Für verstorbene Tochter (22) durch Europa geradelt Heiko Kautz‘ Tour vereint Trauer und Hoffnung

Heiko Kautz‘ Tochter starb mit 22: Radtour vereint Trauer und Hoffnung
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Es sind rund 8000 Kilometer, die Heiko Kautz aus Bergkamen in den vergangenen vier Monaten im Fahrradsattel gesessen hat. Er fuhr über die Alpen, über die Pyrenäen, von Prag über Wien nach Venedig und Mailand bis Madrid und Porto. Im Herzen immer dabei: seine verstorbene Tochter Lena. Ihr Grab steuerte er bei seiner Rückkehr am 22. Juli als Erstes an.

Lena Kautz starb kurz vor Weihnachten im Dezember 2023 mit nur 22 Jahren an einer seltenen Krebserkrankung, die vor allem Kinder und Jugendliche befällt. Die Ziele von Heiko Kautz sind daher: Mehr Aufmerksamkeit auf diese Krankheit zu lenken, damit anderen Kindern vielleicht rechtzeitig geholfen werden kann, – und für die Deutsche Sarkomstiftung, für die sich auch Lena seit ihrer Erkrankung ehrenamtlich engagiert hatte, Geld zu sammeln.

In einem Fanshop in Madrid hängen viele Trikots an der Wand. Nur eins davon hat eine Nummer - und es ist die 22.
In einem Fanshop in Madrid tauchte wieder die 22 wie aus dem Nichts auf: An einer Trikotwand gab es nur ein Shirt mit Rückennummer. Es war die 22. © Heiko Kautz

„Von meinem finanziellen Wunschziel bin ich weit entfernt“, sagt Heiko Kautz nach seiner Rückkehr. „Aber ich möchte den Erfolg der Lena-Tour nicht daran messen. Denn viele Dinge haben sich in diesen Wochen auch verschoben.“

Als Heiko Kautz zu seiner Radtour gestartet war, hatte er das Nummernschild von Lenas erstem Auto an sein Fahrrad geheftet. Außerdem dabei: Ihr Trikot aus der Frauenfußballmannschaft mit der Nummer 22. Lenas Zahl in allen Lebenslagen.

Viele Menschen verfolgten die Tour von Heiko Kautz in den sozialen Medien. Kurz vor Spanien startete er den Aufruf, ihm Namen von Menschen zu nennen, die ebenfalls gegen ein Sarkom kämpfen.

„Ich habe Nachrichten von Menschen bekommen, die ich nicht kenne, die aber täglich verfolgt haben, wo das Trikot gerade ist und die mir schrieben, wieviel Mut ihnen das gäbe. Es waren so viele, die sich bedankt haben“, sagt Heiko Kautz mit brüchiger Stimme.

Er selbst habe keine guten oder schlechten Tage, sagt er. „Es sind eher gute und schlechte Momente, die sich stetig abwechseln.“ Der Moment, wenn der Berg erklommen gewesen sei und die Aussicht vor ihm gelegen habe, sei toll gewesen. „Aber dann war da sofort der Gedanke: Schade, dass Du nicht dabei sein kannst, Lena.“

Heiko Kautz und seine Tochter Lena. Sie hat den Kampf gegen den Krebs verloren.
Heiko Kautz und seine Tochter Lena. Sie hat den Kampf gegen den Krebs verloren. © Heiko Kautz

„Es sagte sich vorher so leicht, dass sie all das, was sie laut ihrer Handy-Liste im Leben noch hatte sehen wollen, durch meine Augen sehen sollte“, sagt Heiko Kautz. Doch unterwegs sei das sehr schwer gewesen. „Ich bin froh, dass wir diesen Glauben haben, dass etwas nach dem Tod kommt. Dass sie noch mitbekommt, was mit uns passiert“, sagt Heiko Kautz.

Dabei habe er erst durch Lenas Krankheit wieder das Beten gelernt, und am Ende mit Gott gehadert. „Ich war auf dieser Reise aber in vielen Gotteshäusern“, sagt Heiko Kautz, und wählt das Wort ganz bewusst: „Ich weiß nie, ob das eine Kirche, ein Dom oder eine Kathedrale ist“, gibt er zu und muss lachen. Doch dann wird er gleich wieder ernst: Denn die emotional schlimmsten Momente seiner Reise hätte er im Stephansdom in Wien und im Mailänder Dom gehabt.

