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Kirchliche Segens-Verweigerung für Homosexuelle ist grotesk
Meinung
Die Katholische Kirche verweigert homosexuellen Paaren ihren Segen. Als ob diese sich so frei für ihre Sexualität entscheiden können, wie auf die Frage, ob sie eine Hose kaufen oder klauen.
Woher, um Himmels willen, soll man eigentlich noch Argumente holen, um weiter der Katholischen Kirche anzugehören? Die offizielle Kirche, wie sie sich in bischöflichen oder vatikanischen Verlautbarungen zu Wort meldet, ist ganz offensichtlich auf dem besten Weg, sich komplett von den Menschen zu verabschieden, um die sie sich von ihrem biblischen Auftrag her eigentlich kümmern müsste.
Jüngstes Beispiel ist die in diesen Tagen mit dem Segen von Papst Franziskus veröffentlichte Antwort der Glaubenskongregation auf die Frage, ob Geistliche homosexuelle Partnerschaften segnen dürfen. Die Antwort aus Rom könnte klarer nicht sein: Nein, dürfen sie nicht. Die Begründung: Gott „segnet nicht die Sünde und kann sie nicht segnen“, womit klar sein dürfte: Für den Vatikan ist Homosexualität eine Sünde, also etwas, zu dem man sich aus freien Stücken entschließen kann oder eben auch nicht.
Das ganze Thema wäre demnach also vergleichbar mit der Frage, ob ich mir eine Hose kaufe oder klaue. Mit dieser wissenschaftlichen Einschätzung, dass Homosexualität beispielsweise nichts mit einer Veranlagung zu tun hat, steht die Kirche fest in der Tradition von 1633. Seinerzeit zwang die Heilige Inquisition – das war der Vorläufer der jetzt für den aktuellen Text verantwortlichen Glaubenskongregation – Galileo Galilei, seine Behauptung zu widerrufen, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das nennt man Kontinuität.
Die Kirche könne den Menschen, den Sünder, segnen, damit „er sich verändern lässt“, aber niemals die Sünde, heißt es in dem aktuellen Papier. Daher seien alle Beziehungen mit sexuellen Kontakten, die sich außerhalb der kirchlich geschlossenen Ehe zwischen Mann und Frau mit der Perspektive der Zeugung von Nachkommen abspielten, nicht „Teil des geoffenbarten Plan Gottes“ und daher unstatthaft. Ein Segen dafür komme nicht in Frage.
Der offizielle Text des Papiers ist in lateinischer Sprache geschrieben – einer Sprache, die außerhalb des Vatikans heute niemand mehr aktiv spricht. Aber auch wenn sie in jeder aktiven Sprache dieser Welt geschrieben worden wäre, würde sie dadurch keinen Deut verständlicher. Der Text geht so weit an der Lebenswirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert vorbei, dass man sich ernsthaft fragen muss: Gibt es eigentlich irgendjemanden im Vatikan, der in den vergangenen Jahrzehnten auch nur einmal den Weihrauchdunst der prachtvollen Kirchen ebenso hinter sich gelassen hat wie seine pompösen, Glanz und Gloria versprühenden Gewänder und hinabgestiegen ist in das Leben ganz normaler Menschen? Ich habe da meine Zweifel.
Das Ganze ist, wenn man ein wenig tiefer schaut, geradezu tragisch. Es ist ja nicht so, dass Tausende Homosexuelle seit Jahren bittend und bettelnd vor den Kirchen stehen und den Segen des Priesters erflehen. Die meisten haben mit der Katholischen Kirche ohnehin seit langem nichts mehr am Hut – was die Kirche aber nicht kümmert. Den „verlorenen Schafen“ hinterherzulaufen, wie es Jesus in der Bibel seinem „Bodenpersonal“ ins christliche Auftragsbuch geschrieben hat, hat der Großteil der handelnden Personen meiner Einschätzung nach seit langem aufgegeben.
Wenn aber zwei homosexuelle Menschen in Liebe zueinander und zu Gott ihren Glauben innerhalb der katholischen Kirche leben und bezeugen wollen, füreinander da sein wollen und dazu den Beistand ihres Gottes erbitten, dann sind das einige der ganz wenigen Schafe aus der einstmals großen Herde, die ihrer Kirche noch geblieben sind. Ihnen diesen Segen zu verweigern, ist grotesk. Das riecht nach meinem Geschmack viel eher nach Sünde als jeder Segen für ein homosexuelles Paar.
Das gilt umso mehr, als – wenn man sich denn auf die kirchliche Argumentation überhaupt einlassen will - die handelnden Personen eben jene sind, die sehr, sehr großzügig mit den Sünden in den eigenen Reihen umgehen. Wie war das noch mit der Geldverschwendung des Bischofs von Limburg, Tebartz-van Elst, der für seine Protzerei mit einem hübschen Posten im Vatikan belohnt wurde? Wie ist das mit den Priestern und anderen Seelsorgern, die jahrzehntelang Kinder auf schändlichste Weise missbraucht haben?
Wie ist das mit den Bischöfen und Generalvikaren, die die Täter vor Verfolgung schützten, sie an andere Orte versetzten, wo sie weitere Kinder ungestraft missbrauchen konnten? Wie ist das mit den Opfern all dieser Taten und ihren oft lebenslangen Schäden, die im Gegenzug allein gelassen wurden? Wie ist das mit der Kirche, die sich bis heute eher um ihr makelloses Image als um das radikale Ausmisten dieses Missbrauchs-Saustalls sorgt?
Wie ist das noch mit den Kindern von Priestern, die ihren Eid auf ein zölibatäres Leben gebrochen haben? Offizielle Zahlen dazu gibt es nicht, aber Betroffenen-Initiativen berichten von mehreren tausend Fällen allein in Deutschland. Die Kirche zwingt solche Priester zur Entscheidung: Beziehung und Kind verleugnen oder den Job aufgeben. Was mutet die Kirche da den Priestern, ihren heimlichen Geliebten, ihren öffentlich verleugneten Kindern zu?
Eine Kirche, für die Heuchelei, Bigotterie und der äußere Schein wichtiger sind als die Sorge um die ihr anvertrauten Menschen, die hat irgendwann ein echtes Problem. Dabei ist es noch nicht einmal entscheidend, dass ihre Mitglieder irgendwann nicht einmal mehr zur Kenntnis nehmen, was die Kirche zu sagen hat – weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass die Kirche ohnehin nur noch Fragen beantwortet, die niemand mehr stellt und selbst eher scheinheilig als heilig agiert.
Viel entscheidender ist, dass die Kluft zwischen der Kirche und der einfachen, klaren Botschaft der bedingungslosen Nächstenliebe ihres Gründers Jesus Christus immer unüberbrückbarer wird. Das ist fatal, denn die religiöse Sehnsucht der Menschen nach Halt und Orientierung ist auch im 21. Jahrhundert groß. Zum Glück gibt es noch immer wunderbare Seelsorger – Priester, Ordensleute, nicht geweihte Hauptamtliche, die auf diese Sehnsucht zu antworten verstehen. Die katholische Kirche als Ganzes allerdings behindert selbst diese Glanzlichter unter den Hirten mehr als dass sie sie unterstützt und fördert. So muss sie aussehen, die perfekte Strategie zur Selbstzerstörung.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
