Als Gefängnisarzt hat Joe Bausch den Kittel mittlerweile endgültig an den Haken gehängt. Im Kölner Tatort mimt er aber weiterhin den Gerichtsmediziner Dr. Roth. Und das schon seit 23 Jahren.

Dortmund

, 17.11.2020, 14:58 Uhr / Lesedauer: 5 min

Neben den Ermittlern Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) gehört Joe Bausch in der Rolle des Gerichtsmediziners Dr. Joseph Roth zum festen Bestandteil des Kölner Tatorts. In verschiedenen Rollen war der Schauspieler und ehemalige Gefängnisarzt der JVA Werl aber schon davor in Tatort-Filmen zu sehen. Im Interview spricht er über seine innige Beziehung zur Reihe und den Erfahrungen mit Fans.

Herr Bausch, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an 50 Jahre Tatort denken?

Ich bin alt! - Das ist das erste. Wenn man das Format von Anfang an kennt, dann weiß man halt, dass man älter ist. Ich bin 67, da kannst du ausrechnen, dass ich irgendwo dann mit 17 meine ersten Tatort-Filme geguckt habe. Zum anderen bin ich jetzt seit 25 Jahren regelmäßig vor der Kamera mit dabei. Das ist schon fast undenkbar. Dass Formate wie Tatort sich so lange tragen und immer wieder neu erfinden, das ist in den letzten 15 bis 20 Jahren eher die Ausnahme als die Regel.


Irgendwo ist es natürlich geil wenn du weißt, das gibt es schon seit 50 Jahren und die Hälfte der Zeit bist du schon dabei. Das ist wie bei einer Ehe: Silberhochzeit habe ich jetzt, Goldene Hochzeit ist's für alle, die von Anfang an dabei sind. Mein erster Job als Schauspieler beim Tatort war schon früher. Das war im Schimanski-Film „Zahn um Zahn“. Da kriege ich jetzt noch ein bisschen Gänsehaut, weil ich meine, ich war damals eine kleine Nummer. Götz George und Eberhard Feik so unmittelbar zu erleben und mit denen spielen zu dürfen, war aufregend.

Seit es den Tatort gibt, verfolgen Sie ihn auch?

Absolut. Also, ich verfolge natürlich nicht mehr alle. Das schafft man mittlerweile nicht mehr. Früher war das einfacher, da gab’s nur einen oder zwei. Aber dann ging die Tendenz immer mehr zum Lokalkolorit, sodass jede Stadt irgendwann mal gemerkt hat, dass man so eine tolle Marke haben wollte. Das wurde nicht mehr als Schmuddelnummer wahrgenommen, die man in München lassen wollte. Von da an wollte jeder „seinen“ Tatort.

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Jeder Regisseur, der irgendwann mal etwas Großes machen will, der muss heute über den Tatort dahin. Und jene, die tolles Kino machen, werden für den Tatort angefragt. Das ist schon spannend, finde ich. Ich weiß nicht, ob das weiter so tragen wird, oder ob die Jungs bald sagen: Okay, ich warte doch nicht auf den Ruf zum Tatort, sondern mach halt selber was für Netflix. Also man hat schon das Gefühl, wenn man beim Tatort mitmachen darf, dann ist man in der Bundesliga relativ weit oben.

Und wenn man in die Bundesliga berufen wird, dann zögert man nicht?

Natürlich nicht. Wenn du gefragt wirst, ob du dir vorstellen kannst, da mitzumachen, und du weißt, dein Auftritt kommt nach diesem wunderbaren Opener mit Klaus-Doldinger-Musik, den du natürlich von Kindesbeinen kennst, dann greifst du zu. Das befördert ja auch Karrieren.

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Du kannst geiles Theater machen, das gucken sich ein paar tausend Leute an. Oder du kannst Kino machen, dann hast du 300.000 Zuschauer. Aber dass du 10 oder 14 Millionen an einem Abend erreichst, das ist schon eine echte Hausnummer. Obwohl man sich manchmal schon fragt, warum der Tatort eigentlich immer noch so erfolgreich ist.

Der Tatort erfindet sich immer wieder neu.

So ist das. Es ist halt wie Omo oder Persil: Diese Waschmittel werden auch immer wieder mit neuer Reinigungsformel auf den Markt gebracht. Die müssen sich immer wieder neu erfinden. Das braucht man halt. Deshalb gibt es auch so viele verschiedene Tatort-Filme mit so vielen verschiedenen Ermittler-Teams.

