Die Infektionszahlen sinken, die Hoffnung, bald wieder Kultur erleben zu können, steigt. Das Konzerthaus Dortmund plant ab Mitte Juni wieder Konzerte.
Wenn die Inzidenz stabil unter 50 liegt, sind Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen wieder möglich. Raphael von Hoensbroech, Intendant und Geschäftsführer des Dortmunder Konzerthauses, erklärt seine Ideen im Interview.
Wie sieht Ihre Öffnungsperspektive aus?
Wir hatten schon im März Modellkonzerte geplant – so, wie es die Berliner gemacht haben. Wir waren startklar, aber dann kam die Ansage der Stadt Dortmund, dass die Schulen geschlossen werden. Da wäre es nicht opportun gewesen, das Konzerthaus zu öffnen. Unsere Öffnungsperspektive ist anders als das, was wir im März vorhatten. Damals gab es keine Testzentren, heute kann sich jeder vor dem Konzert testen lassen.
Wann planen sie die Wiedereröffnung?
Wenn sich die Zahlen so weiterentwickeln wie bisher und wie ich das vermute, werden wir Mitte Juni für drei Wochen öffnen dürfen.
Am 1. Juli ist das Saisonabschlusskonzert mit Yuja Wang, Gautier Capucon und Andreas Ottensamer geplant, in den drei Wochen vorher stehen drei weitere Konzerte auf dem Programm: ein Orgelkonzert (17. 6.), der Abend des „Jungen Wilden“ Alexej Gerassimez (23. 6.) und der Liederabend von Matthias Goerne (19. 6.). Das letzte Orchesterkonzert wäre am 27. Mai das der Wiener Philharmoniker gewesen. Bleibt es bei dem Spielplan oder machen Sie für die drei Wochen ein neues Programm?
Es wird die Konzerte geben, die da stehen, aber wir werden die Lücken etwas auffüllen mit Konzerten, die ausgefallen sind. Und ich werde diese Abende auch unseren Partnern anbieten, also den Dortmunder Philharmonikern, dem Klavier-Festival, der Mozart-Gesellschaft oder Klangvokal.
Aber ich werde kein Pseudo-Feuerwerk mit Stars zünden. Die Allstars haben die ganze Zeit Geld verdient, Verluste hatten die Künstler, die noch nicht ganz so berühmt sind. Und zunächst haben die Musiker ein Anrecht darauf, bei uns eine Bühne zu bekommen, deren Konzerte an diesen Terminen geplant waren.
Ein großes Orchesterkonzert wird es nicht mehr geben, das wäre auch schwierig. Zum Beispiel die Wiener Philharmoniker dürfen zu Hause ohne Abstand spielen, die wären nicht zu uns gekommen, wenn sie hier mit Abstand spielen müssen. Unser Abschlusskonzert ist ein Highlight, auch wenn es kein Orchesterkonzert ist. Hauptsache ist doch, dass wir wieder aufmachen. Wir wollen ein Zeichen für die Kunst setzen.
Mit welcher Saalkapazität rechnen Sie?
Ich würde gerne mit 50 Prozent im Schachbrett starten. Wissenschaftliche Studien belegen, dass man sich damit in unserem Saal nicht anstecken kann. Kultureinrichtungen waren die Orte mit der geringsten Ansteckungsgefahr.
Wie läuft das mit Tests und ist Maskenpflicht am Platz?
Jeder Besucher muss einen tagesaktuellen Test vorlegen, den kann man auch bei uns kostenfrei machen. Ich hoffe, dass Besucher, die ein Testzentrum in der Nähe ihres Wohnortes haben, sich dort testen lassen und Besuchern aus ländlichen Gegenden, in denen es weniger Testzentren gibt, den Vortritt lassen. Maskenpflicht im ganzen Haus und auch während des Konzerts.
Wie lange muss man vorher da sein?
