Wer mehr Patienten behandelt, bekommt mehr Geld – nach diesem Prinzip finanzieren sich Krankenhäuser in Deutschland. Über die sogenannten Fallpauschalen erwirtschaften die Kliniken das Geld für Personal und Technik. Eine bundesweite Krankenhausreform soll den Stellenwert dieser Pauschalen absenken. In Vorbereitung hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine Regierungskommission eingesetzt, die im Dezember Vorschläge für die Reform der Krankenhausvergütung vorgelegt hat.
Dr. Martin Meyer arbeitet seit November letzten Jahres als Geschäftsführer an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln. Gleichzeitig vertritt er die Gesellschaft der Kinderabteilungen und Kinderkrankenhäuser (GKinD) als Bundesvorsitzender. Im Interview spricht er über die Gründe für die Krankenhausreform, zeigt Probleme sowie Lösungen auf und geht auf die Situation der Kinderkliniken ein.
Warum brauchen wir eine Krankenhausreform?
Geld und Personalnot in den Krankenhäusern waren die wesentlichen Auslöser. Wir haben eine Gesellschaft, die immer älter wird – und dann mehr Behandlungsbedarf hat. Dann gibt es neue Methoden und Medikamente, tolle Sachen, die im Einzelfall aber sehr teuer sind. Das muss man versuchen als Gesellschaft in den Griff zu bekommen. In diesem Jahr rechnet man mit einer erheblichen Zahl an Krankenhaus-Insolvenzen.
Wir haben in Deutschland eine relativ hohe Krankenhausdichte.
Das ist so. Allerdings darf man das nicht summiert betrachten, gerade im Vergleich mit dem Ausland. Dort gibt es meist viel umfassendere ambulante Behandlungsstrukturen. Deshalb reicht es nicht, ein paar Krankenhäuser zu schließen, und das Problem ist erledigt. Man muss an anderen Stellen nachrüsten und Vernetzungen zwischen ambulanten und stationären Bereichen schaffen.
Kommen wir zum aktuellen Finanzierungsmodell. Welche Idee steckt hinter der sogenannten Fallpauschale?
Der Anreiz war eine gewisse Transparenz zu schaffen und die gleiche Leistung gleich zu vergüten, egal ob sie in Flensburg oder Konstanz stattfindet. Natürlich verbuchen die Fallpauschalen eine Herztransplantation anders als eine Lungenentzündung. Das ist ein relativ differenziertes System. Die Preise legt ein Institut in Deutschland fest, das InEK. Es entwickelt den DRG-Katalog (Diagnosis Related Groups, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) jedes Jahr weiter. Und dann: Menge mal Preis. Da kommt das Budget raus.
Warum ist das problematisch?
Es ist ein Umverteilungsmechanismus. Wer mehr macht, kriegt am Ende mehr Geld. Wer weniger macht, kriegt weniger. Das hat dazu geführt, dass die Fallzahlen zugenommen haben. Dabei spielen unterschiedliche Effekte eine Rolle, zum Beispiel das Älterwerden. Sicher haben sich Krankenhäuser ein Stück weit in Leistungsmenge geflüchtet, weil die Länder ihre Förderungen zurückgefahren haben.
Ich bin sicher, dass keine Behandlungen passiert sind, die nicht nötig waren. Aber es ist tatsächlich so: Wenn man Geld haben will, um sich weiterzuentwickeln und eine neue Abteilung aufzumachen, muss man Patienten behandeln.
Und jede einzelne Behandlung abzurechnen, klingt auch ziemlich kompliziert.
Es passieren Fehler auf beiden Seiten, bei Krankenkassen und Krankenhäusern. Vieles wird geprüft, was einen unheimlichen Zeitaufwand erzeugt. Die Komplexitätsspirale ist nicht im Sinne der Patienten, weil viele Leute Rechnungen schreiben, prüfen und gegenüber der Kasse rechtfertigen. Die stehen nicht mehr am Bett, sondern beschäftigen sich mit Bürokratie.
Trotzdem stehen Kliniken vor dem finanziellen Ruin. Was genau wird durch die Fallpauschalen nicht berücksichtigt?
