"Ich bringe Plattenfirmen zum Verzweifeln"

Phillip Boa im Interview

Er wird der Grandseigneur des deutschen Indierock genannt: Phillip Boa alias Ernst Ulrich Figgen. Der 53-jährige Sänger und Gitarrist aus Dortmund zählt zu den wenigen deutschen Musikern, die auch international Anerkennung finden. Im Interview erzählt er, warum er nicht im Radio gespielt werden möchte und was er bereut.

Dortmund

10.12.2016, 06:13 Uhr / Lesedauer: 4 min
Phillip Boa hat die Maxime, dass seine Songs auch noch in 20 Jahren aktuell klingen soll.

Phillip Boa hat die Maxime, dass seine Songs auch noch in 20 Jahren aktuell klingen soll.

Das Album „Blank Expression“ markiert Ihre Rückkehr zum Universal-Konzern. Ist das ein Gefühl, als käme man nach langer Zeit zurück nach Hause? Die Songs sind dort seit 25 Jahren zu Hause, mein Katalog wird für immer bei Universal bleiben. Das ist auch der Grund, weshalb ich jetzt wieder mit ihnen zusammenarbeite. Sie hatten Interesse daran, eine Werkschau zu erstellen. Sie ist viel schöner geworden, als ich dachte.

Sie kamen zu Universal, als Tim Renner dort Chef war. Was ist heute anders an der Zusammenarbeit mit diesem Konzern? Tim Renner hat mich auch rausgeworfen. 1998 gab es von der Konzernzentrale die Order, weltweit 500 Bands runterzuhandeln oder rauszuwerfen. Ich habe mich für den Rauswurf entschieden, weil mein Stolz verletzt war. Jetzt schreiben wir 2016. In der Zwischenzeit haben wir immer wieder mal mit Universal zusammengearbeit, wenn wir Alben remastert haben. Da sitzt jetzt eine neue Generation, von der ich keinen mehr kannte. Die wurden immer netter und aufgeschlossener. Obwohl meine Ideen ein bisschen irreal sind, hat Universal sich immer mehr drauf eingelassen. Das wird jedes Jahr besser. Und jetzt haben wir mal etwas Großes zusammen gemacht.

Unter den Musikern in Deutschland haben Sie wahrscheinlich die meisten Plattenfirmen verschlissen. Wie kommt das? Ich verschleiße die Plattenfirmen ähnlich wie Mark E. Smith von The Fall, weil ich keine Kompromisse eingehe. Ich möchte einfach meine Linie durchsetzen, und ich mochte keine Promo machen vor Veröffentlichung des Albums. Auch David Bowie hat das so gehalten, und das ist für mich der Weg. Da musst du erst mal eine Plattenfirma finden, die dich danach nicht rauswirft. Wenn man meine Songs kommerziell mixen oder fremdproduzieren ließ, um daraus Mainstream-Singles zu machen, gab es früher immer eine Menge Ärger. Ich möchte nicht im TV und am besten auch nicht im Radio gespielt werden. Mit solchen Dingen bringe ich Plattenfirmen zum Verzweifeln. Ich habe seit fünf Jahren keinen Radiopromoter mehr, weil das zwecklos ist. Meine Songs sind zu individuell fürs Mainstreamradio. „Container Love“ war damals in England kurz davor, ein Hit zu werden. Aber man wollte einfach den traurigen Anfang wegschneiden und ich sagte: Nur über meine Leiche! Da war die Karriere zerstört. Ich will einfach das tun, was ich für richtig halte. Wenn ich das überhaupt nicht mehr durchsetzen kann, würde ich sofort mit der Musik aufhören.

