
Viele Schüler haben schon iPads. Diese sollen in eine Klassenraumsteuerung eingebunden werden. Das gilt auch für Hunderte iPads, die Eltern neu bestellt haben und nun ausgeliefert werden. © Stefan Milk
iPads im Klassenzimmer: Schulen ziehen nach Datenschutz-Beschwerde die Notbremse
Umstrittene App zur Gerätesteuerung
Hunderte Schüler ab Klasse 8 in Kamen bekommen diese Woche ihre iPads. Im Unterricht können sie aber nur bedingt eingesetzt werden. Die Stadt zieht Konsequenzen aus einer Beschwerde bei der NRW-Datenschutzbeauftragten.
Die vier weiterführenden Schulen in Kamen reagieren auf eine Beschwerde gegen das Gymnasium bei der NRW-Landesbeauftragten für Datenschutz: Eine Software zur Einbindung von bis zu 1800 Schüler-iPads in die sogenannte Klassenraumsteuerung wird laut Stadt Kamen vorerst nicht aktiviert. Damit entfällt die Voraussetzung, um die elternfinanzierten Tabletcomputer wie vorgesehen im Unterricht benutzen zu können.
Eigentlich schien alles startklar zu sein: Die iPads, die vor den Sommerferien von Eltern bestellt wurden, liegen zur Ausgabe in jeder Schule bereit: 116 Geräte am Gymnasium, 100 Geräte an der Realschule, 38 Geräte an der Hauptschule und 62 Geräte an der Gesamtschule. Dazu kommen zahlreiche Geräte, die bereits im privaten Schülereigentum sind. Vorgesehen war, die elektronischen Arbeitsmittel innerhalb eines Monats nach dem Schulstart mit einer Verwaltungs- und Steuerungssoftware der Marke Relution (Mobile Device Management, kurz MDM) auszustatten. Doch wegen einer laufenden Prüfung der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI NRW) ziehen die Verantwortlichen offenbar eine Notbremse.
Hintergrund ist Risikoanalyse für IT-Sicherheit
Hintergrund ist, dass die Behörde der obersten Datenschützerin in NRW, Bettina Gayk, derzeit aufgrund einer Beschwerde des IT-Sicherheitsexperten Thomas Werth aus Kamen prüft, ob das Digitalisierungsprojekt gegen Datenschutz-Vorschriften verstößt.
Werth hat den Verantwortlichen bereits vor den Sommerferien eine 30-seitige Risikoanalyse zukommen lassen, wie diese Zeitung exklusiv berichtete. Er befürchtet, dass die eingesetzten Administratoren der Schule in Verbindung mit dem sogenannten „Supervised Mode“ der Apple-Geräte und des MDM die Möglichkeit erhalten, die iPads missbräuchlich zu steuern, den privaten Datenverkehr mitzulesen, auf vertrauliche Daten zuzugreifen sowie die Geräte zu orten bzw. zu tracken, das heißt Internetzugriffe und das Aufrufen von Internetadressen nachzuverfolgen. Eine „vollständige Administration privater Geräte durch die Einrichtung erscheint nicht rechtskonform oder notwendig“, so seine Analyse.
Software wird vorerst nicht aktiviert
Welche Konsequenzen die Schulen und die Stadt Kamen aus Werths Risikoanalyse ziehen, blieb bei Schuljahresbeginn zunächst offen. Elf Tage brauchten die vier Schulleiter sowie Schuldezernentin und Bürgermeisterin Elke Kappen (SPD), um eine Anfrage der Redaktion zum Stand des iPad-Projekts zu beantworten. Die gemeinschaftliche Antwort durch die Pressestelle des Rathauses liegt der Redaktion nun seit Dienstagmorgen vor.
