Mit den Stimmen aller Fraktionen hat das nordrhein-westfälische Parlament die Landesregierung beauftragt, die Ursachen steigender Kinder- und Jugendkriminalität erforschen zu lassen. Nicht nur die Anzahl der Fälle, sondern auch die Brutalität der Straftaten unter Minderjährigen habe zugenommen, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag. Eine unabhängige wissenschaftliche Studie zu den Gründen sei sicher hilfreich, werde aber vermutlich keine eindeutigen Antworten liefern und könne auch der Politik keine Entscheidungen abnehmen, warnte er vor überzogenen Erwartungen.
Ein Anlass für die Initiative der Regierungsfraktionen war der gewaltsame Tod einer Zwölfjährigen im siegerländischen Freudenberg im vergangenen März, der das Land geschockt hat. Zwei 12 und 13 Jahre alte Mädchen hatten gestanden, sie mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben.
Das sei vermutlich „ein extremer, besonderer Einzelfall“ gewesen, sagte der Innenminister. Auch die Grünen-Abgeordnete Julia Höller betonte: „Tötungsdelikte unter Kinder sind extrem selten.“ Im Bereich der Kinder- und Jugendkriminalität gehe es überwiegend um geringfügigere Delikte wie Diebstahl oder Sachbeschädigung. Nun sei zu klären, ob der erste Anstieg der bis 2021 noch absteigenden Fallzahlen „statistischer Ausreißer oder Trendumkehr“ sei.
AfD fordert, dass über Strafmündigkeitsgrenze gesprochen wird
Nach Angaben der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2022 stieg der Anteil von Kindern an der Zahl der Tatverdächtigen bundesweit über alle Verbrechensbereiche hinweg um 35,5 Prozent auf 93 095 Tatverdächtige unter 14 Jahre im Vergleich zum Vorjahr. In NRW stieg die Zahl tatverdächtiger Kinder sogar um 41 Prozent.
„Mich hat die Statistik total erschüttert“, sagte Reul. Es sei aber auch klar: „Heute wird viel mehr angezeigt.“ Das sei allerdings keine Beruhigung, zumal die Gewalttätigkeit zugenommen habe. „Es wird nicht Einer geschubst auf dem Schulhof, sondern man tritt drauf. Warum ist da die Hemmschwelle weg, was ist da passiert?“
Ob das etwas mit der Isolation der Kinder in den Coronazeiten zu tun habe, einem veränderten Erziehungsverhalten oder auch mit Gewalt im Netz, könne derzeit niemand verlässlich sagen. Deshalb warne er davor, den Menschen mit einfachen Antworten Scheinsicherheit vorzugaukeln, sagte Reul an die Adresse der AfD. „Es ist lebensgefährlich für unser Zusammenleben, wenn wir dieses Spiel betreiben oder zulassen.“
Der AfD-Abgeordnete Markus Wagner sieht in den restriktiven staatlichen Corona-Maßnahmen mit Schulschließungen, Bildungsverlust und fehlenden Kontakten eine wesentliche Ursache für die „explosionsartige“ Zunahme. „Das war ein Verbrechen an unseren Kindern, und jetzt haben wir Kinder als Verbrecher.“ Über den Anteil der Migranten müsse ebenso gesprochen werden wie über die Strafmündigkeitsgrenze, forderte er.
Auch die FDP will unter anderem den überproportionalen Anteil ausländischer Straftäter zwischen 14 und 18 Jahren thematisiert haben, wie der Abgeordnete Werner Pfeil betonte. Die SPD-Abgeordnete Anna Kavena stellte die Problematik in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext von Erziehung, Kita und Schule und forderte multiprofessionelle Teams, die sich individuell um jedes Kind kümmern. Der CDU-Abgeordnete Gregor Golland warnte vor kleinem parteipolitischem Karo: „Wir können alle gemeinsam schlauer werden.“
dpa
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