Kita-Betreuung in NRW: 2023 fehlen laut Studie mehr als 100.000 Plätze - was zu tun ist
Bildung
Dramatische Aussichten für Eltern: Auch im nächsten Jahr fehlen wieder tausende Kita-Plätze. NRW nimmt dabei den Spitzenplatz unter den Bundesländern ein. Was Experten jetzt für nötig halten.
Gemessen am Betreuungsbedarf fehlen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung im kommenden Jahr in Nordrhein-Westfalen knapp 102.000 Kita-Plätze. Um die Nachfrage zu decken, müssten nach der Berechnung für den bundesweiten Ländermonitor Frühkindliche Bildung rund 24.400 Fachkräfte eingestellt werden. Dadurch entstünden zusätzliche Personalkosten von 1,1 Milliarden Euro, wie die Stiftung am Donnerstag mitteilte. Der seit 2013 in Deutschland geltende Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz lasse sich auch im Jahr 2023 somit nicht erfüllen.
„Das ist in doppelter Hinsicht untragbar: Die Eltern werden bei der Betreuung ihrer Kinder nicht unterstützt, während Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in ihrer frühen Bildung vorenthalten wird“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung.
Besonders die U3-Betreuung wird stark nachgefragt
Nach den Berechnungen sind die Deckungslücken je nach Alter der Kita-Kinder unterschiedlich groß. Bei den unter drei Jahre alten Kindern werden 30 Prozent betreut, Bedarf angemeldet haben aber die Eltern für 44 Prozent. Um die Lücke von 14 Prozentpunkten schließen zu können, müssten 72.600 neue Kitaplätze geschaffen werden. Für die Kinder ab drei Jahren liegt die Lücke laut Studie nur bei 4 Prozentpunkten. Hier wären 29.000 zusätzliche Plätze notwendig.
Bundesweit fehlen laut Studie voraussichtlich rund 384.000 Plätze. Besonders im Westen Deutschlands, wo 362.400 zusätzliche Betreuungsplätze gebraucht werden, gibt es demnach gegenüber dem Osten mit 21.200 benötigten Plätzen eine große Versorgungslücke. Um der Nachfrage gerecht zu werden, müssten im Westen 93.700 Fachkräfte und im Osten 4900 eingestellt werden, teilte die Stiftung am Donnerstag mit. Das ergebe zusätzliche Personalkosten von insgesamt 4,3 Milliarden Euro pro Jahr.
Große Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland
Grundlage der Berechnung, die der dpa vorab vorliegt, sind Erhebungen aus dem Jahr 2021. Die Analyse ergibt für fast alle Bundesländer, dass die Nachfrage der Eltern nach Kita-Plätzen höher ist als der Anteil an Kindern, die im vergangenen Jahr in Betreuung waren. Der größte Mangel besteht demnach im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 101.600 fehlenden Kita-Plätzen. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sei dagegen kein Ausbau der Plätze nötig.
Der Ausbaubedarf ist den Berechnungen zufolge für Kinder unter drei Jahren am höchsten. Demnach fehlen für diese Gruppe in Westdeutschland rund 250.300 Kita-Plätze, in Ost-Deutschland - inklusive Berlin - sind es rund 20.700.
Seit 2013 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, für Kinder ab drei Jahren besteht er schon seit 1996. Auch im kommenden Jahr werde dieser Rechtsanspruch nicht erfüllt, beklagen die Studienautoren.
Experten fordern Sofortmaßnahmen gegen Fachkräftemangel
Verbände und Gewerkschaften haben sich empört über die Ergebnisse der aktuellen Bertelsmann-Studie zur Kita-Betreuung in Deutschland geäußert und Sofortmaßnahmen gegen den Fachkräftemangel gefordert. „Die heute veröffentlichten Ergebnisse zeigen einmal mehr erschreckend deutlich: Die Bildungs- und Betreuungsqualität in den Kitas ist massiv gefährdet, der Mangel an Fachkräften ist eklatant, das Platzangebot reicht bei weitem nicht aus!“, erklärte am Donnerstag etwa der Vorsitzende des Verbands für Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann.
Der VBE-Vorsitzende sprach von einem „politischen Versagen“, dass die Zukunft der Kinder gefährde. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz werde „ad absurdum“ geführt, sagte er. Die Personallage in den Einrichtungen entspreche zunehmend einer „Notversorgung“, die die Bildungsungerechtigkeit verstärke. Es brauche eine Fachkräfteoffensive und bessere Arbeitsbedingungen.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, forderte mehr Anstrengungen von Bund und Ländern. Es müsse in allen Ländern Ausbildungsgehälter für die angehenden Erzieher geben, erklärte Dedy. Die Kommunen könnten die Investitionen nicht alleine schultern.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) pocht darauf, die Erzieher-Ausbildung flächendeckend zu vergüten. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack erklärte, dass es wichtig sei, mehr Quereinsteigern, etwa über berufsbegleitende Modelle, den Weg in die Kitas zu ebnen. Bei der Weiterentwicklung des neuen Kita-Gesetzes ab 2023 müssten Bund und Länder dringend Priorität auf die Gewinnung von Personal legen, sagte Hannack.
dpa