Love, Lunch and Rock'n'Roll: Nada-Surf-Sänger im Interview
Konzert im FZW
Kann man über Tausende Kilometer am Telefon zwischen Büro und irgendwo zwischen Washington D.C. und New York City ein Interview mit inhaltlicher Tiefe führen? Ja. Wenn der Interviewpartner Matthew Caws ist, Sänger der Band Nada Surf, seit mittlerweile 20 Jahren die Herzensband vieler Fans von alternativer Rockmusik und am 5. April (Dienstag) im FZW auf der Bühne.

Die US-amerikanische Alternative-Rock Band Nada Surf. Die Bandmitglieder (v.l.): Ira Elliott, Daniel Lorca, Matthew Caws und Doug Gillard.
Die US-amerikanischen Indierocker schreiben Musik, die so treffend menschliche Gefühle transportiert, dass sie manchmal fast erschreckend nah kommt. Liebe, Wut, Trauer, grenzenlose Freude und ihre Folgen: Fragen, die sich Menschen nun einmal stellen und die Nada Surf ehrlich beantworten.
Textlich, wenn Caws seine Gefühlswelt offen legt und die Fans das lieben, weil es ihrer eigenen Welt nahe kommt. Und musikalisch mit einer schon über sieben Studioalben andauernden Lust am Ausbruch, am Punk und College Rock, gemischt mit mehrstimmiger Melancholie, die mit jedem Album mehr Tiefe erhält. Sie sind keine Über-Band mit herausragenden Chart-Erfolgen: Aber eine die seit 20 Jahren mittelgroße Konzerthallen voll bekommt - und zwar weltweit.
Ein Anspieltipp für alle Neu-Hörer: "Cold to See Clear" aus dem aktuellen Album "You Know Who You Are"
Vor dem Start der Europa-Tour, die am 5. April nach Dortmund führt, hat Matthew Caws eine halbe Stunde Zeit für ein Telefoninterview mit Reporter Felix Guth. Caws steht ohnehin gerade im Stau, also ist Gelegenheit für ein Gespräch, in dem sich der 48-Jährige als interessanter Gesprächspartner erweist.
Mitfühlend, witzig, nachdenklich, aber auch ausreichend von sich selbst überzeugt, um mit seiner Kunst in der Öffentlichkeit zu stehen.
Ich mache das sonst nicht bei Interviews – aber: Ihre Musik hat eine große persönliche Bedeutung für mich, „Always Love“ war mein Hochzeitstanz. Ich kenne viele, die eine sehr enge Beziehung zu Ihrer Musik haben. Wie nehmen Sie das wahr?
Es ist etwas, für das ich dankbar bin. Ich messe dem nicht zu viel Bedeutung bei, es gibt mir nicht das Gefühl, wichtig zu sein, aber das Gefühl, nützlich zu sein. Das ist wirklich wertvoll. Wenn du einen Fabrikjob hast, spürst du am Ende des Tages, dass du acht Stunden Arbeit hinter dir hast. In einem kreativen Beruf verbringst du normalerweise nicht acht Stunden am Stück mit Arbeit. Ehrlicherweise versuchst du es häufig nicht einmal, so lange am Stück etwas zu machen. Deshalb gibt es nicht so etwas wie eine Job-Zufriedenheit. Wenn dir also jemand sagt, dass dein Lied sein Hochzeitslied war, dann merkt man, dass man etwas getan hat, das nützlich war.
Was bedeutet die Band für Sie?
Es ist immer noch eine Freundschaft, und es ist sehr viel Freude. Tatsächlich machen die Konzerte mehr Freude als jemals zuvor. Denn früher war ich so unglaublich nervös. Heute bin ich viel mehr im Moment als je zuvor. Ich glaube, das ist eines dieser Dinge am Älterwerden, von dem dir niemand erzählt: Du wirst ruhiger. Und denkst dir: Ich habe all diese Jahre überlebt, also wird auch jetzt alles in Ordnung kommen.
Empfinden Sie das, was Sie tun, als Arbeit?
Nein, es fühlt sich nicht wirklich danach an, es ist die pure Freude. Ein Lied zu beginnen macht mehr Spaß als alles andere auf der Welt, was ich kenne. Einen Song zu beenden ist sehr anstrengend. Zu entscheiden, welche Songs auf ein Album kommen oder nicht, klingt nicht nach Arbeit. Aber du weißt nie wirklich, was die richtige Antwort ist. Ich glaube, man muss versuchen, seine Gefühle so gesund wie möglich zu halten. Es ist schwierig: Es gibt den Teil deiner Arbeit, dass du nichts tun musst, außer gesund und klar zu bleiben. Und es gibt es den Teil, dass du von weit von Zuhause weg bis. Das ist der Preis, den du zahlst, im psychologischen Sinn.
An welchem Punkt haben Sie gemerkt, dass Musik mehr als eine Leidenschaft ist?
Wir hatten einen frühen Hit (Anmerkung der Red: „Popular“, 1996). Aber es war eigentlich der Moment einige Jahre später mit Ende 20, als ich eine Krankenversicherung hatte. Das ist wirklich ein sehr amerikanisches Problem, nicht krankenversichert zu sein. Ab da war es auch für meine Eltern in Ordnung, die sonst alles hätten zahlen müssen, was mir passiert.
