Hauptsache, Macht: Warum bei der Union der große Knall (noch) ausbleibt

Bundestagswahl 2021

Die Union kämpft um die Regierung. Sie will sich nach 16 Jahren Kanzlerschaft nichts anderes vorstellen. Für die Erneuerung fehlt der CDU derzeit allerdings der Mut.

Berlin

01.10.2021, 08:54 Uhr / Lesedauer: 5 min
Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (2.v.r.) steht mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak (r.) und den CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann (2.v.l.) und Friedrich Merz nach dem Treffen der NRW-Landesgruppen im Sitzungssaal zusammen.

Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (2.v.r.) steht mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak (r.) und den CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann (2.v.l.) und Friedrich Merz nach dem Treffen der NRW-Landesgruppen im Sitzungssaal zusammen. © picture alliance/dpa

Die schmeichelhafteste Gemeinheit in diesem Hauen und Stechen in der Union nach ihrem Absturz bei der Bundestagswahl ist noch die über Norbert Röttgen. Er hatte sich für seinen Wiedereinzug in den Bundestag mit einem Foto via Twitter bedankt.

Da sitzt er smart am Schreibtisch, helles Hemd, pinkfarbene Krawatte, lehnt lässig in seinem Stuhl und hält eine Tasse Kaffee in der Hand und sendet diese Botschaft: „Der erste Espresso nach dem Wahlkampf ist für meine Wählerinnen und Wähler!“ Seine Widersacher in der Partei amüsieren sich im kleinen Keis: Der George Clooney der CDU werde trotz aller Ambitionen nicht der nächste Fraktionschef.

Über den gerade nach heftigem Clinch mit CDU-Chef Armin Laschet bis Ende April wiedergewählten Amtsinhaber Ralph Brinkhaus wird noch viel Fieseres erzählt als „der mit dem Kopf durch die Wand tanzt“, ebenso über CSU-Chef Markus Söder („der mit dem Baum tanzt“). Und über Armin „Lachet“ statt Laschet sowieso. Die Union ist tief gesunken in der Wählergunst. Es brodelt an allen Ecken und Enden. Und trotzdem tut es keinen Knall. Noch nicht. Denn die große Mehrheit in CDU und CSU eint die DNA der Union: der Wille zur Macht.

Regierungsbildung wirkt auf Bundesländer

Es hängt jetzt nicht nur das Kanzleramt nach 16 Jahren Angela Merkel daran und die Zahl der möglichen Posten für Ministerinnen und Staatssekretäre, sondern in der Folge der Regierungsbildung im Bund auch die Auswirkungen auf Bundesländer. Im nächsten Jahr wählen Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und das Saarland. Allesamt derzeit CDU-geführt.

Sollte der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Hendrik Wüst nach Laschets Wechsel nach Berlin der nächste Ministerpräsident in Düsseldorf werden, stehen drei für CDU-Verhältnisse junge Männer (im Alter zwischen 43 und 48 Jahren) zur Wahl. Sie sind die Zukunft der CDU und fürchten ein jähes Ende nach dem Desaster bei der Bundestagwahl. Alle drei halten sich derzeit mit scharfer Kritik zurück, auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans, der für Markus Söder als Kanzlerkandidat war.

Rache ist süß

Allen ist klar, ohne den Anschein von Geschlossenheit hat die Union keine Chance auf eine Jamaika-Koalition. Es schmerzt die Schwarzen, dass ausgerechnet die lange Jahre zerstrittenen und deswegen von CDU und CSU geschmähten Grünen sich jetzt über die Instabilität der Union mokieren und sie deshalb als nicht regierungsfähig bezeichnen. Rache ist süß.

16 Regierungsjahre von Angela Merkel sind für CDU und CSU lang genug, um sich eines nicht mehr vorstellen zu wollen: keine Posten mehr verteilen zu können. Wie soll das gehen, niemanden mehr einbinden zu können, indem man ihm oder ihr ein Amt überträgt? Als Ministerin oder als Staatssekretär? Die beiden wichtigsten Ämter wären dann der Parteivorsitz und der Fraktionsvorsitz – und zwar am besten in einer Hand, damit die Führung der Union so mächtig wie möglich in der Opposition auftreten kann. Oppositionsführer eben. Das bedeutete, es kann nur eine Person vorn stehen, alle anderen müssen sich einreihen.

Das wird vor allem für die vielen machtbewussten Männer aus NRW ein Problem: Laschet, Brinkhaus, Röttgen, Friedrich Merz und Gesundheitsminister Jens Spahn. Und noch ein anderes großes Problem wird dadurch sichtbar: Es gibt keine Frauen in der ersten Reihe, die da mitmischen.

Eine der profilierteren und hoffnungsvollen jungen Frauen in der Unionsfraktion, Nadine Schön (38) aus dem Saarland, ist aus dem Bundestag geflogen. Über die Landesliste ziehen nur die bisherigen, mehr als 20 Jahre älteren Bundesminister Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier ein. Auf CDU-Fluren in Berlin heißt es, würden sie doch ihren Platz frei machen für die nächste Generation.

Alle sprechen von Erneuerung

Erneuerung ist nun das Zauberwort. Alle sprechen in der Union davon. Aber die wenigsten glauben, dass das in der Opposition besser gelingt als in einer Regierung. Ohne Macht, „nur so im Parlament“, drohe eher eine „Selbstzerfleischung“. Gefallen an der Oppositionsrolle haben jene Kräfte, die fürchten, dass die Union in ihren alten Trott fällt, wenn sie zu sehr mit dem Regieren beschäftigt ist und sich dadurch in ihrem Handeln voll bestätigt sähe. Es fehle so etwas wie der FAZ-Artikel im Jahr 1999 der damaligen CDU-Generalsekretärin Angela Merkel, als sie der Partei in der Spendenaffäre klar machte, dass sie sich von Helmut Kohl lösen müsse.

