
Mit iPads sollen in diesem Schuljahr alle Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen in Kamen ausgestattet werden. © Stefan Milk
iPads für Schüler in Kamen: Oberste NRW-Datenschützerin prüft Beschwerde
Möglicher Datenschutz-Verstoß
Können Lehrer die privaten iPads von Schülern durch eine Schul-App ausspionieren? Eine Elternbeschwerde aus Kamen alarmiert die oberste Datenschützerin in NRW. Sie hat ein Verfahren eingeleitet.
Die Einführung von elternfinanzierten iPads für rund 1800 Schüler ab der achten Klasse in Kamen wird ein Fall für die oberste Datenschützerin in NRW. Die Behörde von Bettina Gayk in Düsseldorf hat eine Beschwerde über das schulische und städtische Projekt bekommen, das als Meilenstein für die Digitalisierung der vier weiterführenden Schulen in Kamen gilt.
Verfasst wurde die Eingabe von dem IT-Sicherheitsexperten Thomas Werth. Der Diplom-Informatiker und Geschäftsführer eines auf IT-Sicherheit spezialisierten, preisgekrönten Unternehmens im Technopark Kamen hat potenzielle Sicherheitsrisiken bei der Anwendung der Software dokumentiert, mit der Lehrer die Schülergeräte verwalten sollen.

Bettina Gayk, Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, hat eine Beschwerde aus Kamen bekommen. © picture alliance/dpa
Ein Sprecher der kurz LDI genannten Datenschutzbehörde bestätigte auf Anfrage den Eingang einer Beschwerde gegen eine weiterführende Schule in Kamen. Die Schule – es handelt sich nach Informationen der Redaktion um das Städtische Gymnasium Kamen – will mit Beginn dieses Schuljahrs iPads im Unterricht einsetzen, die von den Schülern bzw. von ihren Eltern erworben, gemietet oder gekauft wurden. Um ihrer pädagogischen Verantwortung gerecht zu werden, verlangt die Schule hierfür die Einbindung der Geräte in die Verwaltungsplattform „Relution“, einem sogenannten Mobile Device Management (MDM).
Beschwerde: Privater Datenverkehr ist mitzulesen
Der Beschwerdeführer befürchtet unter anderem, dass die eingesetzten Administratoren der Schule in Verbindung mit dem MDM die Möglichkeit erhalten, die sowohl schulisch als auch privat nutzbaren iPads missbräuchlich zu steuern, den privaten Datenverkehr mitzulesen, auf vertrauliche Daten zuzugreifen sowie die Geräte zu orten bzw. zu tracken, das heißt Internetzugriffe und das Aufrufen von Internetadressen nachzuverfolgen.
In einem mehr als 30-seitigen Papier, das der Redaktion sowie den Schulen und der Schulverwaltung vorliegt, hat Werth die möglichen Sicherheitsrisiken akribisch anhand eines von ihm eingerichteten Testsystems dokumentiert. In dem Papier wird unter anderem erläutert, dass zur Verwaltung der privaten Geräte mit dem MDM der sogenannte Supervised Mode (überwachte Modus) der iPads aktiviert wird, der viele kritische administrative Eingriffe ermögliche. Aufgrund dessen seien Datenschutz-Verletzungen nicht auszuschließen. Das Fazit: „Eine vollständige Administration privater Geräte durch die Einrichtung erscheint nicht rechtskonform oder notwendig.“ In dem Papier zeigt Werth auch Alternativen auf, die der Schule weniger Zugriffsrechte auf die Schülergeräte ermöglichen.

IT-Experte Thomas Werth hat eine Risikoanalyse durchgeführt und kritisiert, dass Schuladministratoren weitgehende Zugriffsrechte auf Schüler-iPads haben. Das hält er für datenschutzrechtlich höchst bedenklich. © privat
LDI leitet förmliches Verfahren ein
Die Beschwerde veranlasst die Landesdatenschutzbeauftragte, ein förmliches Verfahren einzuleiten. Das bestätigt Sprecher Thomas Reisz. Wie in solchen Fällen üblich, sei die Schule über die Beschwerde informiert worden. Es wurde ihr Gelegenheit gegeben, innerhalb einer Frist zum vorgetragenen Sachverhalt Stellung zu nehmen und beispielsweise vorzutragen, welche Schutzmaßnahmen sie getroffen hat, um einer missbräuchliche Verwendung der Funktionen des MDM entgegenzuwirken. Nach Vorliegen der Stellungnahme wird der Sachverhalt datenschutzrechtlich geprüft. Welche Konsequenzen es im Fall der Feststellung von Verstößen geben könnte, ist offen.
