Glaube und ein kühles Bier: "Trilliarden" in Hamburg
Glaube und Unglaube von Alltagsmenschen umkreist Ingrid Lausund in ihrem Theaterabend "Trilliarden - Die Angst vor dem Verlorengehn" mit Leichtigkeit und Humor. Bei der Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus Hamburg bekommt sie dafür minutenlangen Applaus.
Ein Astronaut, der an einem Seil durch die dunkle Unendlichkeit des Weltalls schwebt: Dieses Motiv auf einem Banner an der Fassade des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg wirbt für den Theaterabend "Trilliarden - Die Angst vor dem Verlorengehn" der Autorin und Regisseurin Ingrid Lausund ("Benefiz").
Den Titel - eine Trilliarde ist eine Zahl mit 21 Nullen - darf man dann auch als Ausdruck einer unvorstellbaren Größe verstehen, die Menschen immer wieder zu Fragen nach dem Sinn des Ganzen und ihres eigenen Lebens zu zwingen vermag. Es ist ein Stück über Glaube und Unglaube, Toleranz und Intoleranz in Zeiten, in denen Religion oft nur in ihren politischen bis hin zu terroristischen Dimensionen diskutiert wird.
Lausund, die für ihre unter dem Pseudonym Mizzi Meyer verfassten Drehbücher der Comedy-Fernsehserie "Der Tatortreiniger" (NDR) zweimal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, umkreist das Thema mit Lockerheit und Humor. Und in Hinblick auf seine Bedeutung für den Normalbürger. Bei der Uraufführung ihres unterhaltsam-grotesken, im besten Fall zu eigenen Assoziationen anregenden Gesellschaftskaleidoskops am Freitagabend gewann sie ihr Publikum: Minutenlang dauerte der Applaus für die Theatermacherin Jahrgang 1965 und ihre sieben Darsteller - darunter auch "Tatortreiniger" Bjarne Mädel.
Sphärisch-nebelig ist in der Ausstattung Beatrix von Pilgrims die Erde, die von Deckenleuchten wie von Sternen matt erhellt wird. Um ein Bühnenrund wandern unermüdlich Menschen - erst nackt, dann in der Kluft bestimmter Alltagstypen. Alle monologisieren vor sich hin, outen sich in ihrem Weltbild - Zeitgenossen zum Wiedererkennen: Mädel etwa gibt mit Hut und Strickjacke einen Opa mit kriegerischer Grundhaltung. "Leben, das ist immer kämpfen", erklärt er den Zuschauern, "das Gute ist: Könnte schlechter sein."
Selbstzufriedener Partygänger ist Bastian Reiber. Mit roter Kappe und schlaksigen Bewegungen ruft der Akteur aus: "Ich denk' da überhaupt nich' drüber nach. Ob ich von Gott gemacht bin oder von der Evolution oder ob ich Android bin, der von Aliens entworfen wurde." Bis er mit seiner Angst vor dem Tod konfrontiert wird. Einer im Blaumann (Michael Weber) weiß alles über Autos, hat für jedes Problem eine pragmatische Lösung parat. Eine schicke Mutter (Angelika Richter) will ihrem kleinen Kind auf dessen Fragen das Christentum erklären - und verbietet ihm schließlich, mit dem muslimischen Spielkameraden zusammen zu sein. Über derlei Oberflächlichkeiten regt sich ein Esoteriker mit dünnem Zopf auf (Michael Wittenborn). Er meint, "dass das eigene kleine Dasein aufgehoben ist in einem unendlichen Sein."
So weit, so oft lustig. Viel Gelächter begleitet die erste Stunde des Abends. Danach kommt es zu bewusst gesetzten formalen Brüchen im Stück, das Lausund wie gewohnt während der Proben mit ihren Schauspielern geschaffen hat. Dem religiösen Gesang eines Chors (Musik: Remy Savisky) folgt eine Lesung aus heiligen Büchern, die sofort in Streit ausartet. Und dann tritt Juliane Koren als extrem rational über Seele, Tod und Ewigkeit nachdenkende alte Frau auf. Es sind Themen, die am Ende jeden angehen - und ihrem eigenen Ende ist sie näher als die anderen von eben.
Das letzte Wort gebührt bei Lausund dem Esoteriker, der das Buch der Bücher neu zu schreiben gedenkt. Und dabei Güte, Lachen, Leichtigkeit und schon mal "ein großes kühles Glas Bier" empfiehlt. So richtig tiefschürfend ist das alles vielleicht nicht, klingt teils auch nach selbst gemachter Religion. Aber für manchen Zuschauer ist es vielleicht ein Anfang, um überhaupt über einen eigenen Glauben nachzusinnen.