Konservierter Schmerz - Besuch im Loveparade-Tunnel
Vorher-Nachher-Fotospezial
21 Tote, viele Verletzte und ein Trauma, das Beteiligte auch fünf Jahre danach noch nicht loslässt: Die Loveparade-Katastrophe in den Tunneln der Karl-Lehr-Straße hat Narben hinterlassen. Heute läuft man allerdings beinahe an der Stelle vorbei. So wenig wiederzuerkennen ist der Ort der Katastrophe. Ein Besuch.

Zum 5. Jahrestag entsteht eine Gedenktafel für die Opfer des Loveparade-Unglücks.
Gleißendes Licht und Sonnenschein. Dunkelheit und tiefe Schwärze. Ein Dienstag in Duisburg, in den Tunneln der Karl-Lehr-Straße. Scharfe Kontraste. Wie fünf Jahre zuvor: Party und fröhlich Feiernde. Menschen in Panik, Verletzte, 21 Tote. Am Freitag jährt sich die tränenreiche Loveparade zum fünften Mal. Der Ort der Katastrophe hat sich völlig verändert – und dennoch den Schmerz konserviert. Ein bemerkenswerter Ort.
Feierlustige strömten zum Festivalgelände
Die Sonne scheint durch die Alleebäume, bevor man von Westen her in die lange Straße einbiegt. Abertausende Feierlustige strömten 2010 hier entlang zum Festivalgelände, fröhlich, voller Vorfreude. Dann kommen die Schatten. Geworfen von den Überführungen, die damals wie heute die Straße überwölben.
Damals | Heute
Heute sind es nur noch zwei, 2010 waren es vier Überführungen, die einen gefühlt endlosen Tunnel mit Unterbrechungen ausmachten. Die erste Brücke war damals noch neu, gebaut 2008. Am Abend des 24. Juli 2010 landeten hier die Rettungshubschrauber. Nun rollt der Verkehr der A 59. Unten leuchtende Graffitis auf dem hellen Beton, mit Filzstift hat jemand geschrieben: „Sauerland, du bist ein Mörder“.
"Ich fühlte mich ohnmächtig"
Das Unglück fegte auch den Oberbürgermeister aus dem Amt. Adolf Sauerland ist seitdem genauso von der Bildfläche verschwunden – wie die zweite Unterführung. Hier drängelten die Menschen, hier staute es sich schon. „Der Tunnel war verstopft. Es wurde richtig voll. Ich fühlte mich ohnmächtig“, erzählte ein Partygast damals.
Damals | Heute
Heute knarzen hier Mopeds und Autos. Diese zweite Röhre ist heute weg. Links und rechts, hinter Bauzaun, erdige Abhänge. Schotter. Dieser Teil des Güterbahnhofs ist weggerissen und mit ihm die Unterführung. Greller Sonnenschein, wo lange Dunkelheit war.
"Wir standen mittendrin"
Die setzt erst ein paar Meter weiter ein. Und dann richtig. Die nächste Unterführung war gar nicht so lang, bevor sie an die Auffahrt zum Gelände gelangte. Von der anderen Seite kommend, erstreckte sich der längste Tunnel, die Wegstrecke vom Osten her. Vor der Rampe kamen alle schicksalhaft zusammen. "Wir waren schon durch den Tunnel durch und standen auf dem kurzen Stück vor dem Eingang. Dort ging es aber nicht weiter", erzählte ein Raver 2010: "Wir standen mittendrin."
Damals | Heute
Heute läuft man beinahe an der Stelle vorbei. So wenig wiederzuerkennen ist der Ort der Katastrophe. An der rechten Wand stand ein Container. Verzweifelt hatten sich hier Menschen hochgezogen wie Ertrinkende. Hauptsache hoch, raus aus der Masse, ins Licht. Heute ist ein Deckel drauf. Eine Decke aus Beton, heller als der rußige Rest. Der Tunnel ist an die Unglücksstelle herangerückt, hat sie umschlossen und von den Blicken der Vorbeifahrenden fast verdrängt. Ein Möbelhausinvestor hat das Gelände gekauft und überbaut. Der lange und der kurze Tunnel wurden miteinander verbunden.
"Ich bin durch die Hölle gegangen"
Da, wo 2010 die 20 Meter breite Auffahrt zum Gelände hochführte, ist nur noch ein schmaler Spalt. Lastwagen donnern heute daran vorbei. Eine Glasscheibe, eine Betonsäule, eine vier Meter breite Durchfahrt. Mehr sieht man im Vorbeifahren nicht - wenn man nicht mehr sehen möchte. "Die ganze Welt denkt an die Katastrophe, wenn sie Duisburg hört", sagt ein Passant. Nur das Kopfsteinpflaster ist noch da, auf dem Menschen zertreten wurden. "Ich bin durch die Hölle gegangen. Ich kann das nicht verarbeiten. Die Leute sind einander auf den Köpfen rumgetrampelt", sagte ein Besucher der Loveparade damals.
Damals | Heute
Baulich ist die Wunde fast vernarbt. Dass sie dennoch offen bleibt, liegt an den organisierten Angehörigen. Sie rangen vor zwei Jahren dem Investor die Gedenkstätte ab. Daran erinnern verblasste Schilder: "Werden die Toten schon vergessen? Es ist sehr traurig." Es war ein harter Kampf um diesen Ort. Die Gedenkstätte ist auch Dokumentationsstätte ihrer selbst.
Gedenktafel installiert
Es ist eine stille Nische. Auch am Dienstag, obwohl zwei Hubwagen vorgefahren sind. Arbeiter installieren schweigend die neue Gedenktafel, die in dieser Woche enthüllt wird. Thyssen-Krupp hat sie gespendet. Ihre aufsteigenden Kanten spiegeln die Treppe, die vielen damals das Leben rettete. Die schmale Stiege ist das einzige, das die Angehörigen dem Abriss entreißen konnten. Holzkreuze und Blumentöpfe für die 21 Opfer auf den Stufen. Das markante Bahnhäuschen ist längst weggerissen.
Damals | Heute
Die ehemalige Auffahrt ist aufgeschüttet zu einem steilen Hang mit Pflanzen. Ein Gedenkstein der Stadt schließt das kurze Gelände ab. Hier blickt man auf die Schotterlandschaft oberhalb der Tunnel. Kaum vorstellbar, dass hier bald Möbelhäuser stehen sollen.
Damals | Heute
Unten im Kies, vor der Treppe, unzählige Gedenksteine. Drei zerbrochene Sonnenbrillen. Fotos der 21 jungen Menschen. Lachend. In Bilderrahmen, die nicht aussehen, als stünden sie Tag und Nacht in der Witterung. Keine Frage, hier kümmern sich Menschen jeden Tag. Die Erinnerung lebt.
Auf der neuen Gedenktafel steht ein Satz in Stahllettern, geschrieben in den sieben Sprachen, die die 21 Todesopfer gesprochen haben:
„Liebe hört niemals auf“.