz Deutschland kennt. Mittendrin in diesem Wirtschaftskrimi: Der mehr als 150 Jahre alte Stadtverband des Deutschen Roten Kreuzes und ein ebenso smarter wie gieriger Geschäftsführer. Nennen wir ihn H.

Erzählen könnte man diese Geschichte gar nicht, wenn sich die Zivilkammer des Landgerichts Hagen an einem Donnerstag Anfang Mai 2023 nicht mit H. und dem Roten Kreuz in Lüdenscheid beschäftigt hätte. Eine Strafanzeige gibt es nämlich bisher nicht.

Und das mutmaßliche Opfer selbst, das DRK Lüdenscheid, hat auch das Zivilgericht nicht als erstes angerufen. Vielmehr hat H. als mutmaßlicher Täter selbst den Stein ins Rollen gebracht und so dafür gesorgt, dass die für ihn wenig schmeichelhafte Geschichte ans Licht kommt. Das war womöglich alles andere als klug von H., denn: Jetzt sieht er sich nicht nur einer massiven Schadenersatzforderung gegenüber, sondern ihm droht vielleicht auch noch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Aber dazu später.

Mit wenig Erfahrung, aber viel Beziehung zum Job

Die Geschichte nimmt ihren Anfang im Juli 2020, als H. zum hauptamtlichen Geschäftsführer des DRK-Stadtverbandes Lüdenscheid bestellt wird. H. ist zu dieser Zeit Mitte 20, hat eine Ausbildung als Rettungssanitäter, einen Bachelor in Informatik und ein Jahr lang als Assistent der Geschäftsführung in einem Krankenhaus gearbeitet.

„Nicht unbedingt eine sehr massive Erfahrung im kaufmännischen Bereich“, umschreibt Richterin Dr. Elke Fiebig bei der Verhandlung am Landgericht Hagen höflich, was sie von dieser Personalentscheidung hält. Schließlich ist der DRK-Stadtverband keine Mini-Firma, sondern beschäftigt rund 100 hauptamtliche und 200 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zudem ist zugleich eine eigene gGmbH zu führen. Herausfordernde Aufgaben für einen jungen Informatik-Bachelor.

Wie sich während der Verhandlung ergibt, bekommt H. allem Anschein nach seinen Posten vor allem auf Empfehlung eines ihm bekannten Mitglieds im DRK-Präsidium, mit dem er früher schon zusammengearbeitet hatte. Die Vorsitzende des Präsidiums, M., schaut sich, davon ist das Gericht überzeugt, die Bewerbungsunterlagen nicht einmal an. Sie unterschreibt den Anstellungsvertrag für H.

Richterin Fiebig: „Eine sehr grobe Pflichtverletzung der Frau M.“ Wahrscheinlich sei Frau M. eine vorbildlich engagierte, verdiente Rot-Kreuzlerin, aber mit den Aufgaben als Vorsitzende eines Aufsichtsgremiums heillos überfordert, wird die Richterin im Verlauf der Verhandlung später noch mehrfach betonen. M. selbst hat sich auf Nachfrage der Redaktion nicht zu diesem Vorwurf geäußert.

Vergütung von 130.000 Euro könnte Gemeinnützigkeit des DRK gefährden

In seiner Bewerbung hat H. angegeben, so berichtet die Richterin aus den ihr vorliegenden Akten, dass er an der Hirecat HealthCare & Solutions GmbH mit Sitz in Quickborn beteiligt ist. Was H. verschweigt: Er ist nicht nur an Hirecat beteiligt, sondern deren Gründer, einziger Gesellschafter und Geschäftsführer. Und das bis heute, wie ein Blick ins Handelsregister verrät.

H. bekommt – und diese Zahlen werden von niemandem bestritten – eine anfängliche Vorstands-Vergütung von 74.000 Euro plus Boni. Innerhalb der folgenden 14 Monate werden seine Bezüge zweimal erhöht auf 110.000 Euro plus 20.000 Euro Bonuszahlung, insgesamt also auf 130.000 Euro im Jahr.

Und das könnte sogar die Gemeinnützigkeit des Roten Kreuzes in Lüdenscheid gefährden, stellt Elke Fiebig fest. In einer Organisation, die sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziere, müssten Vorstandsbezüge „angemessen“ sein. Zu hohe Vergütungen, wie sie hier vorliegen könnten, gefährdeten den Status der Gemeinnützigkeit.

Wie dem auch sei, möglicherweise sind die Erhöhungen ohnehin unwirksam, da sie nur von der Präsidiums-Vorsitzenden unterzeichnet wurden, nicht vom ganzen Präsidium, wie die Richterin vorträgt. Das sei wieder ein schwerer Fehler von M., sagt sie. Auch dazu äußert sich M. auf Nachfrage nicht.

