Günter Brossat erinnert sich an das Grubenunglück auf Grimberg 3/4 von 1946.

© Stefan Milk

Grubenunglück auf Grimberg 3/4: Günter Brossat lässt das Schicksal seiner Brüder nicht los

rnVor 75 Jahren

Der Musiker und Entertainer Günter Brossat hat bei dem Grubenunglück 1946 auf Grimberg 3/4 drei seiner Brüder verloren. Es ist eine Geschichte voller Tragik, die ihn bis heute nicht loslässt.

von Michael Dörlemann

Bergkamen

, 20.02.2021, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Günter Brossat kann sich noch genau an den 20. Februar 1946 erinnern. Mittags gab es einen lauten Knall, der bis nach Overberge zu hören war, wo die Familie Brossat damals lebte. Seiner Mutter war sofort klar, was geschehen war. „Jetzt sind meine Jungs tot, hat meine Mutter gesagt“, erinnert sich der heute 78-Jährige. Er kann sich noch daran erinnern, obwohl er damals erst vier Jahre alt war.

Ihre „Jungs“, das waren seine drei älteren Brüder Karl, Erwin und Herbert, damals 21, 19 und 17 Jahre alt, die zur Frühschicht auf der Zeche Grimberg 3/4 in Weddinghofen angefahren waren. Seine Mutter Margarethe behielt leider Recht. Sie gehörten zu den 405 Toten, die das schlimmste Grubenunglück in der deutschen Bergbaugeschichte auf der im Volksmund „Kuckuck“ genannten Zeche forderte.

Der Vater war zur Mittagschicht eingeteilt und überlebte

Fast hätte es die Familie noch schlimmer getroffen: Auch sein Vater arbeitete auf Grimberg 3/4, war aber für die Mittagsschicht eingeteilt. Eigentlich sei die Frühschicht bei den Bergleuten sehr beliebt gewesen, sagt Brossat. „Da hatte man schon um 14 Uhr frei und konnte noch etwas mit dem Tag anfangen.“ In diesem Fall rettete die unbeliebte Mittagsschicht seinem Vater das Leben.

Günter Brossat hat im Keller seines Hauses ein kleines Privatmuseum.

Günter Brossat hat im Keller seines Hauses ein kleines Privatmuseum. Auf diesem Bild zeigt er seine Mutter Margarethe (M.) als junge Frau. © Stefan Milk

Sein Vater Karl Brossat fuhr sofort mit dem Fahrrad nach Weddinghofen zur durch eine Explosion unter Tage fast völlig zerstörten Zeche, um sich nach dem Schicksal seiner Söhne zu erkundigen. „Aber da haben sie ihn schon gar nicht mehr hereingelassen“, weiß Günter Brossat noch.

„Die Kleidung hing noch in der Kaue an den Haken“

Irgendwann in den nächsten Tagen erfuhren seine Eltern, dass ihre drei Söhne nicht zu den wenigen gehörten, die gerettet werden konnten. Noch viel später, wohl erst im März, durfte sein Vater dann doch noch in die Zeche. Er ging damals mit dem Bollerwagen und seinem Jüngsten nach Weddinghofen, denn die Angehörigen durften die Privatkleidung der Verunglückten abholen. „Die hing noch in der Kaue am Haken. Dort hat er sie abgenommen“, sagt Brossat.

Er erinnert sich auch noch an den Vorabend des Unglücks. Die Familie Brossat, die sehr musikalisch ist, hatte zusammen musiziert. Das letzte Lied, das die Brüder zusammen spielten, war „Zum Abschied reich´ ich Dir die Hände“, das damals sehr populär war – fast so etwas wie eine Prophezeiung.

Besonders traurig macht den heute 78-Jährigen die Erinnerung an den letzten Abend mit seinen Brüdern.

Besonders traurig macht den heute 78-Jährigen die Erinnerung an den letzten Abend mit seinen Brüdern. © Stefan Milk

Am nächsten Morgen hatte sein Vater Mühe, seine drei älteren Söhne zu wecken, damit sie rechtzeitig zur Frühschicht kamen, weil es so spät geworden war. „Ich glaube, das hat er sich sein Leben lang vorgeworfen, dass er darauf bestanden hat“, erinnert sich sein jüngster Sohn heute.

Günter Brossat wurde erst Bergmann und dann Berufsmusiker

Auch Günter Brossat selbst wurde zunächst nach der Schule Bergmann – wie fast alle jungen Bergkamener zu der Zeit. Ende der 50er-Jahre machte der Musiker und Entertainer eine Ausbildung auf der Zeche Monopol. Die Musik ermöglichte ihm danach zumindest für einige Zeit die Flucht aus dem Bergbau. Er machte Musik und konnte davon leben.

Der Musiker und Entertainer hat selbst trotz des Schicksals seiner Brüder eine Ausbildung zum Bergmann gemacht. In diesem Rahmen verwahrt er neben anderen Ausweisen auch seinen Knappen- und seinen Hauerbrief.

Der Musiker und Entertainer hat selbst trotz des Schicksals seiner Brüder eine Ausbildung zum Bergmann gemacht. In diesem Rahmen verwahrt er neben anderen Ausweisen auch seinen Knappen- und seinen Hauerbrief. © Stefan Milk

Nur nachdem er geheiratet hatte, kehrte er noch einmal für sieben Jahre zum Bergbau zurück und hatte oft ein beklemmendes Gefühl unter Tage, wie er heute gesteht. „Als ganz junger Mann hat mir das nicht so viel ausgemacht, aber als ich älter war, hat sich das geändert“, sagt er.

Das Steigerlied nimmt ihn immer noch mit

Später gelang es ihm, die Musik endgültig zum Beruf zu machen und als Musiker und Entertainer zu arbeiten, der immer noch in der Region bekannt ist. Mittlerweile lebt er schon seit 40 Jahren in Unna-Mühlhausen.

Trotzdem lässt ihn die Geschichte seiner Brüder nicht los. Wenn vor den Spielen seines Lieblingsvereins Schalke 04 das Steigerlied gespielt wird, ergreift ihn das immer noch ganz besonders. Jahrelang pflegte er den Kontakt zu Albert Röckenhaus, einem der letzten Überlebenden des Unglücks, der seine Brüder noch gut gekannt hatte.

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Auch wenn an diesem Samstag zum 75. Jahrestag des Grubenunglücks ein Kranz am Ehrenmal auf dem alten Friedhof am Südhang in Weddinghofen niedergelegt wird, ist Günter Brossat dabei. „Das bin ich meinen Brüdern schuldig“, sagt er. Auf der Rückseite des Ehrenmals stehen die Namen aller Opfer des Unglücks. Auch Karl, Erwin und Herbert Brossat sind darunter.

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