
Der Hamburger Hauptbahnhof ist am 15. Juni das Ziel des Sambazuges aus Herten. © picture alliance / dpa
Hunderte Stadt-Mitarbeiter fahren mit dem Sambazug – Bürgermeister: „Es ist nicht die Aida“
Als Dankeschön und Würdigung
Hunderte Mitarbeiter der Stadt Herten fahren mit dem Zug nach Hamburg. Kritiker zeichnen das Bild einer unangemessenen Spaßfahrt auf Kosten der Steuerzahler. Bürgermeister Müller hat anderes im Sinn.
Eine „Mitarbeiter*innenfahrt“ nach Hamburg haben Bürgermeister Matthias Müller und der Personalrat der Hertener Stadtverwaltung organisiert. Die „gesellige Fahrt im Samba-Zug“, so heißt es in der Einladung, umfasst jeweils knapp fünf Stunden Hin- und Rückfahrt sowie fünf Stunden Aufenthalt in der Elbmetropole. Wobei an dieser Stelle wohl ein berühmter Ausspruch des chinesischen Philosophen Konfuzius den Kern der Sache treffen dürfte: Der Weg ist das Ziel.
35 Euro Eigenanteil – Rest aus der Stadtkasse
Schließlich gibt es an Bord des Zuges ein Catering und einen DJ. Der Personalrat nimmt vorab Musikwünsche entgegen. Die städtische Mitarbeitervertretung kalkuliert mit 380 Teilnehmern, jeder muss 35 Euro Eigenanteil beisteuern. Der Rest, ein fünfstelliger Betrag, kommt aus der Stadtkasse. Über die Bühne, Pardon: über die Gleise, geht das Ganze am Mittwoch, 15. Juni – also direkt vor dem Feiertag Fronleichnam. Das alles zusammen ist der Stoff, der vor allem die Hertener TOP-Partei und deren Anhänger auf die Palme bringt.
TOP-Partei kritisiert „Müller-Express“
Vom „Müller-Express“ ist auf der Partei-Seite bei Facebook die Rede. Dabei wird dem Bürgermeister unterstellt, er wolle nicht nur allen Mitreisenden einen freien Tag schenken, sondern obendrein alle Daheimgebliebenen mit Freistunden entschädigen. Das stimmt zwar nicht. Doch die Gefolgschaft nimmt die Steilvorlage gerne an, um kräftig über Matthias Müller im Besonderen und die Stadtverwaltung im Allgemeinen herzuziehen. Aber der Reihe nach...
Müller: „Seit mehr als zehn Jahren keine Veranstaltung“
Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärt Bürgermeister Müller, er habe die Idee zu einer solchen Fahrt schon vor längerer Zeit gehabt. „Seit mehr als zehn Jahren hat es keine Veranstaltung mehr für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung gegeben“, sagt Müller und deutet damit an, dass diese Form der „Mitarbeiterpflege“ unter seinen Amtsvorgängern nicht den Stellenwert hatte, den er dem Thema beimisst. Müller: „Gemeinsam mit dem Personalrat möchte ich zur Würdigung der Beschäftigten und ihrer Leistung ein Paket schnüren. Fortbildungen gehören genauso dazu wie eine jährliche Aktion. Die Fahrt nach Hamburg ist der Auftakt, im nächsten Jahr gibt es dann vielleicht ein Betriebsfest.“
Die Stadtkasse ist leer, in der Ukraine herrscht Krieg – ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, um Party zu machen? Müller hat einen anderen Blick auf die Dinge: „Die Corona-Zeit hat den Mitarbeitern der Stadtverwaltung in vielen Bereichen einiges abverlangt. Und die aktuelle Flüchtlingssituation tut das ebenso.“ Es sei daher an der Zeit, den Beschäftigen danke zu sagen und ihre Arbeit zu würdigen.

Hertens Bürgermeister Matthias Müller. © Andre Chrost
Ämter müssen selbst regeln, wer mitfährt
Wie wird es organisiert, dass fast 400 städtische Mitarbeiter an einem Mittwoch nicht arbeiten? „Die einzelnen Bereiche müssen selbst schauen, wie sie das regeln“, erklärt Müller. Es müsse sichergestellt sein, dass alle wichtigen Aufgaben erledigt und Notdienste eingerichtet werden. Es dürfe weder eine Kita schließen noch der Müll am Straßenrand stehen bleiben. Im Klartext: Hunderte Mitarbeiter bleiben freiwillig oder unfreiwillig im Dienst.
Keine Freistunden für Daheimgebliebene
Entgegen der Gerüchte bekommen die Daheimgebliebenen dafür keinen zeitlichen Ausgleich. „Vielleicht erhalten sie einen anderen Benefit, aber keine Freistunden oder einen anderen Arbeitsausgleich“, betont Matthias Müller. Die Frage, ob darüber nachgedacht worden sei, die Fahrt an einem Samstag statt an einem regulären Arbeitstag durchzuführen, beantwortet er frei heraus: „Wir haben mit dem Personalrat überlegt und sind auf diesen Mittwoch gekommen. Es gab keine Diskussion, ob wir an einem Samstag fahren sollten.“
Auch zur Geldfrage äußert Müller sich offen: „Meiner Meinung darf eine Stadtverwaltung in Maßen Geld aufwenden, um ihre Mitarbeiter zu motivieren und deren Arbeit anzuerkennen. Auch dann, wenn es sich um Steuergelder handelt. Das ist nicht übertrieben, wenn man bedenkt, was in den letzten Jahren in der Verwaltung geleistet wurde und dass es über zehn Jahre lang kein Mitarbeiterfest gegeben hat.“ Damit auch Beschäftigte der unteren Gehaltsklassen mitfahren können, habe man den Eigenanteil auf 35 Euro begrenzt. Abschließend betont Müller: „Wir reden hier über eine Zugfahrt nach Hamburg, es ist nicht die Aida.“
- Der Begriff Sambawagen steht – in Anlehnung an den in den 1950er-Jahren in Mode gekommenen Sambatanz – für die damals beschafften Baureihen V6 und V7 der Straßenbahn Hamburg, die im Einstiegsbereich vor dem Schaffnersitz eine große Aufnahmefläche hatten, die an eine Tanzfläche erinnerte.
- Der Begriff wurde auch anderweitig genutzt, etwa für die schaukelnden Westwaggon-Vierachser der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn oder für die Personenwagen der Feldbahn im Marine-Munitionsdepot Laboe, die zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder Jubiläen eingesetzt wurden. Auch die Straßenbahn-Großraumwagen des Düsseldorfer Herstellers Duewag-Großraumwagen wurden umgangssprachlich Sambawagen genannt.
- Heute gibt es Privatunternehmen, die – unabhängig von der Deutschen Bahn – Party- beziehungsweise Sambazüge durch die Republik rollen lassen.
Kind des Ruhrgebiets, aufgewachsen in Herten und Marl. Einst Herausgeber einer Schülerzeitung, heute Redaktionsleiter, Reporter, Moderator. Mit Leidenschaft für hintergründigen, kritischen Journalismus – mit Freude an klassischer Zeitung – mit Begeisterung für digitale Formate – mit Herz für Herten. Unterwegs mit Block und Kamera, Smartphone und Laptop in allen Themenfeldern, die die Menschen bewegen. Besonders gerne hier: Politik, Stadtentwicklung, öffentliche Daseinsvorsorge, Energiewirtschaft, Gesundheitswesen, Digitalisierung, Blaulicht.