Braucht die Wagner-Welt noch Superhelden mit Schwert oder eher starke Frauen, die Helden schmieden? „Siegfried“ von Peter Konwitschny ist ein Helden-Azubi; es hat Spaß gemacht, ihm in der Premiere am Samstag im Dortmunder Opernhaus beim Wachsen zuzuschauen.
Konwitschnys Personenführung ist großartig, und er unterhält glänzend. Wie in seiner „Walküre“ gibt es Regie-Einfälle, die schmunzeln lassen und klug sind. Da tappst zu Beginn ein Bär auf die Bühne und geht mit Mime auf Kuschelkurs. Um Feuer zum Schmieden zu machen, zerlegt und verfeuert Siegfried kurzerhand das Mobiliar in Mimes ärmlicher Wohnküche. Und das Horn, das Siegfried bläst, wird von Philharmoniker Jan Golebiowski amüsant gedoubelt.
Das Orchester ist der Held
All das macht Spaß, und die Ausstattung von Johannes Leiacker ist detailverliebt: Mama Mime ist mit Kittel am Herd wie Bruder Alberich vom Geschlecht „Zwerg Nase“. Und auf der Matratze hat das Blut, das Sieglinde bei Siegfrieds Geburt hinterlassen hat, Kruste angesetzt.
Gesungen und gespielt wird in Dortmund (mit zwei Bayreuth-Sängern) auf Weltklasse-Niveau. Aber die eigentlichen Helden sind die Dortmunder Philharmoniker und Generalmusikdirektor Gabriel Feltz. Die lassen im Graben Klänge wogen; bei Wagner ist dieses Orchester schon jetzt Deutscher Meister, wie die Oper.

Nach dem zweiten Abend (Konwitschnys „Ring“ begann 2022 mit der „Walküre“) und mit dem Wissen, wie der Regie-Altmeister die „Götterdämmerung“ inszeniert (es ist die Übernahme seiner „Götterdämmerung“ 2000 in Stuttgart) erkennt man doch einen roten Faden, den Konwitschny zerschneiden wollte: Vielleicht geht dieser „Ring“ mal als „Konwitschnys Kistenring“ in die Geschichte ein, als Tetralogie der kleinen Räume?
Im „Siegfried“ ist es ein Container-Dorf, das in einem ärmlichen Plattenbau-Vorort aufgebaut ist. Dort, wo man Straßen-Gangs vermutet, schlakst Jung-Siegfried um die Häuser. Er ist der Typ „Tapferes Schneiderlein“, der in Fafners Container im Handumdrehen zwei auf einen Streich (den Riesen / Drachen Fafner und den Zwerg Mime) erledigt und in der Protz-Badewanne in Fafners mit Gold tapaziertem Edel-Container zur letzten Ruhe bettet.
Wahnsinns-Brünnhilde
Daniel Frank ist Siegfried, nicht so heldisch im Gesang wie 2022 als Siegmund, aber er ist auch in der Schlussszene der Riesenpartie noch gut bei Stimme. Stéphanie Müther ist eine Wahnsinns-Brünnhilde, mit Riesen-Sopran, stark wie ein Fels, kraftvoll in der Höhe, glutvoll und wogend. Ihr Bayreuth-Kollege Thomas Johannes Mayer singt mit wendigem Bariton den Wanderer, der bei Konwitschny ein Jogger in Ballonseide ist.
Spaß macht Matthias Wohlbrecht als kauziger, auch im Spiel überragender Mime. Und Morgan Moody hat als Alberich viele Farben in seinem Bariton. Aude Extrémo ist eine Erda mit einer Stimm-Urgewalt, die aus dem Mittelpunkt der Erde (nicht wie bei Konwitschny aus der Tiefkühltruhe) zu strömen scheint. Denis Velev singt Fafner mit Drachen-Hall unterlegt, und Alina Wunderlin ein Waldvögelchen, das auch tanzen kann.
Zerstörung der Natur
Die Zerstörung der Natur zieht sich durch die Inszenierung. Zu Beginn fällt – wie in der „Walküre“ – knarzend ein Ast der Weltesche vor dem Vorhang. Im ersten Akt, in Mimes Höhle, ist der Wald nur eine künstliche Fototapete auf Container-Wänden.
Im zweiten Akt, wenn Siegfried den Waldvögeln lauscht, ist Natur dem Beton gewichen. Und Brünnhildes Schlaf auf dem Felsen hat Grane gar nicht überlebt; das treue Ross liegt als Skelett auf der komplett kahlen Bühne.
Fortsetzung in 2024
Riesenjubel für Sänger, Orchester, Dirigent und Regie-Team. Konwitschnys Ring an der Ruhr ist ein Muss. Am 9. Mai 2024 gehts weiter – mit dem Sprung zurück zum „Rheingold“.
Termine: 29. 5., 4. / 10. 6. 202; Karten: Tel.3(0231) 502 72 22 oderHier gibt es Karten
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