Hinkeln: Nicht auf den Strich treten!

Alte Kinderspiele

Hinkeln, Hickeln, Himmel und Hölle – die Namen sind ganz unterschiedlich, aber auch heute noch spielen Kinder das Hüpfspiel, bei dem man auf keinen Fall auf einen Strich treten darf. Helmut Spiegel lässt die Erinnerung an alte Kindertage wieder aufleben, in der die Kinder noch hüpften.

NRW

von Helmut Spiegel

, 25.10.2016, 12:05 Uhr / Lesedauer: 3 min
Hinkeln, Hickeln, Himmel und Hölle – die Namen sind ganz unterschiedlich, aber auch heute noch spielen Kinder das Hüpfspiel.

Hinkeln, Hickeln, Himmel und Hölle – die Namen sind ganz unterschiedlich, aber auch heute noch spielen Kinder das Hüpfspiel.

Schon zweimal bin ich an diesem Nachmittag auf den Balkon gelaufen und habe auf den Hof hinuntergeschaut. Doch niemand ist da, mit dem ich spielen könnte. Als ich das dritte Mal auf den Balkon gehe, wird meine Mutter aufmerksam: „Hast du schon deine Schularbeiten gemacht?“ – „Nein.“ – „Dann aber schnell!“

Ich könnte meine Schularbeiten an dem runden Holztisch, den mein Vater selbst gebaut hat, in meinem Zimmer machen. Aber dort bin ich so alleine. Ich nehme, wie ich das schon oft getan habe, den hölzernen Küchenstuhl aus der Kochnische und stelle das Fußbänkchen davor. Meine Schiefertafel passt genau auf den Stuhl, und das Lesebuch, aus dem ich etwas abschreiben muss, kann ich an die Stuhllehne stellen. „Zeig mal her!“, sagt meine Mutter, als ich fertig bin. Sie hat ausnahmsweise nichts einzuwenden, und ich packe Tafel und Lesebuch in meinen Tornister. Dann laufe ich wieder auf den Balkon.

Hinkeln ist eigentlich ein Spiel für Mädchen

Liesel ist auf dem Hof, meine Schulgefährtin aus dem zweiten Schuljahr. „Wollen wir was spielen?“ – „Hinkeln“, schlägt Liesel vor. Hinkeln? Das ist ja eigentlich ein Spiel für Mädchen. Aber Heinz und Männe, mit denen ich lieber spielen würde, sind nirgendwo zu entdecken. Ich gehe durch den Keller auf den Hof.

Liesel bricht aus der Hecke an der Bleiche einen kleinen Stock. Mit dem zeichnet sie auf den Hof ein Hinkelhaus. Es sieht aus wie ein Kreuz. Der Längsbalken hat sechs quadratische Felder, der Querbalken drei. „Abzählen“, sagt Liesel, und sie beginnt auch gleich.

Pille-, Pille-Ente ging in‘ Laden, wollt für zwei Pfennig Knackwurst haben. Für zwei Pfennig Knackwurst gibt es nicht. Pille-, Pille-Ente ärgert sich. Pille-, Pille-Ente ist nicht dumm. Schmeißt den ganzen Laden um. Wer kam da rein? Die Po-li-zei!

Liesel darf anfangen. Sie holt aus der Schürzentasche ihren Hinkelstein. „Wo hast du deinen Hinkelstein?“ Ich zucke mit den Achseln. „Warte!“, sagt Liesel. Sie läuft ins Haus und kommt mit dem kleinen Bruchstück einer Fliese zurück.

„Das ist aber so zackig!“, maule ich. „Musst du schleifen! Guck mal hier!“ Sie zeigt mir ihren Hinkelstein. Das ist auch ein Stück Fliese, aber dessen Ecken sind rund geschliffen. Ich gehe zu der kleinen Mauer an der Kellertreppe und beginne zu schleifen. Doch das Stück Fliese ist härter als der Backstein, und ich ratsche nur Riefen in die Mauer. „Da doch nicht, komm mit!“, sagt Liesel. Sie geht mit mir durch die Gasse auf die Straße und zeigt auf die Bordsteinkante. Also schleife ich an der Bordsteinkante. Mein Hinkelstein wird zwar nicht so schön wie Liesels, aber die scharfen Ecken und Kanten sind weg.