Man wird online einen Termin buchen können, das Testergebnis gibt es 15 Minuten nach dem Test aufs Handy. Wenn ein Konzert um 20 Uhr beginnt, werden die 19.30 Uhr-Termine schnell ausgebucht sein, dann muss man früher kommen oder sich woanders testen lassen.
Wie lange dauert ein Konzert? Der Zeitaufwand vorher ist ja nicht unerheblich.
Wir werden sehen, was möglich ist. Wir richten uns auf alles ein – auf Konzerte mit Pause und ohne, und schauen, was geht. Im September und Oktober haben wir erfolgreich Konzerte auch mit Pausen gemacht.
Wenn ich vier Konzerte in der Woche besuchen möchte, sind dann alle vier Tests kostenlos?
Ja. Die Bundesregierung schreibt dass mindestens ein Test pro Woche kostenfrei ist. Also werden sich die Besucher jeden Tag kostenlos testen lassen dürfen.
Was ist mit Geimpften und Genesenen?
Die brauchen keinen Test. Ich sehe das nicht als Privileg, alle anderen können sich ja testen lassen.
Die neue Saison wollen Sie Anfang Juni vorstellen. Wird es wirklich eine neue Saison, oder besteht sie aus den Konzerten, die in dieser Saison ausgefallen sind? Zum Beispiel ist ja die Residenz von Sir Simon Rattle mit dem London Symphony Orchestra komplett ins Wasser gefallen.
Die neue Saison ist tatsächlich eine ganz neue Saison. Es gibt ein paar Nachholprojekte, die noch in das neue Programm reinpassen, aber das Meiste ist neu. Aber Rattle werden Sie wiedersehen.
Gehen Sie davon aus, dass die Konzerte ab Mitte September wie vor der Pandemie stattfinden dürfen?
Ich rechne damit, dass 90 Prozent der Konzerte stattfinden. Wann wir den Saal schon wieder komplett füllen dürfen, kann ich nicht sagen. Ich habe einige politische Entscheidungen als sehr einseitig wissenschaftlich und zum Teil populistisch wahrgenommen.
Und ich finde es interessant, dass die Kulturnation Deutschland Kultur als viel verzichtbarer ansieht als viele andere Länder. Kultureinrichtungen in Deutschland waren die ersten, die am 2. November geschlossen wurden und es sind die Letzten, die wieder öffnen dürfen. Da muss man sich schon die Frage stellen, ob wir in Zukunft eine andere Form von Lobbyarbeit für die Kultur machen wollen.
Rechnen Sie mit einem starken Hunger nach Konzerten oder erwarten Sie eher Zurückhaltung beim Publikum?
Ich bin zweifelsfrei davon überzeugt, dass es einen enormen Hunger gibt. Das haben auch die Modellkonzerte in Berlin im März gezeigt. Da waren 1000 Karten für ein Konzert innerhalb von vier Minuten ausverkauft. Kultur ist etwas, was den Menschen enorm fehlt.
Die Landesregierung hat einen Zwei-Stufen-Plan festgelegt, der eintritt, wenn die Corona-Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 sinkt und das Bundesinfektionsschutzgesetz nicht mehr greift.
Inzidenz 50-99: Open-Air-Konzerte mit maximal 500 Personen sind möglich für Besucher, die geimpft sind oder einen negativen Test nachweisen können. Der Besuch von Museen, Galerien und ähnlichen Einrichtungen wird dann mit Terminbuchung möglich sein. Für einen Besucher pro 20 Quadratmeter Fläche. Inzidenz unter 50: Konzerte und Aufführungen in Theatern, Opern- und Konzerthäusern sind erlaubt für Geimpfte, Genesene oder mit negativem Testergebnis. In Museen und Galerien bleibt es bei einer Person pro 20 Quadratmeter Fläche, aber Führungen sind möglich.
Begleitet und beobachtet seit 35 Jahren für die Zeitung das Kulturleben in Dortmund und in der Region.
