So wie in diesen Kinderbüchern hat sicher nie ein amerikanischer Ureinwohner ausgesehen, gelebt oder gesprochen. Papatastisch-Autor Thomas Raulf ist sicher: Kinder verstehen das.

So wie in diesen Kinderbüchern hat sicher nie ein amerikanischer Ureinwohner ausgesehen, gelebt oder gesprochen. Papatastisch-Autor Thomas Raulf ist sicher: Kinder verstehen das. © Udo Hennes

Jetzt soll ich meinem Kind Winnetou verbieten - mache ich aber nicht

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Die Diskussion um Winnetou schlägt bei uns wie ein Blitz ein - mitten ins Kinderzimmer. Mein Sohn beteiligt sich an „kultureller Aneignung“ und ahnt selbst nichts davon. Furchtbar? Nein.

Unna

, 26.08.2022, 14:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Aus aktuellem Anlass widme ich meine Kolumne in dieser Woche einem Helden meiner Kindheit. Und der Kindheit meines Sohnes - und der meines Vaters. Über Generationen verübt meine Familie kulturelle Aneignung, wie mir gerade klar wird. Oder haben wir etwa einfach nur Freude an spannenden Abenteuergeschichten?

Diskussion: Rassismus in Kinderbüchern

Es geht um Winnetou. Der Indianerhäuptling ist Gegenstand einer verrückten Diskussion. Im Kino läuft ein neuer Film über die Jugend der Karl-May-Figur. Und dazu herausgegebene Kinderbücher wurden nun vom Ravensburger-Verlag zurückgezogen: Rassismus-Vorwürfe.

Und jetzt? Steht etwa im Kinderbücherregal bei uns zu Hause auch dieses Gift? Na klar: Ich habe es selbst gekauft. Natürlich haben wir keine Ausgabe des umstrittenen Filmbegleitbuchs „Der junge Häuptling“ kaufen können. Aber es gibt bei uns Kinderausgaben von „Winnetou“ und „Der Schatz im Silbersee“, mit stark vereinfachten Texten und bunten Bildern. Es sind Neuerzählungen der May-Klassiker für Erstleser. Ein kurzer Check macht erstmal Sorgenfalten: Da ist zum Beispiel im Text von „Indianern“ die Rede, dabei ist dieser Begriff für die amerikanischen Ureinwohner ja längst umstritten. Dennoch haben wir es gemeinsam mit unserem Sohn besonders in seiner Winnetou-Fan-Phase mehrmals gelesen.

Kinder spielen Indianer und verstehen trotzdem

Und wenn der Junge „Indianer“ spielt, dann ist das kulturelle Aneignung, wie ich jetzt gelernt habe. Er imitiert die amerikanischen Ureinwohner in einer Art, wie sie überhaupt nicht waren, dabei blendet er auch die historische Wahrheit aus. Und hier holpert diese absurde Diskussion doch schon. Dieses Kind spielt die Kunstfigur Winnetou, nicht mehr. Irgendwann im Laufe einer Kindheit versteht ein Mensch, dass es diesen Häuptling nicht gibt und nie gegeben hat. Eine kurze Abfrage bei unserer Sechstklässlerin ergibt: Na sicher sei ihr klar, dass das alles erfunden ist. „Der neue Winnetou-Film soll aber super sein.“ Und da fällt ihr ein: „Der neue Bibi-und-Tina-Film ist auch cool. Wann können wir ins Kino gehen..?“ Auf meine Nachfrage bestätigt die Elfjährige auch in diesem Fall (mit rollenden Augen): „Natürlich gibt es in echt keine Hexe, die Bibi Blocksberg heißt, Papa.“

Also können Kinder trennen zwischen erfundenen Geschichten und der Realität. Und warum können sie das? Weil wir ihnen nicht nur die romantisch-übertriebenen Abenteuer vorlesen, sondern eben auch das kindgerechte Sachbuch über die amerikanischen Ureinwohner. Die Kinder sollen lernen, dass diese Menschen in furchtbarer Weise von europäischen Kolonialisten verfolgt und umgebracht wurden. Übrigens: Der Großvater dieser Kinder beschäftigte sich schon mit dem Häuptling der Apatschen, als es noch nicht einmal die ersten Kinofilme über ihn gab. Mein Vater hat als Kind die Karl-May-Bücher verschlungen und auch er hat irgendwann verstanden, zwischen erfundener und echter Geschichte zu trennen.

Eltern sollten ihrem Bauchgefühl vertrauen

Deswegen beende ich an dieser Stelle für mich die Diskussion über Winnetou und was er mit unseren Kindern macht. Wir Eltern sollten uns nicht verunsichern lassen von aufgeblasenen Debatten, die irgendwelche Leute im Internet anzetteln. Wir müssen unserem Gefühl vertrauen, welche Bücher, Filme und Hörspiele für unsere Kinder angemessen sind. Gleichzeitig müssen wir den Kindern einen Zugang zu Geschichte und Politik verschaffen, damit sie verstehen und damit sie tolerante und weltoffene Menschen werden.

...und ins Kino gehen

Apropos wertvoll: Wenn eine überzeichnete Kunstfigur den Effekt hat, dass mein Sohn mit Freude ein Buch in die Hand nimmt, sage ich: Danke, Winnetou. Und jetzt muss ich selbst etwas nachlesen: wann der Film bei uns im Kino läuft.

„Papatastisch“ ist ein Neu-Wort aus der Internet-Community. Es passt ganz gut zur Kolumne von Redakteur Thomas Raulf: Familie ist einfach toll, und ein „Papa“ schreibt darüber. Alle Schilderungen beruhen auf wahren Ereignissen, beim Schreiben fließt hier und da auch ‘mal satirische Würze ein. Lesen Sie gern ein Augenzwinkern mit. Alle bisher erschienenen Folgen finden Sie auf unserer Internetseite: www.hellwegeranzeiger.de/schlagwort/papatastisch