Schuldezernentin und Schulleiter beantworten Fragen nicht
Da die iPads nicht nur am Gymnasium eingeführt werden, sondern auch an Gesamtschule, Realschule und Hauptschule, betrifft die aktuelle Beschwerde alle weiterführenden Schulen in Kamen. Doch weder die Schulleiter noch die Bürgermeisterin wollen sich kurzfristig zum Stand des iPad-Projekts und zu möglichen Konsequenzen aus der IT-Risikoanalyse äußern. Auch wollten sie sich nicht dazu äußern, ob die Einführung dadurch verzögert oder vereitelt werden könnte.
Die Schulleiter Lars Wollny, Nicole Ludwig, Peter Wehlack und Dr. Beatrix Günnewig sowie Bürgermeisterin und Schuldezernentin Elke Kappen ließen eine am Freitag voriger Woche gestellte Anfrage der Redaktion bislang unbeantwortet. Stadtsprecher Peter Büttner bat zunächst in einer E-Mail am Montag um etwas Geduld. Auf Nachfrage erklärte er schließlich am Donnerstag, dass es sich um eine komplexe Angelegenheit handle und stellte eine Beantwortung des Fragenkatalogs der Redaktion am Montag in Aussicht.
Schulpflegschaft nicht über Risikoanalyse informiert
Bislang sieht es nicht so aus, als könnten Datenschutz-Bedenken das iPad-Projekt aufhalten. Der Vorsitzende der Schulpflegschaft des Gymnasiums, Oliver Stute-Redlin, begrüßt den Einstieg in die Digitalisierung. „Ich kann von keinem Schulträger erwarten, dass er Geräte, die 600 Euro kosten, für alle kostenlos zur Verfügung stellt“, sagte er. Als es um die Anschaffung der Geräte ging, habe es in der Elternschaft „berechtigte Fragen zur Datensicherheit“ gegeben, dahingehend, dass die Geräte zu Hause frei nutzbar seien und im Unterricht nur auf Unterrichtsinhalte zugegriffen werden könne. Diese seien beantwortet worden. Von der Risikoanalyse des IT-Spezialisten Thomas Werth erfuhr der Schulpflegschaftsvorsitzende erst durch eine Anfrage der Redaktion. „Ich habe weder von der Schule noch von der Stadt so etwas angetragen bekommen“, sagte Stute-Redlin.
Schülervertretung hofft auf baldige Einführung
Einige Schüler der Oberstufe des Gymnasiums sollen sich gegen die Einbindung ihrer iPads in das MDM ausgesprochen haben. Das wird von der Schülervertretung weder bestätigt noch dementiert. Die Schülervertretung begrüße die Einführung der iPads sehr, sagte die stellvertretende Schülersprecherin Melek Sönmek. „Fundierte fachliche Kritik“ sei nicht bekannt. Sie hofft, dass die iPads bald im Unterricht eingesetzt werden können. Dies kann nach Informationen der Schülervertretung geschehen, „sobald die letzten Verfahrensfragen durch fachliche Stellen geklärt sind. Entsprechende Formulare müssen erstellt und geprüft werden.“
Schulische und private Nutzung wird vermischt
Statt schuleigene Geräte allen Kindern zur Verfügung zu stellen, haben sich die Kamener Schulgemeinschaften und die Stadt Kamen für ein Modell entschieden, das die öffentlichen Haushalte schont und die Anschaffung und Kostenübernahme privater Geräte durch Schüler und Eltern voraussetzt. Die Kombination aus privater und schulischer Nutzung macht die Umsetzung aber unter Aspekten des Datenschutzes und der IT-Sicherheit komplizierter.
Jahrgang 1973, aufgewachsen im Sauerland, wohnt in Holzwickede. Als Redakteur seit 2010 rund ums Kamener Kreuz unterwegs, seit 2001 beim Hellweger Anzeiger. Ab 1994 Journalistik- und Politik-Studium in Dortmund mit Auslandsstation in Tours/Frankreich und Volontariat bei den Ruhr Nachrichten in Dortmund, Lünen, Selm und Witten. Recherchiert gern investigativ, zum Beispiel beim Thema Schrottimmobilien. Lieblingssatz: Der beste Schutz für die liberale Demokratie ist die Pressefreiheit.
