Abgehängt, nicht gefragt, vergessen – drei Fröndenberger Gesamtschüler schildern, wie es ihnen so geht in der Pandemie. Mathis, Yannis und Tim nehmen dabei kein Blatt vor den Mund.
Arme ausbreiten, die Fingerspitzen dürfen sich nicht berühren: Mathis, Yannis und Tim passen auf, dass sie sich fürs Interview nicht zu nah kommen. Die drei Gesamtschüler sind gerade in der 10. Stufe – und versuchen ihre Laune trotz Pandemie oben zu halten. Nicht leicht, denn täglich neue Anforderungen und das Gefühl, nicht gefragt zu sein, das macht den Jungs zu schaffen.
Das Trio ist sich einig – für Corona-Leugner und Querdenker, Maskenverweigerer und Corona-Party-Gäste haben sie nur nicht druckreife Schimpfwörter übrig: „Wegen denen haben wir Ausgangssperre", fasst Mathis Kaudelka zusammen. Sie sind gut informiert, wissen über exponentielles Wachstum genauso viel wie über Vermeidungsstrategien bei Infektionslagen.

Sie werden nicht gefragt. Mathis, Yannis und Tim versuchen das Beste aus dieser öden Zeit zu machen. Ein bisschen Planungssicherheit täte ihnen gut, meinen sie – tatsächlich erleben sie aber ständig veränderte Anforderungen. © Martin Krehl
Kinder und Jugendliche werden nicht gefragt
Die Jungs werden ungeduldig. „Ich glaube, wir sind alle todesgenervt von den ganzen Regeln, die wir beachten müssen und die sich doch andauernd wieder ändern". Mathis Kaudelka, 16 Jahre jung, meint, dass nach so langer Pandemie-Zeit allmählich verbindlichere Strategien entwickelt sein müssten.
Insofern sind Mathis, Tim und Yannis sehr enttäuscht von den Anstrengungen staatlicher Stellen. Sie selbst scheinen da auch gar nicht vorzukommen: „Uns fragt ja niemand", konstatiert der 17-jährige Tim Brambach.
Jetzt will die Wissenschaft festgestellt haben, dass sie in der Schule pandemie-bedingt knapp die Hälfte des Stoffes gelernt haben – das sei schlicht falsch. Musterschüler würden sie sich alle drei nicht nennen, aber dass so gar nicht realisiert wird, wie anstrengend die einsame Arbeit im Homeschooling ist und was sie dennoch alles pauken und zu verstehen versuchen. Yannis Löffler ist sicher, dass es weit mehr als die Hälfte des vorgesehenen Stoffes ist.

"Schützenfest!!!" – mit drei Ausrufezeichen, das ist Tim Brambachs Antwort auf die Frage, was es denn nach überstandener Pandemie als Erstes wieder geben muss. Nicht wegen des Vogelschießens, sondern wegen der sorgenfreien Geselligkeit. © Martin Krehl
Abgesehen von den Fertigkeiten im Umgang mit der IT, die von ihnen alleine zuhause erwartet wird – zum Schulalltag unter Corona gehört viel Selbstdisziplin, viel Motivation und Mobilisierungskraft. Sie müssen sich oft alleine weiterhelfen, müssen wissen, wie sie im Internet recherchieren und verlässliche Quellen erschließen. „Wir sind jetzt in der EF, der Einführungsphase vor der Oberstufe, gerade jetzt bräuchten wir mehr Anleitung“, sagt Tim.
Trio sieht Kontakt zu den Lehrern als ungenügend an
Latein oder Chemie – das gehe praktisch gar nicht ohne Lehrerbegleitung, die sei aber im Fernstudium nur begrenzt verfügbar. „Da hätte ich mir viel mehr Kontakte zu den Lehrern gewünscht“, meint Yannis. Die Noten aus der EF zählen zwar noch nicht fürs Abi, aber man möchte doch die Versetzung in die Q1, also in die 11. Klasse, schaffen.

Yannis Löffler findet es bedenklich, dass die Diskussionen über das Corona-Management so polarisiert geführt werden: "Es gibt immer nur Totschlagargumente auf beiden Seiten". © Martin Krehl
Rein in die Schule, raus aus der Schule, Wechselunterricht, Distanzunterricht – die Planlosigkeit und das fast immer überstürzte Handeln der Regierung bekommen sie hautnah zu spüren. „Das schlägt voll in unser Leben durch, wir wissen keinen Tag, wo wir in der nächsten Woche dran sind." Tim Brambach und seine Freunde haben kein Verständnis dafür, dass Weisungen aus dem Düsseldorfer Schulministerium immer freitags am späten Nachmittag die Schulen erreichen und montags um 7 Uhr schon gelten.
Die Tests, die sie demnächst machen sollen, wenn sie denn mal wieder zur Schule dürfen, finden alle drei Jungs vernünftig. „Aber das wäre schon krass, positiv zu sein und als Einziger raus zu müssen", meint Mathis. Aber immer noch besser, als es nicht zu wissen und die halbe Stufe anzustecken.
Angenehme Seiten des Lebens nicht als selbstverständlich betrachten
2022 wird ein einziges Partyjahr, da gebe es Nachholbedarf ohne Ende, meint das Trio. Tim vermisst sein Schützenfest. Mathis das Fußballstadion. Jetzt lerne man, so richtig Dinge zu genießen, die früher selbstverständlich waren. Einfach mal spontan die Kumpels sehen. Mathis möchte seine Großeltern treffen und den Rest der Familie. Seine Schwester hat ihren 18. Geburtstag nicht feiern können, den 19. auch nicht.

Mathis Kaudelka meint, dass 2021 ein insgesamt verlorenes Jahr für seine Generation sein wird: "Wir haben keine Chance, uns weiter zu entwickeln, gefühlt treten wir die ganze Zeit auf der Stelle". © Martin Krehl
„Wir werden eine neue Normalität entwickeln", sagt Yannis. Vielleicht werde man eine Möglichkeit haben, für spätere Zeiten zu verhindern, dass junge Leute nicht gefragt werden. „Natürlich werden wir komplett übergangen. Das ist doch so, als ob die uns vergessen haben", sagt Mathis. Yannis fürchtet, seine Meinung und die der Menschen in seinem Alter seien denen, die zu entscheiden haben, zu unbequem.
Lieber würden die großen Unternehmen gefragt, die Wirtschaft – warum die Jugend so wenig an ihrer Zukunft mitwirken kann, das sei so ähnlich wie mit dem Kulturbereich. Bei ihnen werde einfach mal in Kauf genommen, dass Schäden entstehen – oder anders: Schülerinnen und Schüler müssen testen und zu Hause lernen, der Wirtschaft verlange man das nicht ab.
Tim hat aufgehört, die Corona-Statistiken zu verfolgen: „Das ist so konfus". Ob es nach der Pandemie mehr Achtsamkeit und Solidarität geben werde? Dreifaches Achselzucken, an ihnen soll es aber nicht liegen.
Jahrgang 1959, arbeitet nach langen Redakteurs-Jahren in der Region Südwestfalen wieder wie vor 40 Jahren als freier Mitarbeiter. „Alles außer Sport“ ist seine Devise; am liebsten schreibt er Portraits und mag im Lokalen besonders die Kultur.