Ein Foto von Lena Kautz und Kommilitonen aus glücklichen Zeiten. Davor eine brennende Kerze im Mailänder Dom.
Im Mailänder Dom zündete Heiko Kautz eine Kerze an und stellte ein Foto von Lena aus glücklichen Zeiten dahinter. Ein Moment, der zum emotional schwersten der Reise werden sollte. © Heiko Kautz

An markanten Punkten platzierte er Lenas Trikot für ein Foto. Im Stephansdom setzte in genau diesem Moment die Orgelmusik ein. „Da musste ich raus“, sagt er und in Erinnerung daran schimmern Tränen in seinen Augen. In Mailand traf er eine von Lenas Kommilitoninnen aus dem Auslandsjahr. „Die gab mir Fotos“, erinnert sich Heiko Kautz. Er entzündete eine Kerze, stellte eines der Bilder dahinter auf und der Schein der Flamme erhellte genau Lenas Gesicht. „Da hab ich bitterlich weinen müssen“, schildert er.

Seine Reise bergauf und bergab war daher nicht nur körperlich sehr anstrengend, mit rund 50 Kilo Gepäck am Rad, sie war es auch mental. „Vor allem in den Städten war das so“, sagt Heiko Kautz. Denn auf den oft einsamen Radwegen konnte er den Kopf ausschalten oder Zwiesprache mit Lena halten. Doch in den Städten kamen oft ungewollte Einflüsse hinzu.

Es waren die kleinen Begebenheiten am Wegesrand, die ihn wehmütig und auch traurig machten. „Da war ein Vater, der seiner Tochter das Radfahren beibrachte. Das habe ich auch gemacht. Oder ein anderes Mal fuhr das Mädchen Rollschuh.“ Es wären die Väter-Töchter-Kombinationen, die einfach weh getan hätten, anzusehen. „Nicht, weil ich neidisch oder missgünstig bin. Ich hatte ja auch all diese Momente. Aber das zu sehen, war nicht einfach.“

Doch die 22, die in Lenas Leben so eine große Bedeutung gespielt hatte, ließ ihn während der gesamten Reise nicht los. Für Heiko Kautz war es dann oft so, als wenn ihm Lena dadurch ein Zeichen geschickt hätte. Wann immer sein Handy klingelte, hielt er das Rad an. Einmal war es ein Fernsehsender, der ihn in eine Live-Show einladen wollte. „Live, das ist ja eigentlich nicht so meins“, sagt Heiko Kautz. „Doch während ich da stand, fiel mein Blick auf die Nummer des Hauses, vor dem ich stand. Es hatte die 22. Da hab ich spontan gesagt, dass ich es mache.“

Heiko Kautz radelte in Gedenken an seine Tochter Lena durch halb Europa. Der schönste Moment der Reise war, als ihn Sohn Ben mit einem Besuch überraschte.
Sohn Ben überraschte Heiko Kautz mit einem Kurzbesuch auf dessen Reise. © privat

Der schönste Moment der Reise wäre der gewesen, als ihn sein Sohn in Madrid mit einem Besuch überrascht habe. Gemeinsam besuchten sie den Fanshop am Bernabeu-Stadion. „Da war eine Wand voller Trikots. Und genau in der Mitte, das einzige überhaupt mit einer Nummer, war die 22. Überdies noch ein Damentrikot.“

Trotz aller Kraft, die die Reise zusätzlich kostete: Heiko Kautz bereut sie nicht. „Ich hätte das auch mit dem Motorrad oder mit dem Flugzeug machen können. Aber ich wollte auch die Auszeit für mich. Ich wollte über meine Tochter, über uns nachdenken. Im Nachhinein war das genau richtig. Ich bin für Lena gefahren, aber auch für mich.“ Doch als er in Südfrankreich am Meer war, das Lena so liebte, wurde es nochmal schwer für ihn: „Da war ich froh, als ich wieder fahren konnte.“

Natürlich gab es in den sozialen Netzwerken auch negative Kommentare zu seiner Reise. „Das waren wenige. Aber leider behält man die im Kopf“, sagt Heiko Kautz. Dass er nun im Rampenlicht steht, ist ihm eigentlich unangenehm. „Das ist nicht meine Welt. Lena hat Medienwissenschaften studiert. Die wäre mal vor der Kamera gelandet. Jetzt tun wir das als ihre Eltern.“ Denn nur so schließt sich für ihn der Kreis: „Wenn Du Leute über eine Sache wie das Sarkom informieren willst, dann musst Du in die Öffentlichkeit. Ich als Person bin dabei austauschbar. Aber es ist doch unbezahlbar, wenn dadurch ein anderes Kind gerettet werden könnte.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien zuerst am 28. Juli 2024