Vier Teile hat das Hinkelspiel

Liesel beginnt das Hinkelspiel. Zuerst hüpft sie auf einem Bein die Felder des Hinkelhauses hinauf und wieder hinunter. Dabei muss sie im Kreuzstück um das Mittelstück herumhüpfen und kann dann in das Mittelquadrat mit beiden Füßen hineinspringen, um sich auszuruhen. Beim Hinkeln darf Liesel nicht auf einen Strich treten, denn dann ist sie „ab“.

Im zweiten Durchgang legt man sich den Hinkelstein auf den Fuß und schreitet vorsichtig durch das Hinkelhaus. Fällt der Stein vom Fuß oder tritt man auf einen Strich, ist man auch „ab“. Im dritten Teil des Spiels wird der Stein beim Hüpfen mit dem Fuß von Feld zu Feld durch das Hinkelhaus gestupst. Verfehlt man ein Feld, ist man „ab“.

Der vierte Teil des Spiels ist der spannendste. Der Spieler stellt sich mit dem Rücken zum Hinkelhaus und wirft über die Schulter den Hinkelstein in eines der Felder. Trifft er eines, darf er es mit einem diagonalen Kreuz markieren. Der Mitspieler muss beim Hinkeln dieses Feld überspringen.

Die Liesel kann viel besser hinkeln als ich. Sie hat schon drei Felder markiert. Für mich ist es jetzt sehr schwer, das Hinkelhaus fehlerfrei zu überwinden. Ich bin drauf und dran aufzugeben, da kommt Notburga durch die Gasse auf den Hof. „Ich kenn auch ein Hinkelspiel. Das ist viel schöner!“, ruft sie schon von weitem. Sie nimmt den Stock vom Hof auf, mit dem Liesel unser Hinkelhaus gezeichnet hat, und zeichnet ein großes Hinkelhaus, das aussieht wie ein Männeken. Es hat einen großen, runden Kopf, einen Hals aus einem quadratischen Feld, einen großen quadratischen Bauch und darunter ein Bein aus drei quadratischen Feldern. Den Kopf teilt Notburga durch einen senkrechten Strich in zwei Felder, den Bauch mit zwei diagonalen Strichen in vier dreieckige Felder. Das Spiel geht genauso wie in dem Kreuz-Hinkelhaus.

Die Mädchen haben alle einen Hinkelstein

Abzählen, wer anfängt. „Noch nicht“, sagt Notburga, „ich muss erst meinen Hinkelstein holen.“ Die Mädchen haben wohl alle einen Hinkelstein zu Hause! Als sie wieder erscheint, zeigt sie uns einen bunten, runden, flachen Kiesel. „Hat mir mein Vater aus Holland mitgebracht“, sagt sie. Hätte mich auch gewundert. „Ich zähl ab!“, sagt Notburga.

Eins, zwei, drei, vier, fünf. Strick mir ein Paar Strümpf. Nicht zu groß und nicht zu klein. Morgen soll die Hochzeit sein. Hochzeit hier, Hochzeit da. Hochzeit in A-me-ri-ka.

Auch beim Spiel in dem Männeken-Hinkelhaus ist Liesel die Beste. Notburga ist ehrgeizig. Doch ihr runder, glatter Hinkelstein aus Holland flutscht beim Werfen oft aus dem Hinkelhaus heraus. Und dann ärgert sich die Notburga.

Das Buch zu den Geschichten
Helmut Spiegel: Das Bollerrad muss bollern, der Knicker, der muss rollern – Verlorene Kinderspiele aus dem Ruhrgebiet, Henselowsky Boschmann Verlag, 9,90 Euro, ISBN: 978-3-922750-49-9
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