Ich hatte nie das Gefühl, dass ich besonders gut bin im Musikmachen. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich es so sehr liebe, dass es einen Effekt haben würde. Ich wäre aber auch nicht überrascht gewesen, wenn ich Englischlehrer oder Journalist geworden wäre. Ich war immer zu ängstlich, um keine Optionen zu haben.
Aber als wir anfingen, Alben zu machen, habe ich gemerkt: Das ist mein Ziel. Auch, weil ich nur Lieder darüber schreibe, wie ich mich fühle und wie das funktioniert hat. Ich wusste also: Ich werde immer irgendetwas fühlen, also kann ich es theoretisch für immer machen. Denn Gefühle bleiben kompliziert. Es ist nicht einfach, ein Mensch zu sein. Ich wünschte, das wäre es, wünschte, ich hätte nichts, über das ich schreiben müsste. Aber das wird leider nicht passieren.
Hat sich auf dem neuen Album „You Know Who You Are“ etwas an der Arbeitsweise geändert?
Doug (Anmerkung der Red.: Gillard, zweiter Gitarrist) spielt schon einige Jahre mit uns. Bisher hat er seine Spuren eingespielt, als wir alle schon aufgenommen hatten. Jetzt war er bei jeder Bandprobe dabei, und das hat wirklich einen großen Unterschied gemacht. Er spielt wie ein Jazz-Gitarrist, nicht im Jazz-Stil, aber insofern, dass er neue Dinge direkt mitspielt und weiterdenkt. Das bringt eine unglaubliche Frische, er hat etwas Neues hinzugefügt. Das hat geholfen, dass es schneller voranging und hat geholfen, die Songs näher an ihren Wurzeln und ihrer ursprünglichen Aussage zu halten. Wir sind mittlerweile alt genug, damit klar zu kommen, dass wir nach über 20 Jahren kein Trio mehr sind.
Ich erinnere mich an einen speziellen Nada-Surf-Konzert-Moment in Dortmund, 2005 in der Pauluskirche ...
Ja, das war großartig. Ich erinnere mich vor allem an den Priester. Er hatte eine große geistige Flexibilität, eine Band wie uns in seiner Kirche spielen zu lassen. Das ist diese offene Version von Religion, die Hoffnung gibt. Ich weiß, dass das dumm klingt: Aber, wenn ich die Zeit und das Geld hätte, würde ich eine neue Religion gründen, die als einzigen Grundsatz hat, dass es erlaubt ist, an mehr als einen zu glauben.
Diese Flexibilität ist so wichtig. Bruce Springsteen hat einmal zu Musikern gesagt: Wenn ihr auf die Bühne geht, vergesst nie, dass ihr großartig seid. Und vergesst gleichzeitig nie, dass ihr fürchterlich seid. Der Punkt daran ist: Es ist wichtig gegenteilige Gedanken gleichzeitig zuzulassen. Das ist nicht einfach. Aber wir sollten respektieren, dass Menschen so kompliziert sind.
Sie sind 48, ihre anderen Bandmitglieder teilweise über 50. Ist es manchmal merkwürdig, mit all den jungen Menschen im Musik-Geschäft zu tun zu haben?
Offensichtlich ist mein Haar grau geworden. Ich kann also nicht einmal mehr vorgeben, im selben Alter zu sein. Aber ich fühle mich wohl unter der nächsten Generation. Als ich selbst jung war, waren die meisten der Musiker, die mich inspiriert haben – Pete Townsend, Bob Dylan, Neil Young, Leonard Cohen – bereits wirklich alt. Aus einer anderen Generation, aber trotzdem lebendig und aktiv. Letztlich glaube ich, dass das Alter nichts damit zu tun hat, was du bist.
Können Sie sich vorstellen, auch im hohen Alter noch Musik zu machen?
Ich rauche nicht, ich trinke in Maßen. Wenn mich meine Stimme nicht verlässt, ist das möglich. Auch wenn ich als kleiner Nostalgie-Akt vor 30 Nada-Surf-Fans in jeder Stadt spiele, reicht das, um mir „lunch“ zu kaufen. Always Lunch (lacht).
Übrigens: Wenn du in Songtiteln das Wort „Love“ durch das Wort „Lunch“ ersetzt, ist das ein großer Spaß: "Tainted Lunch", "Hide Your Lunch Away", "Can’t Buy Me Lunch", "What's So Funny (About Peace, Lunch and Understanding)", "I Want to Know What Lunch Is", "What's Lunch Got to Do With It".
Sie äußern sich auch häufig zu politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Fragen: Fühlen Sie mehr Verantwortung, sich als Künstler einzumischen und Ihre Meinung zu sagen als früher?
Was ich beitragen möchte, ist die Flexibilität, der Glauben an den Wert eines Jeden, an Humanismus, Respekt und Mitgefühl. Das sind gute Werte, um sie zu teilen. Das ist das, was ich als gesündesten Standpunkt sehe – auch wenn ich schwach und unsicher bin.