Wo ziehen Sie eine Grenze? Joachim Witt war im Promi-Big-Brother-Haus. Haben Sie ähnliche Angebote bekommen? Keine Ahnung, warum der darauf eingegangen ist. Ich will keinen anderen Künstler schlecht machen, aber sowas kann man machen, wenn man 21 ist. Ich wurde auch gefragt, aber es ging dabei nicht um solche schlimmen Dinge. Ich lehne fast alle Angebote ab, die vom Fernsehen kommen. Johnny Rotten hat auch schon beim Dschungelcamp mitgewirkt, aber er stammt aus der Arbeiterklasse, was ihn von vielen anderen Künstlern unterscheidet. Er steht dazu. Außerdem kann er machen, was er will, er macht das nur, um die Leute anzupinkeln. Das respektiere ich. Und mit dem Geld vom Fernsehen kann er dann wieder eine P.i.L.-Platte (Abkürzung für Public Image Ltd., Anm. d. Red.) finanzieren. Musiker wie er und ich können nicht auf Laptops arbeiten. Wenn man ein Album richtig macht, kostet das sechsstellig.

War Ihre neue Platte auch so teuer? Das neue Album war etwas günstiger, aber die zwei davor waren sechsstellig. Das spielt man nicht mehr ein, die Verkaufszahlen sehen heute ein bisschen anders aus als früher. Ich gebe so viel Geld aus, weil ich meine Arbeit liebe. Ich bin davon überzeugt, dass es nur so wirklich gut wird. Klar könnte man das auch anders machen, aber für mich käme das nicht mehr infrage.

Leben Sie in einer inspirierenden Zeit? Ich sehe diese Zeit überhaupt nicht als negativ an, sondern als sehr spannend. Ich schreibe meine Texte aus dem Unterbewusstsein heraus und versuche in andere Welten einzutauchen und zu halluzinieren ohne Drogen. Das funktioniert, ich habe eine Menge Fantasie. Diese Zeiten sind unfassbar schnell, es ändert sich täglich etwas. Man empfängt ständig Signale, die man aufschreiben kann, und so wiederholt man sich nicht.

Reagieren Sie mit Ihren Songs auf aktuelle Ereignisse? Ich bin kein politischer Songschreiber, bei mir passiert das eher indirekt. Ich würde nie über aktuelle Vorgänge schreiben. Vor allem, weil ich die Maxime habe, dass meine Songs in 20 Jahren noch aktuell klingen sollen.

Wollen Sie sich als Künstler immer wieder neu erfinden? Als Künstler denkt man nicht so, man macht es einfach und will als Songschreiber immer besser werden. Ob man es auch schafft, sollen andere beurteilen. Ich wechsle häufiger die Musiker und die Mixer, denn es soll nicht immer gleich klingen. Bowie hat seine letzten zwei Alben mit völlig verschiedenen Musikern eingespielt. Das ist wichtig, damit man nicht stehen bleibt. Aber neu erfinden? Ich werde wahrscheinlich immer so bleiben, wie ich bin. Man ist Songschreiber und schreibt über die Welt.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre bisherige Karriere zurück? Mit extrem guten. Das einzig Negative ist meine persönliche Krise in den Nullerjahren gewesen. Ich bereue nichts – bis auf meine Anflüge von Arroganz, die ich heute als Dummheit bezeichne. Ich bin stolz auf das Erreichte, ich habe 400 Songs geschrieben, und wie man sieht, sterben die nicht aus.

Bruce Springsteen hat den Anspruch, dass das Publikum sich selbst sieht, wenn es ihn anschaut. Taugen Sie zur Identifikationsfigur? Ich stehe auf der anderen Seite, ich kann das gar nicht beurteilen. Ich befasse mich auch nicht damit. Das einzige, was ich will, ist die Leute glücklich zu machen. Sie sollen mit einem breiten Lächeln im Gesicht die Halle verlassen. Wenn mir das gelingt, dann habe ich in dieser verrückten Welt wirklich eine Menge geschafft.

Was hat sich bei Ihnen in letzter Zeit sonst noch verändert? Die Welt um mich herum hat sich verändert, aber ich bin immer noch derselbe. Ich liebe es, Songs zu schreiben und Konzerte zu spielen. Ich habe jetzt wieder größten Ehrgeiz. Eine Zeitlang war ich sehr down und kurz vorm Aufhören, weil die Band live nicht mehr so gut funktioniert hat. Aber seit ein paar Jahren ist es ganz anders und die Band ist wieder erfolgreich, warum auch immer. Musiker zu feuern, ist manchmal bereinigend.