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Also wir haben ja gar nicht so viele Sonntage wie es mittlerweile Ermittler beim Tatort gibt. Wir müssten jeden Sonntag mindestens einen Tatort-Film senden, dann kämen wir so halbwegs hin. Dann dürfte aber sonst sonntags nichts anderes gesendet werden. Keine Wahlen, kein anderes Gedöns. Also nur noch Tatort. Wir haben nicht genug Sonntage, also deshalb gehen wir schon auf Freitag oder Samstag Abende.
Jetzt fängt schon so langsam der Verteilungskampf um die besten Sendeplätze an. Du willst ja nicht gegen Fußball laufen, du willst nicht gegen den großen Spendenmarathon antreten. Und trotzdem tun wir es und es läuft.

Es läuft wohl so gut, dass das Format Tatort sogar die Lindenstraße überlebt hat.

Bei der Lindenstraße dachte ich auch, dass das meine Enkel noch gucken würden. Aber das Format war ja von Beginn an als Serie angelegt. Beim Tatort war das ursprünglich anders. Tatort war erst ein Fernsehspiel.
Erst durch die Schimanski-Krimis ist das serielles Erzählen geworden. Von da an, musste man das möglichst regelmäßig anschauen. Heute, da musst du die Ermittler „kennen“, ihre Schicksale im Privaten mitverfolgen.

Beim Kölner Tatort, da kennst du nicht nur den Schenk. Du kennst auch seine Mama. Den Vater von Ballauf hat man auch kennengelernt. Man weiß um die Familiengeschichten.
Das ist horizontales Erzählen. Ich kann mich erinnern, dass Klaus Behrendt
mal ein Drehbuch gelesen hatte und zu mir meinte: „Der Autor weiß nicht, dass der Ballauf jetzt seit ewigen Zeiten im Hotel Paradiso wohnt. Im Buch lebt er auf einmal in einem Loft. Wo kommen wir denn da hin?“

Regisseur Dominik Graf hat es so formuliert, dass er die Shitstorm-Tatorte, also die Filme, über die sich viele im Netz aufregen, am besten findet.

Die Aufreger sind eigentlich immer die gleichen, aber das ist auch gut so. Seitdem ich mit Lesungen unterwegs bin, erlebe ich immer wieder Leute, die mich direkt darauf ansprechen, was im Tatort passiert und welche Meinung sie zu dem ein oder anderem Film haben. Das sind aber nicht nur Ältere, die das diskutieren wollen, was sie da gesehen haben. Da sind genug junge Leute dabei.


Die sitzen auch zusammen mit der Familie abends vorm TV, wenn Tatort läuft, oder treffen sich mit Freunden beim Tatort-Public-Viewing in der Kneipe. Mit sowas haben die Erfinder des Formats damals sicher auch nie gerechnet. Am Rande einer meiner Lesungen bin ich mal in einem Lokal gewesen, da hat man mich gefragt, ob ich noch länger bleiben könnte, um beim Rudelgucken des Kölner Tatorts mit dabei zu sein.

Sind Sie in dem Lokal geblieben?

Nein, ich musste weg. Die Vorstellung, dass ich inmitten von Leuten etwas anschaue, bei dem ich mitwirke und was ich zuvor selbst nicht vorab gesehen habe, war mir irgendwie zu intim. Also, man war beim Dreh dabei, aber weiß nicht, wie die das Material am Ende geschnitten haben. Ist man jetzt zu sehen oder redet man jetzt nur aus dem Off?

Schauen Sie sich den Kölner Tatort also auch erst bei der Ausstrahlung an?

Zumeist in der Mediathek, da muss ich nicht pünktlich um viertel nach acht einschalten. Ich bin aber auch ein großer Fan von den Dortmunder Tatorten. Das schon von Anfang an. Ich weiß, wie sehr die darum gekämpft haben, eigene Tatort-Folgen zu bekommen.

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Der Tatort ist auch immer schon eine Reihe gewesen, die den Menschen die Mentalität der Typen und das Bild der Landschaften anderswo vermittelt hat. Mein Bild des Ruhrgebiets, bevor ich ins Ruhrgebiet kam, um hier zu studieren, war maßgeblich geprägt von Hansjörg Felmy und Schimanski. Ansonsten war da noch Wim Wenders Film „Alice in den Städten“, der mir das Ruhrgebiet näherbrachte - ein wunderbarer schwarz-weiß Film mit Rüdiger Vogler. Wenn ich heute gefragt werde, wo ist meine Heimat ist, dann benenne ich das Ruhrgebiet, obwohl ich eigentlich aus Hessen komme. Aber ich bin die längste Zeit meines Lebens jetzt hier.