Wertvolle Tipps für Eltern parat haben Alexandra Pyrkosch (r.) und Odilia Plietker vom Kinderschutzbund Kreis Unna sowie Katja Kortmann vom Familienbüro in Holzwickede.

Wertvolle Tipps für Eltern parat haben Alexandra Pyrkosch (r.) und Odilia Plietker vom Kinderschutzbund Kreis Unna sowie Katja Kortmann vom Familienbüro in Holzwickede. © Kevin Kohues

Kindesmissbrauch: Auf welche Alarmsignale Eltern achten sollten

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Es ist eine Horrorvorstellung für jede Mutter und jeden Vater: Dem eigenen Kind wird sexuelle Gewalt angetan. Das Thema ist hart, aber gewiss keins zum Totschweigen. Denn die Zahlen steigen.

von Kevin Kohues

Kreis Unna

, 20.10.2022, 14:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Das Familienbüro in Holzwickede hat sich in relativ kurzer Zeit zu einer gefragten Anlaufstelle für Eltern entwickelt. Katja Kortmann besucht nicht nur Familien, die gerade Nachwuchs bekommen haben, sondern empfängt im Büro an der Hauptstraße 28 (neben Schuhmacher Meiritz) auch Besuch zu Beratungsgesprächen.

Es gibt regelmäßig Informationsveranstaltungen und Austausch, neuerdings sogar einen Vätertreff, der sehr gut angelaufen ist. Großes Interesse zog neulich auch ein Besuch des Kinderschutzbundes auf sich: Odilia Plietker und Alexandra Pyrkosch informierten über ein besonders sensibles Thema: Kindesmissbrauch.

Unsere Redaktion war dabei und hat die wichtigsten Fragen und Antworten für Eltern zusammengefasst.

Lügde, Münster, Bergisch Gladbach: In der jüngeren Vergangenheit gab es viele Berichte über regelrechte Missbrauchs-Netzwerke und eine erschütternde Vielzahl von Fällen. Sind die Zahlen wirklich so stark gestiegen?

Ja. Das lässt sich an der Polizeilichen Kriminalstatistik eindeutig ablesen. Geradezu explosionsartig sind die Fälle von Kinderpornografie angestiegen, was nicht nur mit den großen Missbrauchskomplexen zu tun hat. Häufig stecken laut den Expertinnen vom Kinderschutzbund hinter der Verbreitung von kinderpornografischen Bildern und Videos Jugendliche, die das Material selbst über Messenger-Dienste mit Freunden teilen.

Die Statistik bildet bundesweite Zahlen und naturgemäß nur das sogenannte Hellfeld ab. Das Dunkelfeld sei um das Zehn- bis 30-fache höher. „Viele Fälle werden nicht zur Anzeige gebracht“, erklärt Odilia Plietker. „Die WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anm. d. Red.) geht aber davon aus, dass pro Schulklasse ein bis zwei Kinder betroffen sind, die eine Form von sexueller Gewalt erlebt haben oder erleben.“

Weitverbreitet ist das Bild vom bösen Mann, der im Auto lauert und Kinder mit Süßigkeiten anlockt. Ist das wirklich das häufigste Täterbild?

Nein. Nur ganz selten seien fremde Täter für sexualisierte Gewalt verantwortlich. Die überwiegende Zahl der Fälle sei indes der Familie bzw. dem sozialen Nahraum des Kindes zuzuordnen, also zum Beispiel Vater, Opa, Onkel, Stiefvater, Trainer, Mutter oder auch der Nachbarsjunge. Viele Kontakte werden inzwischen freilich auch im digitalen Raum geknüpft (Fortnite, Tiktok, Snapchat, Instagram).

Ein einheitliches Täterprofil, das betonen die Expertinnen, gebe es nicht. Alle sozialen Schichten seien betroffen, heterosexuelle Menschen ebenso wie homosexuelle. Aber: Zumindest in der offiziellen Statistik sind die Täter zu 80 bis 90 Prozent männlich. „Man geht allerdings von einer großen Dunkelziffer an sexualisierter Gewalt durch Frauen aus“, sagt Odilia Plietker.

Zu den Opfern: Sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen?

Ja. Die Opfer sind zu zwei Dritteln Mädchen und nur zu einem Drittel Jungen. Aber auch hier mahnt der Kinderschutzbund zur Vorsicht: „Die Dunkelziffer bei den Jungen gilt als höher, weil sie sich nicht so öffnen wie die Mädchen.“

Welche Kinder sind – unabhängig von ihrem Geschlecht – besonders gefährdet?

Der Erfahrung nach sind Kinder besonders gefährdet, wenn es bereits in der Generation zuvor sexualisierte Gewalt gegeben hat und wenn es in der Familie sehr autoritäre Machtstrukturen gibt (oft zum Nachteil von Mädchen). Und auch dann, wenn es keinen Raum für offene Gespräche gibt und Diskussionen nicht wertschätzend ausgetragen werden können. Grenzüberschreitungen wie bestimmte Berührungen, die das Kind nicht mag, lassen sich im Alltag zwar nicht immer vermeiden, doch es gebe auch Familien, in denen sie als normal empfunden werden.

Woran kann man erkennen, ob das eigene Kind betroffen ist?

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Es gibt kein spezifisches „Missbrauchssyndrom“, alle (Verhaltens-)Auffälligkeiten können auch andere Ursachen haben. Es gibt nur wenige typische körperliche Anzeichen dafür, dass einem Kind sexualisierte Gewalt angetan wurde, etwa Hämatome in der Leistengegend oder Haltemale.

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Unter den psychischen Auffälligkeiten besonders beobachtet würden ein sexualisiertes Verhalten des Kindes (Zungenküsse, Beine spreizen, sich Gegenstände in Körperöffnungen stecken oder versuchen, das bei anderen zu tun) und eine sexualisierte Sprache. Auch Einnässen und/oder Einkoten komme bei Opfern immer wieder vor. Oft haben sie zudem ein geringes Selbstwertgefühl, sind geplagt von Selbstzweifeln bis hin zu Selbsthass (Objekt der Lustbefriedigung: wertlos, verachtenswert).

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Was kann ich als Mutter oder Vater tun bei einem schlechten Bauchgefühl?

Zuallererst empfiehlt der Kinderschutzbund: Ruhe bewahren, beobachten und ggf. dokumentieren, außerdem Gesprächsbereitschaft signalisieren und ggf. nach geeigneten Gesprächspartnern schauen. Rat und Begleitung bieten der Kinderschutzbund, auch über die Nummer gegen Kummer (116 111), die Frauen- und Mädchenberatungsstelle (Frauenforum Unna), die Erziehungsberatungsstelle des Kreises Unna oder der Allgemeine Soziale Dienst der Jugendämter.

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