Jan Costin Wagners abgründige Erzählungen

In Wagners Geschichten geht es immer um Leben und Tod, sie erzählen von der Unberechenbarkeit und Fragilität menschlicher Existenz.

Berlin (dpa)

von Von Sibylle Peine, dpa

, 14.10.2015, 12:20 Uhr / Lesedauer: 2 min

Abgründig: Jan Costin Wagner Foto: Gunter Glücklich/Verlag Galiani

Abgründig: Jan Costin Wagner Foto: Gunter Glücklich/Verlag Galiani

Jan Costin Wagners (43) melancholische und sprachlich brillante Krimis um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa stechen heraus aus einem oft allzu eintönigen Genre. Vor nordisch schwermütiger Kulisse durchleben seine Figuren existenzielle Krisen. Es geht um Tod, Verlust, um Verbrechen, aber auch um Trost, Liebe und Hoffnung. Nach einer Reihe von Romanen legt Wagner jetzt seinen ersten Erzählband vor. Unter dem Titel «Sonnenspiegelung» vereint er Geschichten über Menschen in Ausnahmesituationen.

Eine Familie hat den Vater verloren. Nach einer Fahrradtour ist er vor dem Haus einfach tot zusammengebrochen. Seine Frau, seine Mutter und die Kinder sind wie paralysiert. Sie bewegen sich schattengleich durch eine unwirkliche, schemenhafte Welt.

Auch in der Erzählung «Kleine Monde» versuchen die Protagonisten, das Unfassbare irgendwie in ihren Alltag zu integrieren. Die Geschichte erinnert an eine Episode aus Wagners jüngstem Roman «Tage des letzten Schnees», für die sie wohl auch als Vorlage diente.

Ein Ehepaar wird zu einer Feier bei Freunden eingeladen. Alle versuchen Normalität vorzugaukeln, doch in Wahrheit ist nichts normal oder alltäglich. Denn der Ich-Erzähler und seine Frau haben vor kurzem ihr Kind verloren. Es war ein Autounfall und der Vater fühlt sich mitschuldig am Tod der Tochter. Auf der Party aber wird das Unglück totgeschwiegen: «Es wird nicht zur Sprache kommen. Das, woran alle denken. Einen Abend lang um die Lücke herumsprechen.»

Diese Sprachlosigkeit, das verkrampfte Bemühen um Normalität und die Macht traumatischer Bilder schildert Wagner meisterhaft in knappen, filmischen Sequenzen, die seine eigentliche Stärke sind. Viele seiner Geschichten werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, die dann mosaikartig ein Gesamtporträt ergeben.

Einige von Wagners Erzählungen sind Kurzkrimis, so etwa «Nach stillen Nächten» oder «Weihnachtsengel». In der Titelgeschichte «Sonnenspiegelung» geht es um einen geheimnisvollen Stalker, der ein Ehepaar in Unruhe versetzt und eine Lawine ins Rollen bringt. Immer wieder gelingt es dem Autor, den Leser auf falsche Fährten zu locken und mit überraschenden Wendungen aufzuwarten.

Wagner taucht ein in die seelischen Untiefen seiner Geschöpfe, er zeigt die menschlichen Abgründe, aber auch die Fragilität und Gefährdung unserer Existenz. Das hat zweifelsfrei einen düsteren, pessimistischen Anstrich. Doch es gibt auch gelassene, heitere, fast zärtliche Momente. So werden in der Erzählung «Tanzen» zwei extreme Männerschicksale geschildert, die auf eine Katastrophe zuzusteuern scheinen. Doch am Ende gibt es eine fast wundersame Auflösung, symbolisiert im Bild eines stillen, friedlichen Tanzes.

Jan Costin Wagner: Sonnenspiegelung, Galiani Verlag, Berlin, 192 Seiten, 18,99 Euro, ISBN 978-3-86971-112-6

Sonnenspiegelung