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Iron Dome: Wie real ist der Traum vom Schutzschild im Himmel?
Flugabwehr
Könnten wir uns nicht auch so etwas besorgen wie Israels Iron Dome? Manche scheinen zu hoffen, man könne sich eine Flugabwehr bestellen wie bei Amazon. Die Sache ist leider etwas komplizierter.
Sirenen heulten, Menschen flohen in Bunker: In Aschkelon im Süden Israels gab es im Mai 2021 Luftalarm. Ein nächtlicher Raketenangriff der Hamas war im Gang, offenbar der bislang massivste.
Doch noch während es am Himmel ununterbrochen krachte und blitzte, trauten sich die ersten Augenzeugen schon wieder aus den Kellern und blickten, teils ungläubig, teils voller Bewunderung, nach oben: Israels Iron Dome schien ganze Arbeit zu leisten in dieser Nacht.
Massenhaft wurden heranfliegende Hamas-Raketen zerstört. Mitunter wirkte das Piff-Paff am gespenstisch aufleuchtenden Nachthimmel wie ein Feuerwerk. Phasenweise aber, wenn das Abwehrsystem an seine Kapazitätsgrenzen geriet, steigerte sich der Lärm zu einem einzigen bedrohlichen Dauergeknatter.
„Lösungen für alle Szenarien“
In diesen Momenten wurde es ernst, auch aus Sicht der israelischen Militärs. Ihr System führte jetzt autonom Regie. Den Offizieren blieb nichts anderes übrig, als auf einen Logarithmus zu vertrauen: auf Überlegenheit, die aus Taktfrequenzen kommt und aus Megabytes.
Die Sache ging gut. Obwohl die Hamas bis zu 200 Geschosse pro Stunde abfeuerte, blieb die Abfangquote nach israelischen Angaben bei stolzen 90 Prozent.
Offenbar wollten die radikalislamischen Kämpfer das Abwehrsystem der Israelis mit immer neuen „volleys“, wie die Militärs sagen, überfordern. Am Ende aber bewirkte gerade die hohe Zahl von Raketen, dass Israel in dieser Nacht Militärgeschichte schrieb: Israels Iron Dome gilt seither weltweit als neuer Goldstandard in der Flugabwehr. Die Herstellerfirma Rafael Advanced Defense Systems in Haifa hätte sich keine bessere Werbung wünschen können.
Inzwischen ist der Name Iron Dome als Markenartikel geschützt. Interessenten aus aller Welt dürfen aus diversen Produkten der „Iron Dome Family“ wählen: Soll das System an Land genutzt werden oder auf See? Was soll aufgespürt und abgeschossen werden: Kurzstreckenwaffen wie in Nahost? Oder eher Marschflugkörper? Hubschrauber? Drohnen? Rafael Advanced Defense Systems verspricht „Lösungen für alle Szenarien“ – und ruft potenzielle Kundinnen und Kunden zu einer raschen Entscheidung auf: „Seien Sie schneller als die, von denen Sie bedroht werden.“
Jetzt muss es schneller gehen
Rüstung und Tempo: In Deutschland war die Kombination dieser beiden Begriffe über Jahrzehnte hinweg ein Ding der Unmöglichkeit. Wurde eine neue Bewaffnung gefordert, begann erst mal eine lange Phase der Entwicklung, gefolgt von Kostenexplosionen und, nachdem schon so viel Zeit vergangen war, möglichen neuen Grundsatzdebatten.
Jetzt, da Wladimir Putin zur Überraschung der meisten Politikerinnen und Politiker in Berlin den größten Landkrieg in Europa seit 1945 begonnen hat, muss es schneller gehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat schon bei der Entscheidung für die amerikanischen Kampfflugzeuge vom Typ F‑35 nicht lange gefackelt. Er verhielt sich ganz unoriginell, wie zuletzt zum Beispiel die finnische Ministerpräsidentin, und bestellte, wie bei Amazon, einfach ein Markenprodukt mit guten Bewertungen.
Läuft es jetzt beim Thema Flugabwehr so ähnlich? Als Scholz am Sonntagabend bei „Anne Will“ nach einer deutschen Version des Iron Domes gefragt wurde, zeigte er sich dafür offen: „Das gehört ganz sicher zu den Dingen, die wir beraten, aus gutem Grund.“
Sogar die zum linken Parteiflügel zählende SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken findet es, wie sie am Montag sagt, „wichtig und richtig“, den Kauf eines Raketenschutzsystems für Deutschland zu prüfen.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, machte sich sogar schon auf nach Israel. Kurz vor dem Abflug in Berlin gab die FDP-Politikerin in Berlin die Losung aus: „Es macht Sinn, sich mit diesen Abwehrsystemen nicht nur zu beschäftigen, sondern sie unter Umständen umgehend zu kaufen.“
Nörgelig zeigte sich unter den Koalitionären nur SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: Die Lage in Israel lasse sich „nicht einfach eins zu eins“ auf Deutschland übertragen, sagte er am Montag dem Sender Phoenix – und warnte die Regierung auch generell vor übereilten neuen Rüstungsbeschlüssen. Es sei „wichtig, nicht aus einer Übersprunghandlung den Bestellkatalog zur Hand zu nehmen und alles Mögliche rauszuhauen“. Vielmehr müsse es erst eine gründliche Lageanalyse geben.
