Grimme Online Award: Preisgekröntes aus dem Internet Institut prämiert sogar den KI-Einsatz

Preisgekröntes aus dem Internet: Grimme prämiert sogar den KI-Einsatz
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Warum sind Insektenhotels aus dem Baumarkt Schrott? Wer fährt eigentlich Autoscooter, wenn Migranten nicht mehr auf die Kirmes dürfen? Und was ist der grammatikalische Unterschied zwischen „schwer“ und „schwierig“? Fragen wie diese lassen sich heute mit einem Klick im Internet beantworten. Fragen wie diese zeichnen auch einen Teil der Beiträge aus, die die sieben Juroren aus fast tausend Einreichungen jetzt beim Grimme Online Award ausgezeichnet haben. Netz-Nerds können eben auch Humor, können Stimmung, wie Moderatorin Anja Backhaus vom WDR bei der Preisverleihung im Grimme-Institut augenzwinkernd feststellte. Aber eben nicht nur.

Preisträger und Preisträgerinnen bei der Verleihung des Grimme Online Awards 2024.
Preisträger und Preisträgerinnen bei der Verleihung des Grimme Online Awards in Marl. © Christian Pozorski

Die Übergabe im alten Bert-Donnepp-Haus, dem ersten Neubau einer Volkshochschule in kommunaler Trägerschaft nach dem Krieg, war eine kleine Premiere und falle immerhin auf historischen Boden, so Grimme-Geschäftsführer Peter Wenzel. Im Hinblick auf eben diese Historie gehe es am Verleihungsabend um nichts weniger als den Erhalt der Demokratie. „Das Internet hat die Möglichkeit, sie zu gefährden, aber auch sie zu schützen“ so Wenzel. Und: Das Gute daran ist das Gute darin.“ Und das waren durchaus nicht nur humorige Beiträge.

TikTok-Kanal über Nazi-Verbrechen.

Tatsächlich bildeten historische Themen den diesjährigen Schwerpunkt. Auffällig viele Formate setzten sich dabei mit der NS-Diktatur und ihren Auswirkungen vor allem auf jüdisches Leben auseinander, etwa die „Library of lost books“, die vor allem junge Nutzer bei der Suche nach in der NS-Zeit geraubten und verschollenen Büchern anspricht.

Oder Susanne Siegerts TikTok-Kanal „keine.erinnerungskultur“ über Nazi-Verbrechen. Oder das Online-Archiv des Satire-Magazins „Het Onderwater Cabaret“ mit Gedichten des in den Niederlanden untergetauchten Juden Curt Bloch – ein Schatz „wie das Tagebuch der Anne Frank, nur in anderer Form“ hieß es in der Laudatio.

Großen Applaus bekam auch der Bildatlas „#Lastseen“ mit 33 bedrückenden Fotos von NS-Deportationen, die nicht nur Betroffene zeigen, sondern auch Beamte der Sicherheitspolizei und: Zuschauer. Mit diesen kostbaren Bildern, mitten am helllichten Tag aufgenommen, „ist das Narrativ, die Deutschen hätten von nichts gewusst, eindeutig widerlegt“, so Landrat und Preispate Bodo Klimpel.

Apropos Narrativ: Keine gute Figur machte Schauspieler Armin Rohde als erster Laudator auf der Bühne, der mit seiner Meinung übers Internet nicht hinterm Berg hielt und von Moderatorin Anja Backhaus unschön ausgebremst werden musste.

Für seine Aussage, die AfD habe außer dem Narrativ nichts anzubieten, „die haben Null Informationen“, erntete er zwar reichlich Beifall. Wer nicht begreife, wie ein Narrativ funktioniere, wer sich framen lasse und dem nichts entgegnen könne, den frage er: „Habt ihr sie noch alle?“

Aber dann kam es ganz dicke. Mit „Es wächst eine Generation heran, der systematisch abgewöhnt wird, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden“, konterkarierte er eben jene Bemühungen von investigativen Journalisten im Netz, redlich aufzuklären.

CORRECTIV geht leer aus

Tahsim Durgun, Preisträger in der Kategorie «Publikumspreis»  bei den Grimme Online Awards in Marl
Sichtlich gerührt nahm Tahsim Durgun, bekannt durch seine Social-Media-Präsenz @tahdur, den Preis in der Kategorie „Publikumspreis“ entgegen. © picture alliance/dpa

Stichwort Aufklärung: In der Kategorie Spezial setzten sich die „Databroker Files“ von netzpolitik.org und BR überraschenderweise gegen die Recherchen von CORRECTIV zum „Geheimplan Deutschland“ durch. Das Netzwerk ging tatsächlich leer aus.

Dafür vergab das Grimme-Institut erstmals einen Sonderpreis in der Kategorie Künstliche Intelligenz. NRW-Medienminister Nathanael Liminski ehrte hier die Krimi-Challange „In fünf Tagen Mord“, ein Hörspiel, dessen Plot mit KI verfasst wurde, weil die Hosts „keine Ahnung vom Krimischreiben hatten“. Liminski: „KI hat dazu geführt, dass wir alle noch unsicherer geworden sind, ist aber andererseits ein effektives Instrument, um Desinformationen aufzudecken und gegen Hass und Hetze im Internet vorzugehen.“ Viel Beifall auch dafür.

Noch mehr Applaus bekam am Ende nur ein sichtlich gerührter Tashim Durgun für seine beißend-komischen @tahdur-Videos auf TikTok, etwa über die Absurditäten deutscher Grammatik oder die prekären Konsequenzen der AfD-Politik. Er bekam unangefochten den Publikumspreis. Sein Schlusswort: „Danke, Beyoncé!“

Zum Thema

Das sind die GOA-Gewinner

Insgesamt 30 Beiträge im Netz etwa zur DDR, zu Rechtsextremismus, der Flutkatastrophe 2021, zu Biodiversität, Gefahren eines Herzstillstandes oder Aspekten (post)migrantischer Lebensrealitäten in Deutschland wurden von knapp tausend Einreichungen nominiert. Folgende Preise wurden vergeben:#

  • Kategorie Information & Aufklärung:
    „Europäische Waffen, amerikanische Opfer“ vom Tagesspiegel und dem ZDF Magazin Royale
    „Systemeinstellungen“ von netzpolitik.org
  • Kategorie Wissen & Bildung:
    „#Lastseen. Bilder der NS-Deportationen“ , Freie Universität Berlin
    „keine.erinnerungskultur“ auf TikTok von Susanne Siegert
    „Robinga Schnögelrögel“ auf Instagram von Robin König
  • Kategorie Kultur & Unterhaltung
    Curt Bloch und „Het onderwater Cabaret“ von der Q Kreativgesellschaft
    „Library of lost books“ , Leo Baeck Institute Jerusalem und London, sowie Freunde & Förderer
  • Kategorie Spezial
    „Databroker Files“-Recherche von netzpolitik.org und BR
  • Sonderpreis KI
    „In fünf Tagen Mord“ von Comedian Janina Rook und BR-Netzexperte Christian Schiffer
  • Publikumspreis:
    „@tahdur“ auf TikTok von Tashim Durgun