Lukrative Corona-Geschäfte mit seiner eigenen Firma

H. nutzt seine neue Position, wie es scheint, um gute Geschäfte für das DRK zu machen. Und für sich selbst. Es ist Corona-Zeit und mit Corona-Tests lässt sich Geld verdienen, viel Geld. Und das macht H. auf ganz spezielle Weise. Für fast 700.000 Euro bestellt H. die für die Corona-Tests notwendigen Sets und Utensilien bei der Hirecat GmbH, also bei seiner eigenen Firma. Dieses Geschäft selbst ist unstrittig.

Für Richterin Fiebig ist die Sache klar: „Das sind verbotene In-Sich-Geschäfte“, sagt sie. H. bestreitet die Corona-Geschäfte seiner Hirecat GmbH mit dem Roten Kreuz nicht, rechtfertigt sie vor Gericht aber so: Dem DRK sei doch kein Schaden entstanden, da seine Hirecat GmbH die Corona-Tests an das DRK zu einem Preis verkauft habe, der innerhalb des vom DRK bundesweit vorgegebenen Rahmens gelegen habe.

Das sieht Richterin Fiebig anders, ganz anders, denn: Die Hirecat GmbH habe mit dem Verkauf der Sets an das DRK ja eine Gewinn-Marge erzielt. Fiebig geht von rund 20 Prozent, also 140.000 Euro, aus. H. sagt in der Verhandlung, um sich zur Gewinnmarge äußern zu können, müsse er erst seine Geschäftsunterlagen prüfen.

Wenn H. als Geschäftsführer der Hirecat GmbH einen so günstigen Lieferanten habe finden können, dann auch als DRK-Geschäftsführer. Der Umweg über die Hirecat GmbH sei völlig unnötig gewesen. Deshalb liege der Verdacht schwerer Untreuehandlungen nahe, so die Richterin.

Dass H. selbst diese Geschäfte nicht ganz geheuer waren, zeige sich daran, dass er mit der Hirecat immer wieder Verträge über ein Volumen von 24.900 Euro abgeschlossen habe. Ab 25.000 Euro hätte das DRK-Präsidium zustimmen müssen. H. habe wohl vermeiden wollen, dass da jemand genau nachfrage, so der Verdacht der Vorsitzenden. H. selbst will sich auf Nachfrage der Redaktion unmittelbar nach der Verhandlung dazu und zu den anderen Vorwürfen nicht äußern.

Im Laufe des Verfahrens kommen noch eine ganze Reihe weiterer, möglicherweise unlauterer Geschäfte von H. ans Licht. So kaufte H. bei der Hirecat GmbH Software. Zudem bezahlte er, was H. in der Verhandlung nicht bestreitet, Hirecat und damit sich selbst auch dafür, dass er diese Software beim DRK aufspielt. Dabei war er doch mit seinem Know-How als Informatik-Bachelor beim DRK angestellt, meint Richterin Fiebig.

H. lässt sich auch für Vorträge bezahlen, die er, so Richterin Fiebig, als DRK-Geschäftsführer unbezahlt hätte halten müssen, weil sie zu seinem Job gehörten. Er habe sich ferner als Geschäftsführer ein MacBook gekauft, das laut dem aktuellen Vorstand des Stadtverbandes bis heute beim DRK nicht auffindbar ist. Dass er dabei einen „Studentenrabatt“ habe ausnutzen wollen, wie H. selbst angegeben hatte, sei ebenfalls „rechtswidrig“, so Fiebig.

Eine merkwürdige Aufwandsentschädigung für die Ehefrau

Dann weist H. für seine Ehefrau eine Aufwandsentschädigung an. H. begründet das gegenüber dem Gericht so: Sie habe ihn bei seiner Arbeit unterstützt. Richterin Fiebig kommentiert das mit trockenem Humor: „Es wäre mir jetzt neu, dass Ehefrauen, die ihren Ehemann bei dessen Amt unterstützen, dafür irgendwie eine Aufwandsentschädigung bekommen.“

Im Juni 2022 fliegt die Geschichte auf. Das Präsidium des DRK Stadtverbandes Lüdenscheid kündigt H. und seinem Mit-Geschäftsführer L. Einen Monat später wird die fristlose Kündigung hinterhergeschoben. In der Öffentlichkeit wird beides mit einem „zerrütteten Vertrauensverhältnis“ begründet. Das klingt eher nach atmosphärischen Störungen. Dass es um mögliche Untreuehandlungen im sechsstelligen Bereich ging, bleibt verborgen. Bis jetzt.

