Sollen Medien Täter-Nationalitäten immer nennen? „Ich halte die Forderung für oberflächlich“

Täter-Nationalitäten immer nennen? „Halte die Forderung für oberflächlich“
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Wer in den Medien auf Inhalte stößt und sie für problematisch hält, kann sich beim Deutschen Presserat beschweren. Auf Basis der 16 Ziffern des Pressekodexes entscheidet das Gremium, ob Medien gegen dessen Regeln verstoßen haben. Obgleich der Presserat nur eine empfehlende Funktion hat, akzeptieren die meisten Medien diese freiwillige Selbstkontrolle.

Eine der umstrittensten Regelungen des Pressekodexes ist die Richtlinie 12.1, in der es um die Frage geht, wann die Zugehörigkeit eines Straftäters oder Verdächtigen zu einer Minderheit erwähnt werden soll.

Presserat-Geschäftsführer Roman Portack erklärt im Gespräch, warum die Richtlinie so formuliert ist und warum er manchen Änderungswünschen skeptisch gegenüber steht.

Herr Portack, in Richtlinie 12.1 des Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es, dass Medien in der Regel die Zugehörigkeit eines Verdächtigen oder Täters zu Minderheiten in der Regel nicht erwähnen sollen, weil es zu Diskriminierungen kommen könnten. Wie oft beschweren sich Menschen, weil Medien sich daran nicht halten?

Roman Portack: Selten. 2022 waren es 19 Beschwerdeverfahren, im Jahr davor 14. Von ungefähr 2000 Beschwerden, die wir insgesamt pro Jahr bekommen.

Die Richtlinie lautet wörtlich: „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ Das lässt Raum für Interpretationen …

Es sind Einzelfälle, die geprüft werden müssen. Aber Journalisten machen an der Stelle, was sie immer machen. Sie entscheiden, ob eine Information so relevant ist, dass über sie berichtet werden muss. Die Richtlinie enthält kein Verbot, bestimmte Informationen zu berichten, aber es muss im Einzelfall abgewogen werden: Ist eine Information relevant, besteht ein berechtigtes öffentliches Interesse oder überwiegt vielleicht die Gefahr, dass man verallgemeinert und diskriminiert?

Warum sollten Journalisten nicht einfach immer alle Nationalitäten nennen, wie es NRW-Innenminister Reul vorschlägt?

Ich glaube, das wird nicht funktionieren. Zum einen, weil ich denke, dass nur Minderheiten diskriminiert werden könnten, aber nicht die Mehrheit, also die Deutschen. Zum anderen funktioniert auch das Kriterium Staatsangehörigkeit nicht. Denn es wird immer auch Leserinnen und Leser geben, die fragen: ‚Was für ein Deutscher ist das denn? Ist das ein Deutscher mit einer Herkunft aus einer bestimmten Gruppe?‘ Insofern halte ich die Forderung für oberflächlich.

Und was halten Sie davon, dass ein Medium wie die „Sächsische Zeitung“ die Nationalität immer nennt?

Aus den genannten Gründen greift der Ansatz aus meiner Sicht zu kurz. Die Hervorhebung von Nationalität oder Herkunft kann sich eher bei Minderheiten diskriminierend auswirken als bei Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. Und hinter der Nationalität steht die Frage nach der Identität: Geht es um einen Straftäter oder Tatverdächtigen, der schon immer Deutscher gewesen ist, oder um jemanden, der oder dessen Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft erst erworben haben?

Kürzlich gab es Berichterstattung über einen Geiselnehmer, der mit seiner Tochter auf den Hamburger Flughafen eingedrungen ist. Er war offensichtlich Türke. Durfte man diesen Umstand berichten?

Wie ich den Fall verfolgt habe, wollte der Mann auf Türkisch verhandeln und er ist zu einem Flugzeug der Turkish Airlines gefahren, weil er in die Türkei wollte. In so einem Fall ist die Herkunft relevant. Gleichzeitig sehe ich die Diskriminierungsgefahr nicht allzu hoch. Denn es gibt kein verbreitetes Vorurteil, alle Türken würden ihre Kinder entführen. Insofern ist das für mich ein klarer Fall.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie beim Presserat? Es geht offenbar nicht nur um die Schwere der Straftat, sondern auch um die Frage, inwiefern man damit diskriminieren würde.

Der wichtigste Punkt ist: Mit welcher Straftat sind wir konfrontiert? Bei einer besonders schweren Straftat, etwa Terrorismus oder organisierte Kriminalität, wird die Relevanz der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe eher groß sein und der Bedarf eher klein, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe von einer diskriminierenden Verallgemeinerung zu schützen.

Es gibt aber auch andere Gesichtspunkte, zum Beispiel, wenn Täter individuelle Strukturen ihrer Herkunftsgruppe nutzen. Ganz klassisch etwa bei der italienischen Mafia. Das ist organisierte Kriminalität und die funktioniert unter anderem deshalb, weil es eine Schweigeverpflichtung und die Möglichkeit gibt, in einer Fremdsprache zu kommunizieren und dadurch die Strafverfolgung zu erschweren. Das sind alles Kriterien, die für eine Nennung der Nationalität sprechen.

Umgekehrt gibt es auch Massendelikte wie das Schwarzfahren. Da sagen wir: Es ist in der Regel nicht relevant, ob der Schwarzfahrer Afghane oder Deutscher ist, deshalb sollte man hier die Nationalität nicht nennen.

Inwiefern spielt es für den Presserat eine Rolle, dass sich die Medienrealität verändert hat? Früher wurden Mitteilungen der Polizei nicht im Internet veröffentlicht und die Menschen haben zu den Tätern immer nur das erfahren, was die Massenmedien berichtet haben. Heute durchforsten manche Menschen Polizeimeldungen und werden dann den Medien vor, etwas weggelassen zu haben. Müsste nicht auch so ein Verschweigen der Medien von Ihnen sanktioniert werden?

Da greift unser Respekt vor der redaktionellen Berichterstattungsfreiheit, vor der Freiheit der Auswahl von Themen. Der Pressekodex gibt nichts dazu vor, welche Themen auszuwählen sind. Das fußt auch auf dem Tendenzschutz: Verlegerinnen und Verleger dürfen entscheiden, welche Linie ihr Blatt hat. Sie dürfen ein kommunistisches Blatt machen mit kommunistischen Redakteuren und kommunistischer Themensetzung. Und sie dürfen genauso ein liberales Blatt machen mit liberalen Redakteuren und liberalen Themensetzungen.

Und dann ist es Teil der redaktionellen Freiheit, in dem liberalen Blatt die kommunistischen Themen nicht unterzubringen und im kommunistischen Blatt die liberalen nicht. Aber: Wenn Leser finden, dass ein Weglassen relevanter Inhalte die Glaubwürdigkeit eines Mediums erschüttert, kommt die Sanktion nicht durch den Presserat, sondern von den Leserinnen und Lesern selbst.

Unsere Redaktion hält sich aktuell an die Empfehlung des Deutschen Presserates, die Herkunft von Straftätern in der Berichterstattung zu nennen, wenn das öffentliche Interesse an der Nennung überwiegt. Wir überdenken regelmäßig unsere journalistischen Standards.

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