Da kommt nichts Gutes auf sie zu (v. l.): Nina Karimy, Linus Ebner, Mervan Ürkmez, Lola Fuchs, Sarah Quarshie und Christopher Heisler in „GRM Brainfuck“.

Da kommt nichts Gutes auf sie zu (v. l.): Nina Karimy, Linus Ebner, Mervan Ürkmez, Lola Fuchs, Sarah Quarshie und Christopher Heisler in „GRM Brainfuck“. © Birgit Hupfeld

Im Theaterstück „GRM. Brainfuck“ ist die Apokalypse schon da

rnPremiere im Schauspiel Dortmund

Das Stück „GRM. Brainfuck“ von Autorin Sibylle Berg erzählt im Schauspiel Dortmund von Straßenkindern in einer grausamen Welt. Der Text ist ein Hammer. Am Samstag war die gelungene Premiere.

09.10.2022, 13:29 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die Zukunft wird dreckig, das wissen wir aus Filmen wie „Blade Runner“. Aber wenn uns schon dermaßen Schlimmes erwartet, sollten Schriftsteller wenigstens so klug und geschliffen davon erzählen wie Sibylle Berg in ihrem Musical „GRM. Brainfuck“, das am Samstag im Schauspiel Dortmund eine gelungene Premiere feierte.

Die raffinierte Bühne von Thilo Ullrich, bei der die gute alte Malerei wieder zur Geltung kommt, wirkt düster und hoffnungslos. Das Dortmunder U hat schon bessere Zeiten gesehen.

Grime heißt die Musik dieser Jugend-Combo

In der Mitte steigt dunkler Rauch in den Himmel, auf einer Säule hockt eine künstliche Ratte. Drei Männer und drei Frauen springen ins Licht und sagen Sätze wie „Demokratie ist eine Übergangslösung“.

„GRM. Brainfuck“ ist ein „so genanntes Musical“, das Berg nach ihrem eigenen Roman aus dem Jahr 2019 verfasst hat. Die Jugendlichen Don, Hannah, Karen und Peter wurden sitzen gelassen oder sind Waisen. Ihre Musik heißt Grime (engl. für Schmutz), abgekürzt GRM.

Straßen-Kids stecken in edlen Jacketts

Einmal finden sie einen Betonkubus, der in Dortmund aus dem Boden hochfährt. Es ist eine der schönsten Szenen, wenn man per Video sieht, wie sie innen mit Sibylle-Berg-Perücken auf dem Kopf Schutz suchend zusammenrücken.

Im wirklichen Leben würden diese Straßen-Kids wohl Hoodies und jene Hosen tragen, die vom Hintern hängen. Doch Kostümbildnerin Frederike Marsha Coors hat ihnen edle Jacketts angezogen.

Schwungvoll wie zu Omas Zeiten

Die Damen tragen Retro-Frisuren, und alle schnippen mit den Fingern zu beswingten Klängen. Hey, das hat Schwung! Aber nur wie zu Omas Zeiten.

Durch diese schräge, tragikomische und seelisch sichtlich beschädigte Combo verfremdet Regisseur Dennis Duszczak das Elend. So sickert der Schock über die Apokalypse nur langsam ein.

Denn das Stück ist beinhart, zynisch, böse. Bergs Text ist ein Hammer, und wir Zuschauer sind der Amboss.

Freiheit, aber kein Geld

Dabei hat die Autorin nur bestehende Entwicklungen zu Ende gedacht. So heißt es: „Es war die Zeit, in der zur realen Grausamkeit der Menschen noch die virtuelle Grausamkeit hinzugefügt wurde.“ Oder: „Den Armen steht die Freiheit zu. Sie haben nur einfach zu wenig Geld, um sie auszuleben.“

Das Stück hat allerdings den Nachteil, dass es sich um einen ellenlangen Botenbericht handelt. Vom massenhaften Chippen der Menschen und der Revolution der Jugendlichen wird nur erzählt.

Das hervorragende Ensemble spielt in der zweiten Hälfte freier

Das hervorragende, sehr harmonische Ensemble (nur manchmal schwer zu verstehen) spielt sich in der zweiten Hälfte zunehmend frei, und die Handlung kommt in Gang, wenn der reiche Junge Thome (Mervan Ürkmez) mit seinem machtgierigen Vater (Linus Ebner) in einer bewegenden Szene abrechnet.

Ürkmez tobt wie Quecksilber herum, legt den Turbo beim Tanzen ein, ist schon bei der dritten Geste, wenn die anderen noch an der ersten arbeiten. Lola Fuchs singt anrührend „Gute Nacht“ aus Schuberts „Winterreise“ (Musik Lutz Spira), Nina Karimy beeindruckt in einer grotesk-dekadenten Sex-Szene.

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Für ein Musical wird in diesen zwei Stunden wenig gesungen, auch wenn die drei Musiker einen guten Job machen. Der Text aber hallt noch lange nach, die Inszenierung ist tiefgründig und sympathisch. Nur die Spannung hält sich in Grenzen. Kräftiger Applaus der 351 Premierenzuschauer (71 Prozent Auslastung).

Termine: 16. 10., 12. / 19. 11. 2022, 21. 1. 2023; Karten: Tel.(0231) 5 02 72 22. Zum GRM-Roman hat Sibylle Berg inzwischen die Fortsetzung „RCE“ geschrieben, ein dritter Band kommt noch. www.theaterdo.de