Eigentlich soll es ja in Mozarts Oper, wie der Titel schon sagt, um die „Hochzeit des Figaro“, eines Bediensteten im Hause des Grafen Almaviva, mit der dort ebenso beschäftigten Susanna gehen.
Doch dann wird diese Verbindung - wie der Ehestand insgesamt - gründlich in Frage gestellt. Den Anlass dazu gibt vor allem der Graf, der, obwohl verheiratet, auf Liebesabenteuer aus ist. Und dann ist da auch noch der junge, in der Wahl der Liebschaften äußerst zwanglose Page Cherubino.
Romantisches Setting
Liebe und Lust jedenfalls macht der Niederländer Floris Visser zum Hauptthema seiner turbulenten, in sich stimmigen, in den ersten beiden Akten zudem sehr kurzweiligen Essener Inszenierung.
Gideon Daveys Drehbühne verortet das Ganze dabei - TV-Serien wie „The Crown“ lassen grüßen - in den Innenräumen eines neoklassizistischen englischen Herrenhauses vor etwa 100 Jahren. Ein edles, romantisches Setting.

Allegorische Dimension
Zum spielfreudigen elfköpfigen Sängerensemble treten bei Visser zur Verdeutlichung seiner Intentionen zusätzlich zwei, fast durchgängig anwesende, streitbare allegorische Figuren.
Während Mick Morris Mehnert als beflügelter, ansonsten nur mit einem Lendenschurz bekleideter Cupido für die monogame Liebe kämpft, propagiert James Michael Atkins als Satyr mit Hörnern und Hufen wilde, ungebundene Leidenschaft.
Schwungvollen Soundtrack
Letzterer dringt nicht nur von außen (aus dem Orchestergraben) in die „heile Welt“ ein, sondern lässt zuletzt auch die Natur selbst - und damit das Naturhafte - ins Haus.
Tomás Netopil, der Essen zum Ende der Spielzeit als Generalmusikdirektor verlässt, steuerte dazu mit den Essener Philharmonikern einen von großer Sorgfalt geprägten, warmen, schwungvollen Soundtrack bei. Nur die Tempovorgabe für die Auftrittsarie des Cherubino geriet überzogen schnell.

Gut bis in die Nebenrollen
Seine auch in den zahlreichen Ensemble-Nummern gut miteinander harmonierenden Mozart-Solisten wurden angeführt von drei Kräften des Hauses: Baurzhan Anderzhanov sang einen hinreißenden Figaro mit erfrischendem, kernig-sattem Bariton. Der Graf des Tobias Greenhalgh konnte es in Bezug Gesang durchaus mit ihm aufnehmen.
Jessica Muirhead berührte mit gewohnt homogener Stimmführung als vernachlässigte Gräfin. Die Susanna der gastierenden Markéta Klaudová steigerte sich im Laufe des Abends zu ebenbürtiger adliger Größe. Miriam Albano überzeugte als knabenhaft agierender Cherubino mit adäquat vibrierendem, sehr beweglichem Mezzosopran.
Musikmeister zum Priester
Glanzlichter in kleineren Rollen setzten insbesondere Uwe Eikötter als - hier vom Musikmeister zum Priester beförderter - Basilio und Natalija Radosavlijevic als Barbarina.
Christopher Bruckman begleitete die Rezitative pointiert und leicht am Hammerklavier. Das Premierenpublikum feierte diese letzte Essener Opernproduktion der Saison verdientermaßen mit Ovationen.
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