Holzkopf aus der Kiste
Die Augsburger Puppenkiste feiert Jubiläum
Als das Fernsehen nur drei Programme hatte, hingen die Stars an Seilen: Kaum eine Kindheitserinnerung kommt ohne Jim Knopf oder das Urmel aus. Die Augsburger Puppenkiste hat sich am 26. Februar vor 70 Jahren zum ersten Mal geöffnet.

So sehen Stars aus: Mittlerweile gehören über 5000 Marionetten zum Fundus der Puppenbühne. © picture-alliance / dpa/dpaweb
Wenn das „Augs Puppe“ nach links aufklappt und das „urger nkiste“ nach rechts wegschwingt, dazu das Fagott „Eine Insel mit zwei Bergen“ scheppert, dann ist das ein magischer Moment. Das „öff öff“ von Wutz, das lispelnde Urmel mit seinem rosa Schnuller, der rote Strickpulli von Jim Knopf und das hohe Pfeifen der Lokomotive Emma kommen in vielen schönen Kindheitserinnerungen vor.
Und das schon seit Generationen. Denn seit 70 Jahren klackern die Holzfüße der Marionetten über die Bühne. Am 26. Februar 1948 feierte Walter Oehmichen in seinem neuen Theater Premiere. Er ließ den „Gestiefelten Kater“ seine märchenhafte Reise für mehr Gerechtigkeit antreten – die übrigens bis heute andauert. Denn der Kater zieht immer noch seine Stiefel an.
Namen wörtlich genommen
Bevor Walter Oehmichen in Augsburg sesshaft wurde, hat er den Namen mit der Puppenkiste wörtlich genommen. Alle Marionetten, alle Utensilien für die Unterhaltung am Fadenkreuz, hatte er in einer Holzkiste, die immer und überall einsatzbereit war. Dass Walter Oehmichen überhaupt sein Faible für Marionetten entdeckte, ist einem Zufall geschuldet. Als Soldat war er in einer Schule in Calais einquartiert, wo er ein kleines portables Puppentheater fand. Nach ein paar Fingerübungen gab er seinen Kameraden private Vorstellungen.

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Das kam so gut an, dass sich Walter Oehmichen vorstellen konnte, sein Geld mit Puppen zu verdienen. Als er das Leben aus der Kiste satt hatte, fand er mit dem „Heilig-Geist-Spital“ in der Spitalgasse einen leer stehenden Saal, der genau zu seinen Ideen passt.
Als Reminiszenz an seine Puppenkiste gestaltete er die Bühne so, dass sie aussieht wie eine Holzkiste, die sich für die Vorstellung öffnete. Dieser Mythos hat sich bis heute gehalten.
Kein lokales Phänomen
Dass die Augsburger Puppenkiste kein lokales Phänomen bleiben sollte, sondern alle Kinder in Deutschland die Stars an Seilen in ihr Herz schließen konnten, ist dem Fernsehen zu verdanken. 1953 hat der damalige NWDR „Peter und der Wolf“ gezeigt. Die Sendung mutet zwar eher etwas rustikal an, war aber ein Erfolg: „Man stellte eine Kamera vor die Kiste und hat eine Aufführung aufgenommen: mit Pausen, mit geschlossenem Vorhang, mit allem Drum und Dran“, erinnert sich der heutige Theaterleiter Klaus Marschall in einem Interview.
Eine Produktion, die mit unseren computeranimiert geschulten Augen heute unvorstellbar wäre. Aber eine Zahl rückt die magere technische Ausgereiftheit wieder gerade: 1953. Vier Wochen zuvor ist die „Tagesschau“ das erste Mal auf Sendung gegangen – damit gehört die „Augsburger Puppenkiste“ zu den ältesten Sendungen im deutschen Fernsehen.
Jim Knopfs erster Auftritt
Bis der erste große Puppenstar die Fernsehbühne betrat, sollten allerdings noch acht Jahre vergehen: 1961 rollte das erste Mal Emma mit Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer durch Lummerland – und hinein in alle Kindheitserinnerungen. Die Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer, mit viel Tunnels und Geleisen und dem Eisenbahnverkehr – sie war plötzlich bekannt in alle guten deutschen Stuben.
Urmel oder Jim
Wenn es die Frage nach den beliebtesten Figuren der Augsburger Puppenkiste gäbe, dann wäre das Ergebnis wahrscheinlich denkbar knapp. Jim Knopf oder Urmel? Urmel oder Jim Knopf? Beide sind die unangefochtenen Stars der Szene. 1969 hörte die Welt zum ersten Mal von Titiwu: Das Urmel schlüpfte aus dem Ei und bezauberte nicht nur die ordnungsliebende Wutz, sondern mit seinem Sprachfehler und seinem Schnuller auch alle Kinder vor dem Fernseher.

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Auch wenn zu dieser Zeit die Kamera schon nicht mehr statisch vor der Bühne steht, sondern die Sendungen eigens für das Fernsehen produziert werden, gelingt die Ausstattung doch mit einfachen Mitteln. Wenn der Seele-Fant auf seinem Stein im Meer traurige Lieder nöhlt, dann muss eine Folie, die sich auf und ab bewegt, als Wasser herhalten. Mittlerweile haben die Figuren aus der Spitalgasse in über 750 Sendungen ihre Auftritte gehabt. Auch wenn es mittlerweile für den Theaterleiter immer schwieriger wird, die Kinder für seine Fadenspiele zu begeistern. Fantasie statt Geschwindigkeit ist heute nur noch bedingt gefragt. Klaus Marschall setzt sich aber dennoch unentwegt dafür ein, die Menschen für seine Form der Unterhaltung zu begeistern. Immer wieder auf Tournee zu gehen, ist nur eine davon.
Puppen von klein auf an
Der Theaterleiter, der seit 1992 die Fäden in dritter Generation in der Hand hält, ist schon von klein auf mit den Puppen groß geworden. Seine Mutter Hannelore Marschall-Oehmichen hat aus Holzklötzen die Bühnenstars gemacht. Jede Marionette hat mal als Lindenholz-Block zehn mal zehn Zentimeter begonnen. Mit großer Kunst hat sie die feinen Züge ins Gesicht gearbeitet, und wenn abends die Familie vor dem Fernseher saß, hatte die Mutter immer eine Bastelarbeit dabei. Kleider und Haare mussten die Figuren ja schließlich auch bekommen.
Die ausgeprägten Gesichtszüge sind das Eine, um Leben in die Figur zu bekommen – die Strippen das Andere. Jede Marionette hängt an einem Spielkreuz mit zehn Fäden. Kopf, Schultern, Po, Arme und Beine sind so mit der Hand der Puppenspieler auf über 2,30 Meter hinweg verbunden. Und auch wenn der Puppenspieler kein offizieller Ausbildungsberuf ist, gehört doch viel Übung dazu, die Figuren nicht hölzern wirken zu lassen.
Der Chef mag den Kasperl
Fragt man Klaus Marschall nach seiner Lieblingsfigur, dann ist die Antwort einfach: der Kasperl. Seit knapp 20 Jahren leiht er ihm die Stimme. Der Theaterleiter redet auch gerne mit dem Spitzhutträger, der immer einen Ausweg kennt und nie ein Blatt vor den Mund nimmt: „Er darf auch ruhig frech sein, denn er ist und bleibt ein Holzkopf. Und deswegen darf er auch viel mehr.“