Der wichtigste Punkt ist, dass die Vorhaltekosten nicht refinanziert werden. Der klassische Vergleich mit der Feuerwehr: Wenn man die immer nur bezahlen würde, wenn es brennt, wär’s ein Problem. Dann würde man möglichst viele Brände haben wollen, um bei Kasse zu bleiben. Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen sie bezahlen, selbst wenn sie gerade auf der Wache sitzen und warten.
Das ist besonders für die Vestische Kinder- und Jugendklinik schwierig?
Das ist in der ganzen Kindermedizin auffällig, weil wir Infekt-Wellen haben. Da hat man auf einmal ein Kinderkrankenhaus oder eine Kinderabteilung, die birst aus allen Nähten. Auf einmal ist ein Ansturm da, dann wieder nicht. Und das betrifft im Grunde alle Sachen, die wir hier machen: Von der akuten Infektion, über die Frühchen. Auch Palliativmedizin können wir nicht planen.

Mit dem Vorschlag der Regierungskommission soll sich die Fallpauschale weiterentwickeln. Sie fällt nicht komplett weg, aber wird ergänzt: Durch Leistungsgruppen, ein Stufensystem und Vorhalteleistungen, die Fixkosten decken können. Die Krankenhausreform kommt. Also wird alles besser?
Die Vorhaltekostenfinanzierung soll auf 40 Prozent der gesamten Behandlungskosten hochgefahren werden. Nur noch 60 Prozent der Vergütung sind abhängig davon, wie viele Patienten kommen. Es gibt einzelne Fachbereiche, wo die Vorkostenfinanzierung sogar 60 Prozent betragen soll – in der Frühchen-Medizin zum Beispiel. Dadurch sollte es für die Kindermedizin von der Grundidee besser werden, ja. Aber das Problem, dass ein pauschaliertes Entgeltsystem für Kinder nicht gut passt, ist dadurch nicht behoben.
Nicht das optimale Ergebnis für die Vestische Kinderklinik.
Es besteht tatsächlich Handlungsbedarf. Im Moment sehen wir das schon als kritisch an. Vorhaltekosten stärker zu finanzieren und von der Leistungsmenge wegzukommen, das ist schon ein vernünftiger Ansatz. Was gar nicht thematisiert wird, ist, dass kein zusätzliches Geld in das System reinfließen soll. Es ist nur ein anderer Verteilungsmechanismus. Es geht nicht mehr allein über die Fallpauschale, sondern über eine Vorhaltekostenfinanzierung plus Fallpauschale.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Eine 100-prozentige Vorhaltefinanzierung klingt utopisch.
Es muss schon ein gewisser Leistungsanreiz da sein. Wenn man sagt, wir bezahlen euch alles, egal was ihr tut – das ist nicht ideal. Man muss einen Kontrollmechanismus einführen. Andere Ansätze wählen den Weg aus der anderen Richtung: Man überprüft die Einzugsgebiete, pro Kopf gibt es dann so-und-so-viel Geld. Diese sogenannten Kopfpauschalen gibt es schon in manchen Teilen der Welt.
Ich glaube tatsächlich, dass wir etwas brauchen, bei dem ein hoher Anteil an Vorhaltungsvergütung stattfindet. Da sind 40 Prozent sicher zu wenig. Dann müsste man schon in die Dimension von der Hälfte oder etwas mehr kommen.
Die Kommission schreibt: „Für die Vergütung der Behandlung von Kindern und Jugendlichen sollte aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität und des erhöhten Aufwands in der medizinischen Versorgung ein Sonderfonds aufgelegt werden.“ Aus den Mitteln soll ein Aufschlag von bis zu 20 Prozent auf Fallpauschalen und Vorhaltebudget der Pädiatrie und Kinderchirurgie erfolgen.
Wenn das am Ende so wäre, würde es eine bessere Vergütung bedeuten. Das ist eine Dimension, die könnte gerade so gut gehen. Das heißt nicht, dass irgendein Euro übrigbleibt. Aber es könnte grob über den Daumen passen.
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