Ein Erfolg vor Gericht, der zum Boomerang werden könnte

Und wahrscheinlich wäre all das nie ans Licht gekommen, wenn H. nach seiner Kündigung einfach geschwiegen hätte. Er aber klagt gegen seinen früheren Arbeitgeber und fordert noch ausstehende Vergütungsansprüche in Höhe von 50.000 Euro. Vor Gericht gibt ihm Richterin Fiebig grundsätzlich recht, denn die fristlose Kündigung sei aus formalen Gründen unwirksam. Die fristgerechte Kündigung sei dagegen wirksam. Ob die Höhe von 50.000 Euro Restgehalt korrekt sei, stehe aber auf einem anderen Blatt, denn: Ihrer Einschätzung nach seien die erfolgten zwischenzeitlichen Erhöhungen seiner Bezüge unwirksam.

Also auf den ersten Blick ein Teil-Erfolg für H., aber ein Erfolg, der zum Boomerang wird: Erst nach der Klage von H. macht nämlich auch das DRK gerichtlich Schadenersatz gegen ihn geltend. Eine Strafanzeige hat das DRK Lüdenscheid nach Informationen der Redaktion bis heute allerdings nicht gestellt: „Man kann sich schon fragen, ob hier von Seiten des Roten Kreuzes vielleicht deshalb keine Strafanzeige eingereicht wurde, weil man von eigenen Versäumnissen ablenken will“, sagt Fiebig und beurteilt das Verhalten der Präsidiums-Vorsitzenden M. als „Totalversagen“.

Richterin lässt Wunsch nach Strafverfahren durchblicken

Mehrfach lässt Richterin Elke Fiebig durchblicken, dass sie sich auch strafrechtliche Ermittlungen in dieser Sache wünscht: „Die zivilrechtliche Aufarbeitung hat gewisse Grenzen, die man bei einer strafrechtlichen Aufarbeitung nicht hat“, sagt sie und ergänzt: „Es sieht jetzt schon sehr danach aus, dass Sie da erhebliche, auch strafrechtlich relevante Taten begangen haben“, sagt sie an H. gerichtet. Der nimmt diesen harten Vorwurf äußerlich ungerührt zur Kenntnis.

Zivilrechtlich werden das DRK und H. in den nächsten Wochen über einen Vergleichsvorschlag des Gerichts nachdenken. Danach bekäme H. nicht nur selbst keinen Cent, sondern müsste je nach Zahlungsmodus zwischen 80.000 und 100.000 Euro an das DRK zahlen. Möglicherweise kann er das, denn er hat inzwischen eine Stelle als Geschäftsführer in einer Klinik gefunden. Welche Vorwürfe gegen ihn seitens seines alten Arbeitgebers im Raum stehen, hat er seinem neuen Arbeitgeber übrigens nicht berichtet, wie eine Nachfrage unserer Redaktion ergab.

Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht, aber...

Ob mit einem Vergleich die Sache für H. erledigt wäre, ist mehr als zweifelhaft. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hagen erklärt auf Anfrage, dass bislang keine Strafanzeige in dieser Sache vorliege. Allerdings müsse und werde man Ermittlungen aufnehmen, wenn es Hinweise auf schwere Untreuehandlungen gebe und man davon erfahre, sei es durch das Zivilgericht, sei es durch eine Berichterstattung in den Medien.

Wir haben alle Betroffenen, sowohl H., als auch M. als auch dem neuen Vorsitzenden des Stadtverbandes Lüdenscheid bereits am 4. Mai Gelegenheit gegeben, sich zu den in der Verhandlung laut gewordenen Vorwürfen zu äußern. Bis zum Abend des 9. Mai hat keiner der Beteiligten dieses Angebot wahrgenommen.

So reagieren Kreis- und Landesverband des DRK

Beim DRK-Landesverband hält man sich nicht für zuständig. Zuständig sei der Kreisverband, nicht der Landesverband. Der habe keinerlei Aufsichtsfunktion. Im Übrigen gebe es für ehrenamtliche Mitarbeiter in Vorständen und Präsidien regelmäßige Fortbildungsangebote des Landesverbandes. Verpflichtend seien diese aber nicht. Ob jemand aus Lüdenscheid an einer solchen Fortbildung teilgenommen habe, sei dem DRK-Landesverband nicht bekannt.

Ja, der DRK-Kreisverband Märkischer Kreis habe gegenüber seinen Mitgliedsverbänden, auch gegenüber dem Stadtverband Lüdenscheid, eine Aufsichtsfunktion, teilte der Kreisverband auf Anfrage mit. Dabei würden auch die Jahresabschlüsse und der „Personaleinstellungsprozess“ geprüft. Dabei habe es bislang keine Beanstandungen gegeben. Über die Entlassung des Geschäftsführers sei man regelmäßig informiert worden.

„Die Vorwürfe der Untreue sind uns erst nach der Information der Kündigung zugegangen, da diese im Laufe der Aufarbeitung durch den Stadtverband selbst aufgedeckt wurden“, schreibt der Kreisverband weiter. Eine Strafanzeige zu stellen, sei Sache des Stadtverbandes als Betroffenem und nicht des Kreisverbandes. Das habe man daher unterlassen.

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