Christel Kieffer backt Waffeln beim Kaffeetrinken der Diakonie im Gemeindehaus Stift

Donnerstags bietet die Diakonie an der Eulenstraße neuerdings auch ein Kaffeetrinken an. Meistens bieten Christel Kieffer und ihre Mitstreiterinnen frische Waffeln an. © Udo Hennes

Inflation und kleine Rente: „Wir haben unser Haus schon verkauft“

rnAltersarmut

Viele kleine Rentner leben knapp über dem Existenzminimum. Explodierende Energiekosten und Inflation setzen ihnen besonders zu. Der Verkauf des Eigenheims wird zurzeit für manche bittere Realität.

Fröndenberg

, 17.10.2022, 18:10 Uhr / Lesedauer: 3 min

Schon vor 9 Uhr füllen sich an diesem Morgen die Tische im evangelischen Gemeindehaus in der Fröndenberger Stadtmitte. Gäste bei dem kostenlosen Frühstück sind viele Rentner. Aber nicht nur die. Der Zulauf wird merklich größer.

„Sie sehe ich heute zum ersten Mal hier“, begrüßt Karin Wahl freundlich ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern. Man merkt es den jungen Leuten an, dass sie eigentlich nicht viel Aufmerksamkeit erregen wollen. Offenbar schämen sie sich, arm zu sein – wie ja oft jene, die glaubten, mit Lohn und Rente doch eigentlich auskommen zu müssen. Durch massiv steigende Preise ist nichts mehr gewiss.

Energiekosten explodierten – da verkauften sie ihr Haus

„Was sollen wir denn machen bei 470 Euro Energiekosten?“, fragt Walter Wegener* am Nachbartisch. Ihr Haus steht daher kurz vor dem Verkauf, das Ehepaar zieht in eine kleinere Wohnung um. Mit seiner Frau Helga kommt der Mendener regelmäßig zum Frühstück der Diakonie in die Nachbarstadt.

Karin Wahl organisiert neben Christel Kieffer das Angebot der Diakonie im Gemeindehaus Stift.

Karin Wahl organisiert neben Christel Kieffer das Angebot der Diakonie im Gemeindehaus Stift. © Marcus Land

Helga Wegener* lächelt, als die 300 Euro Energiegeld angesprochen werden, die auch Rentner demnächst erhalten sollen. Soll das Lächeln eventuell heißen, dass die Pauschale ein Tropfen auf den heißen Stein ist? Ihr Mann gibt die Antwort: „Wir sind gespannt auf die neue Abschlagszahlung.“

Verena Rother* hat aufmerksam zugehört und nickt, als jemand sagt, dass man doch nicht reich sei, wenn man über Jahrzehnte ein Häuschen abbezahlt hat und jetzt mit kleiner Rente vor einem Kostenberg stehe.

Auch Rother kommt aus Menden. Sie hat ein anderes Problem: In diesem Jahr ist ihr Mann gestorben, sie muss sich jetzt allein um ihren 26-jährigen, gehandicapten Sohn kümmern – als nur noch zweiköpfige Bedarfsgemeinschaft muss die Hartz-IV-Empfängerin sich nun nach einer kleineren Wohnung umsehen.

„Zu viel für die Tafel, zu wenig zum Leben“

Als Sozialhilfebezieherin ist Rother hier eher eine Ausnahme. Zum Frühstück montags und zur Kaffeerunde am Donnerstagnachmittag kommen überwiegend Menschen, die knapp über der Einkommensgrenze für soziale Leistungen liegen.

„Die zu viel für die Tafel haben und zu wenig zum Leben“, sagt Christel Kieffer. Gemeinsam mit Karin Wahl organisiert die Küsterin der Stiftskirche die wohltätigen Angebote der Diakonie im Gemeindehaus an der Eulenstraße. „Wohltätig“ hat den Aspekt „gesellig“ mittlerweile überlagert. Kieffer: „Früher sind die gekommen, die einsam waren, heute die, die es nötig haben.“

Angelika Glamoc arbeitet hauptberuflich für den Fachbereich Bildung und Erziehung der Diakonie Ruhr-Hellweg in der Flüchtlingsberatung.

Angelika Glamoc arbeitet hauptberuflich für den Fachbereich Bildung und Erziehung der Diakonie Ruhr-Hellweg in der Flüchtlingsberatung. © Marcus Land

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Sie bemerkten in diesem Jahr zunehmende Not. Die Teuerungsrate besonders bei Lebensmitteln, hohe Strom- und Gasrechnungen nehme vielen den Spargroschen, es geht an die Substanz. Anna Behrens* rechnet es frank und frei vor.

