
Kennen Sie den hier? Journalist Juan Romero (Elyas M’Barek) und sein Fotograf (Michael Ostrowski, r.) sind nach Amerika geflogen und befragen einen Mann, ob er je Kontakt zum Star-Reporter des „Spiegel“ hatte. © Warner
Im Kinofilm „Tausend Zeilen“ fliegt ein Lügenbaron auf
Neu im Kino
In „Tausend Zeilen“ arbeitet Michael „Bully“ Herbig den Skandal um erlogene Reportagen beim „Spiegel“ auf. Das hätte Satire werden können, ist aber ein Spielfilm-Dramolett nach Tatsachen.
Was dem „Stern“ die Hitler-Tagebücher waren, wurde beim „Spiegel“ der Relotius-Skandal: ein Super-GAU.
Der den Nimbus des Magazins aufs Schwerste beschädigte und peinliche Fragen zu redaktioneller Sorgfalt und Qualität aufwarf. Wie kann es sein, dass ein Mann dem „Spiegel“ wieder und wieder erfundene Storys unterjubelt, wenn man sich einer hauseigenen Faktencheck-Abteilung rühmt?“
„Spiegel“-Journalisten Juan Moreno brachte den Stein ins Rollen
Die „Stern“-Affäre fand durch Helmut Dietls „Schtonk“ den Weg ins Kino, den Fall Relotius hat nun Michael „Bully“ Herbig verfilmt: „Tausend Zeilen“, nach dem Buch „Tausend Zeilen Lüge“ vom „Spiegel“-Journalisten Juan Moreno. Er war der Mann, der den Stein ins Rollen brachte und die Lawine auslöste, die den „Spiegel“ als Fake News-Medium dastehen ließ.
„Schtonk“ war eine süffige Satire, „Tausend Zeilen“ hätte eine sein können. Von Biss, Witz, Aberwitz ist kaum etwas zu sehen, Herbig und sein Drehbuchautor Hermann Florin landen beim Doku-Dramolett, dessen Trockenheit sie mit Unterhaltung aufpeppen. Die aber bemüht daherkommt, meist in Episoden um Morenos Kinder und Familie.
Lügenbaron Lars Bogenius fällt die Karriereleiter hoch
Bei Herbig wird Moreno zu Juan Romero, den Elyas M‘Barek spielt. Jonas Nay gibt den Lügenbaron Lars Bogenius, der für seine Texte Preise einheimst und beim „Spiegel“ prompt die Karriereleiter hochfällt. Die Blattmacher betrachten Bogenius als ihr bestes Pferd im Stall. Dessen, also Relotius‘ Schreibe bediente eine deutsche Art des „New Journalism“, die statt dürrer Fakten auf Emotion und Anschaulichkeit setzt und subjektivem Empfinden Raum gibt.
Es waren Reportagen von literarischer Qualität, mit denen Relotius alle hinters Licht führte. Das klingt auch in „Tausend Zeilen“ an, wenn Herbig blumige Passagen aus Relotius-Texten vorlesen lässt.
Und dazu Bilder montiert, die Jonas Nay etwa mit syrischen Kindern zeigen. Die werden später retuschiert: Bogenius in Syrien ohne Kinder, dann die syrische Trümmerstadt ohne Bogenius: Er war nie dort. Egal, „Der Spiegel“ (hier: „Die Chronik“) schluckt alles, was Bogenius fabriziert.
Chefredakteure sonnen sich im Glanz ihres Star-Reporters
Der Dokumentarist des Hauses lässt sich einlullen, die Chefredakteure (Jörg Hartmann, Michael Maertens) sonnen sich im Glanz ihres Star-Reporters und geben Werbefilme über „Die Chronik“ in Auftrag, Motto: Nichts als die Wahrheit.
Er läuft gegen Wände
Keiner glaubt Romero, dass etwas faul ist an den Geschichten. Er präsentiert Beweise und läuft gegen Wände. Das wäre Stoff für eine größere, tiefgründige Medienfarce. Das Drehbuch belässt es bei Ohrfeigen für zwei Redakteure und Ausflüchten des Hochstaplers: „Ich habe nur geliefert, was ihr haben wollt!“
Größte Schwäche des Films ist die Tatsache, dass Bogenius ein leeres Blatt bleibt, die Figur charakterlich kaum aufgebrochen wird. Herbig hätte etwas anbieten müssen, zur Not Spekulatives. Schurken „without a cause“ geben wenig her für ein Möchtegern-Drama.