Demnach teilen die Verantwortlichen zwar nicht alle Punkte der Risikoanalyse, halten sie aber für so fundiert, dass das MDM vorerst nicht aktiviert wird. Die Folge: Die Schüler bekommen ihre Geräte zwar, aber diese werden offenbar noch nicht in die Klassenraumsteuerung eingebunden. „Eigentumsrechtlich werden die Geräte herausgegeben, da sie den Eltern gehören. Das Aktivschalten des MDMs wird bis zur Beurteilung durch die LDI NRW abgewartet“, heißt es wörtlich in der Stellungnahme.
Eltern erhalten Datenschutzerklärung
Damit dürfte sich die Einführung der Klassenraumsteuerung auf unbestimmte Zeit verzögern. Wie lange es dauert, bis die LDI ihre Beurteilung vorlegt, ist nicht bekannt. Die LDI hat das Gymnasium, gegen das sich die Beschwerde formell richtet, zunächst anhand der Risikoanalyse zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Frist zur Abgabe der Stellungnahme läuft laut LDI noch bis 2. September. Der vorgesehene Termin werde „nach derzeitigem Sachstand auf jeden Fall eingehalten“, so die Stadt Kamen und die Schulen.
Was ist ein MDM?
Das Mobile Device Management (MDM) dient Lehrern dazu, Apps für den Unterricht zentral auf den Schüler-Geräten zu installieren und die Geräte zu verwalten. Mit der Unterrichtssteuerung über die Relution App können die iPads aller Schülerinnen und Schüler einer Klasse bzw. eines Kurses in einen Unterrichtsmodus versetzt werden, wie es auf der Internetseite des Gymnasiums heißt. Dabei würden alle Apps ausgeblendet, die nichts mit dem Unterricht zu tun haben. Die Lehrpersonen hätten die Möglichkeit, während des Unterrichts weitere Apps freizuschalten und andere zu deaktivieren. Die Lehrer könnten den Bildschirminhalt der Schülergeräte nicht betrachten. Administratoren könnten keine Dateien, Fotos, Dateien, Emails, Chatverläufe sehen oder verändern.Die Vorbereitungen zur Ausgabe der elternfinanzierten iPads sowie der Ausgabe schuleigener iPads sind an allen vier weiterführenden Schulen weitgehend abgeschlossen. „Um eine reibungslose Ausgabe zu ermöglichen, wurden Informationen an Eltern und Schülerinnen und Schüler vorbereitet“, so Schulen und Stadt. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Infomaterial zur Ausleihe (Einwilligungserklärung, Nutzungsvereinbarung und Erklärung zum Datenschutz), danach erfolge die Aushändigung der bestellten Geräte und des Zubehörs. Dies sei an allen Schulen „im Laufe dieser Woche“ vorgesehen. Lehrerinnen und Lehrer seien umfangreich geschult sowie „Schulungsmodule für den schulischen Einsatz erarbeitet“ worden.
Auf einzelne Punkten der Risikoanalyse, die den Anstoß für das LDI-Verfahren gab, gehen Schulen und Stadt nicht ein. Wörtlich heißt es, dass die Ausführungen „ernst genommen und gewürdigt“ wurden. Allerdings habe die „bisherige Auswertung“ auch ergeben, dass „Autoren in zentralen Punkten von teilweise unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen bzw. formulieren sie selbst eine Reihe von Annahmen, die sie ihren Bedenken zugrunde legen“. Gleichwohl begrüßen Stadt und Schule „die sehr fundierten Hinweise ausdrücklich und berücksichtigen sie im notwendigen Umfang bei der Umsetzung des Projektes“.
Jahrgang 1973, aufgewachsen im Sauerland, wohnt in Holzwickede. Als Redakteur seit 2010 rund ums Kamener Kreuz unterwegs, seit 2001 beim Hellweger Anzeiger. Ab 1994 Journalistik- und Politik-Studium in Dortmund mit Auslandsstation in Tours/Frankreich und Volontariat bei den Ruhr Nachrichten in Dortmund, Lünen, Selm und Witten. Recherchiert gern investigativ, zum Beispiel beim Thema Schrottimmobilien. Lieblingssatz: Der beste Schutz für die liberale Demokratie ist die Pressefreiheit.