„Ich habe 50 Jahre gearbeitet und zwei Kinder großgezogen“, sagt die Fröndenbergerin, „und bekomme heute eine Rente von 1300 Euro. Allein für Miete, Strom und Heizung muss ich 700 Euro abziehen.“

Wenn sie die Ausgaben für Lebensmittel und die sonst nötigen Dinge des täglichen Lebens abrechnet, bleibe nicht mehr viel übrig. Aber man brauche ja auch mal neue Schuhe, möchte für Weihnachten Geschenke kaufen.

Wohngeldreform nützt der Rentnerin nichts

Sozialleistungen erhält sie keine. „Na ja, irgendwo muss ja die Grenze sein“, sagt sie achselzuckend. Die Wohngeldreform werde ihr auch nicht helfen. „Ich lebe allein auf 68 Quadratmetern – dafür müsste ich erst in eine 50 Quadratmeter große Wohnung umziehen.“

Anderen gehe es schlechter und sie empfinde keinen Neid. Aber eine Nachbarin, die nie arbeitete und heute Grundsicherung erhalte, habe nicht weniger als sie.

Christel Kieffer steht an der Lebensmittelausgabe der Diakonie im Gemeindehaus Stift

Christel Kieffer stellt aus den Lebensmittelspenden, die unter anderem von Landwirt Sebatsian Becker-Dahlhoff stammen, kleine Tüten zusammen, die in der Regel für eine Mittagsmahlzeit reichen sollen. © Udo Hennes

Die Gründe dafür, warum es gerade so schmerzhaft zwickt, sind vielfältig. Sandra Berger*, eine allein erziehende Mutter, gehört zu den Jüngeren, die regelmäßig ins Gemeindehaus kommen. Die Haushälterin hat ein schmales Einkommen und spart sich das Spritgeld förmlich vom Munde ab. Karina Köster* hat zwei Hunde, die Geld kosten, die sie sich aber nicht nehmen lassen will. Sie soll Haustiere halten, damit sie nicht vereinsame, begründet sie. „Ich habe Schiss, dass alles noch teurer wird und ich ohne Geld dastehe.“

„Existenzielle Sorgen wie Essen und Wärme“

Wenn Angelika Glamoc in ihrem hauptamtlichen Job Feierabend hat, kommt die Flüchtlingsberaterin der Diakonie Ruhr-Hellweg neuerdings ins Gemeindehaus und arbeitet dort ehrenamtlich für Menschen weiter, die irgendwie durchs Raster zu fallen scheinen. „Es geht um existenzielle Sorgen wie Essen und Wärme“, berichtet sie.

Tatsächlich geben sie im Gemeindehaus mittlerweile einmal in der Woche auch eine Tasche mit Lebensmitteln („Die schnorren wir uns zusammen“) aus. Christel Kieffer kocht selbst Suppen und Marmeladen, stellt jeweils ein Schraubglas zu jeder Ration. Die Tafel bediene ja nur Kunden, die einen Bedürftigenausweis vorzeigen können. „Wir nehmen jeden auf – manche haben 2 Euro zu viel, andere haben Hemmungen, an der Tafel Schlange zu stehen“, ergänzt Karin Wahl.

„Wer einsam ist, ist auch bedürftig“, sagt sie, das sei einmal der Ursprung von Frühstück und Kaffeetrinken der Diakonie gewesen. Viele Menschen mit kleiner Rente seien aber auch sozial bedürftig. Christel Kieffer senkt ihren Kopf. „Habt ihr eine Wolldecke für mich?“ – solche Fragen hören sie inzwischen immer mal wieder.

*Um Anonymität zu wahren, hat die Redaktion die Namen geändert.

Info

Spendenkonto „Frühstück + mehr“

  • Frühstück im Gemeindehaus Stift gibt es immer montags ab 9 Uhr. Neuerdings lädt die Diakonie immer donnerstags ab 15 Uhr zum Kaffeetrinken ein.
  • Wer für diese Mahlzeiten oder die Lebensmitteltüte spenden möchte, gibt bei einer Überweisung die Zweckbestimmung „Frühstück + mehr“ an: Spendenkonto der Kirchengemeinde Fröndenberg und Bausenhagen, Volksbank Unna, IBAN: DE33 4416 0014 1600 6992 01.