Was genau kann Arrow 3?
In diesen Punkten stimmen dem linken SPD-General auch altgediente Wehrexperten zu. Der Podcaster und Blogger Thomas Wiegold („Sicherheitshalber“, „Augen geradeaus“) äußerte schon am Wochenende Zweifel an ersten Meldungen, wonach angeblich schon für 2 Milliarden Euro Systeme zu bekommen sein sollen, die helfen könnten, den Himmel über Deutschland zu verteidigen.
Tatsächlich scheint sich derzeit in Deutschland eine „Quick fix“-Mentalität auszubreiten. Viele glauben, die Deutschen könnten mit den von Scholz geplanten zusätzlichen 100 Milliarden Euro mal eben dieses oder jenes Rüstungssystem ordern – und hätten dann wieder ihre Ruhe. Doch so einfach ist es nicht.
Der zentrale und unbestreitbare Vorteil der israelischen Systeme ist ihre sogenannte Marktverfügbarkeit. Nichts muss erst mit großem Aufwand neu erfunden werden. Doch die Tücke liegt im Detail.
- Der Iron Dome taugt nur bedingt als Vorbild, denn das System ist in doppelter Hinsicht speziell. Es schützt nur eine relative kleine Zone – und dies auch nur gegen spezielle Raketen.
- Deutschland muss sich bei der Flugabwehr, anders als Israel, weniger auf Kurzstrecken- als auf Mittelstrecken- und Langstreckenraketen einstellen. Dazu passen würde das israelische System Arrow 3, das Raketen schon in der Stratosphäre zerstören kann.
- Politisch wie militärisch abwegig wäre es aber, ein solches System nur als nationales System anzulegen. Arrow 3 müsste von vornherein als Nato-System konzipiert werden: Der nach Osten aufgeklappte Raketenschirm müsste auch die baltischen Staaten und Polen schützen.
- Ein solches System wäre für alle Beteiligten sinnvoll – aber auch teuer. Mit einstelligen Milliardenbeträgen ist da nichts zu machen, auch zweistellige werden nur mit Mühe reichen.
Unklar ist, ob Arrow 3 auch russische Hyperschallraketen stoppen könnte. Schon im März 2018 hatte sich Wladimir Putin mit seinen „unaufhaltsamen Waffen“ gebrüstet. Die neuesten Modelle legen – zur Abwehr der Abwehr – kurz vor dem Einschlag ins Ziel verwirrende Zickzackkurven hin, und das schneller als der Schall. Ein Teil der Experten dreht deshalb den Daumen nach unten: Gegen Putins neueste Waffen sei leider auch die israelische Abwehrtechnologie hilflos.
Israelische Experten verweisen indessen darauf, dass im Feld des Militärischen vieles immer im Fluss sei. Nach entsprechenden „Anpassungen“ könne das Arrow-3-System jedenfalls auch mit der jüngst in der Ukraine eingesetzten russischen Hyperschallrakete Kinschal fertig werden, glaubt der israelische Raketenfachmann Uzi Rubin, der das Abwehrprogramm seines Landes einst selbst in Gang gesetzt hat.
Gibt es bald nur noch eine Supermacht?
Technologisch bleibt die Raketenabwehr ein Katz-und-Maus-Spiel. Mit Überschallgeschwindigkeit jedenfalls fliegen inzwischen auch die Arrow-3-Raketen.
Werden eines Tages Quantencomputer und künstliche Intelligenz keine Raketen mehr Richtung Westen durchlassen? Die Arbeiten an dieser Stelle jedenfalls stehen nicht still.
Die US-Konzerne Raytheon, Northrop Grumman und Lockheed Martin haben vom Pentagon den Auftrag, Putins neueste Technologien mit noch neueren zu stoppen. Sollten die USA den Wettlauf gewinnen, würde dies auch China betreffen und könnte – theoretisch – die Zahl der Supermächte auf der Erde auf eins reduzieren.
Der Traum vom Schutzschirm, den schon Ronald Reagan in den Achtzigerjahren träumte, bleibt lebendig. Putin wiederum mag genau diese Aussicht bewogen haben, sich zu beeilen mit seinem Krieg.
RND
Der Artikel "Iron Dome: Wie real ist der Traum vom Schutzschild im Himmel?" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.