Zu einem solchen Frontalangriff ist derzeit niemand bereit, weil noch nicht klar ist, ob die Union in die Opposition stürzt. Es rumort, in Kreisverbänden, bei der Jungen Union, im Osten Deutschlands, bei Hinterbänklerinnen und Hinterbänklern in der Bundestagsfraktion. Aber der große Knall wird noch gescheut.

Mehrere Thüringer CDU-Kreisverbände haben einen Stein ins Wasser geworfen. Es sei richtig, dass sich die CDU eine Regierungsbeteiligung als Option offen lasse, heißt es in einem offenen Brief, den der CDU-Kreisverband Altenburger Land auf Twitter verbreitete. „Das kann allerdings nicht mit Armin Laschet geschehen. Eine mögliche Jamaika-Koalition mit Armin Laschet als Kanzler hätte von Anfang an den Makel, den Wahlverlierer gegen die Stimmung in der Bevölkerung ins Amt gehoben zu haben.“

Spekulationen, Söder könnte sich am Ende zur Kanzlerwahl stellen, werden derweil weitergetrieben. Es ist ein Test, wie das innerhalb und außerhalb der Union so ankommt. Das Bild ist gemischt. In der CSU wird zumindest auf Nachwahlbefragungen verwiesen, wonach sich viele Deutsche einen Kanzler Söder gewünscht hätten.

Laschet kämpft unermüdlich

Armin Laschet kämpft aber unermüdlich. Er hätte nach der Wahl schon an einer Klippe politisch zerschellen können. Doch der CDU-Vorsitzende hat sie um Haaresbreite umschifft und seinen Platz am Steuer durch einen eigenartigen Kompromiss bei der Abstimmung über den Fraktionsvorsitzenden Brinkhaus verteidigt. Auch Unionsanhänger staunen in diesen Tagen erneut, wie der Rheinländer sich immer wieder über Wasser hält.

Am Montag habe es so ausgesehen, dass er von Bord gehen müsse, weil ihm ein Scherbengericht in der Fraktion drohte, nachdem er vorgeschlagen hatte, Brinkhaus nur kommissarisch bis zur Regierungsbildung im Amt zu halten und der dagegen rebellierte. Und am Donnerstag nehme er in Mannschaftsstärke mit seinen CSU-Konkurrenten Söder und Alexander Dobrindt sowie dem vergrätzten alten und bis Ende April gewählten Fraktionschef Brinkhaus selbstbewusst Kurs auf Jamaika, heißt es.

Der Kompromiss um Brinkhaus habe ihm Zeit verschafft. Und Laschet wieder etwas stabilisiert. Wenn ihn je etwas retten werde, dann eben dieses kollektive Festhalten an der Macht in der Union. Manche sagen: um jeden Preis. Und wenn es eine große Koalition unter einem Bundeskanzler Scholz wäre. Besser nicht in der ersten Reihe als in gar keiner Reihe.

Was nur nicht passieren soll: die Entkernung der Union. Die traditionellen Themen – Familie, Sicherheit, stabile Finanzen – müsse sie weiter mit Leben füllen. Und: Es dürfe keinen Rechtsruck geben. Sie haben gelernt, dass die Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Dort, wohin Merkel die Union gerückt hat. Versuche, durch Anleihen bei der AfD zu punkten, werde es nicht geben, sagen jene, die in den Starlöchern für Höheres stehen.

Sie hoffen auf Scheitern der Ampel

Gemeinsam hoffen sie darauf, dass die Sondierungsgespräche für eine Ampel scheitern. Dass SPD-Mann Scholz vielleicht zu überheblich auftrete. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich machte ihnen da Mut, weil er bereits eine gewisse Arroganz an den Tag gelegt habe mit dieser Mahnung: „Deswegen sollten auch Grüne und FDP klug genug sein, das Angebot von uns, jetzt bald Gespräche, Sondierungen für eine Koalition zu führen, auch zu ergreifen.“

Außerdem wird in der Union darauf gesetzt, dass die Freundschaft von Laschet zu FDP-Chef Christian Lindner belastbar ist und dieser die Grünen zu Jamaika-Gesprächen herüberzieht. Zumindest könne Laschet seine Qualitäten in Verhandlungen viel besser zeigen als im Wahlkampf. Er sei doch der große Integrator.

Viele schauen jetzt aber sehr genau darauf, wie sich Jens Spahn positionieren wird. Dass er sich wie im Februar 2020 zugunsten von Laschet noch einmal in die zweite Reihe drängen lässt, wenn es um die Macht in der CDU geht, schließen viele aus. Im Wahlkampf war er loyal mit ihm, obwohl er sich oft gegrämt haben dürfte, dass er damals nicht selbst um den Parteivorsitz gekämpft hat. 2018 war er ja auch gegen Merz und Kramp-Karrenbauer angetreten.

Am Donnerstagmorgen gab er im Deutschlandfunkt ein interessantes Interview: „Opposition nur aus Frust, das kann ja jetzt nicht die Antwort sein. Wir haben auch eine Verantwortung für Deutschland“, sagt Spahn. Und: „Eine bürgerlich-ökologisch-liberale Regierung wäre für unser Land besser als eine Ampel.“

Auch er versucht, den Weg zu Jamaika zu ebnen. Er setzt aber noch ein anderes Zeichen. Die CDU brauche eine programmatische, strukturelle und personelle Erneuerung. Die Generation nach Angela Merkel müsse stärker in Verantwortung kommen. Das sagt Spahn schon lange. Auf die Frage, ob Laschet gehen müsse, sagt er nur: „Die Frage stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht.“ Zum jetzigen Zeitpunkt.

RND