Giftige Stoffe statt Corona-Impfung: Die gefährlichen Tipps der Querdenker-Ärzte

Arzneimittel

Trotz steigender Corona-Zahlen setzen Impfgegner ihre Kampagnen unvermindert fort. In sozialen Netzwerken, Chats und per E-Mail werden gesundheitsgefährdende Falschinformationen in Umlauf gebracht.

Köln

22.12.2020, 13:00 Uhr / Lesedauer: 5 min
Auch unter Ärzten gibt es Corona-Leugner.

Auch unter Ärzten gibt es Corona-Leugner. © picture alliance/dpa

Maske? Unnütz! Impfung? Tödlich! Solche und ähnliche Botschaften kursieren seit Monaten tausendfach in Internetforen, Chatrooms oder werden per Mail verbreitet. Einer der Akteure: ein Arzt aus Rheinland-Pfalz. In einer Rundmail propagiert er fragwürdige Methoden zur Behandlung von Covid-19 – darunter auch das Spritzen von Desinfektionsmitteln. Behörden und Politik sind alarmiert.

Diese E-Mail hatte es in sich: „Wir haben unsere Mütter und Väter gefragt, warum sie nichts gemacht haben, um die Entwicklung in Deutschland in den 30ern zu beeinflussen. Sie antworteten oft, sie hätten es nicht gewusst. Lernen wir daraus und ziehen wir den Kopf aus dem Sand …“ Mit diesen bewegenden Worten beginnt eine Rundmail unter der Überschrift „Corona und die Folgen“, die Ende November an knapp hundert Empfänger gerichtet war und dabei nur eines zum Ziel hatte: die Verbreitung von Desinformationen. Seither wurde die Mail, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, in einer Art Schneeballsystem vielfach geteilt. Absender: ein Arzt aus Rheinland-Pfalz, der darin eine „wissenschaftlich solide Erklärung“ zur „aktuellen Situation“ ankündigt.

Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen gegen Querdenker-Arzt

Was dann folgt, hat mittlerweile die Staatsanwaltschaft Mainz auf den Plan gerufen: Unter dem Aktenzeichen 3300 Js 37627/20 prüft die Behörde derzeit, ob sich der Autor der Mail strafbar gemacht hat, weil er die Empfänger nicht nur in die Irre führt, sondern möglicherweise auch in ernste Gefahr bringt. Doch der Reihe nach:

Unter dem Stichwort „Informationen zur Impfung“ findet sich in besagter E-Mail zunächst ein Link zu einem Artikel auf „2020news.de“. Diese Website erweckt den Eindruck eines „unabhängigen Nachrichtenportals“. Tatsächlich ist „2020news.de“ jedoch Teil einer weit gesponnenen Kampagne der sogenannten Querdenker-Bewegung.

Entsprechend reißerisch klingt auch die Überschrift des aus der Arztmail verlinkten Artikels: „Riesenskandal aufgedeckt: Covid-19-Impfung zerstört unser Immunsystem nachhaltig“ ist dort zu lesen. Scheinbar „wissenschaftlich“ setzt sich der Artikel mit vermeintlichen Gesundheitsgefahren auseinander, die angeblich von den soeben entwickelten Impfstoffen gegen das Corona-Virus ausgehen würden.

Die Impfungen böten keinerlei Schutz vor Corona, sondern würden Infektionen sogar noch verschlimmern. Um diese Behauptung zu untermauern, verweist der Autor des „Skandal“-Artikels auf Untersuchungen, die belegen sollen, dass die geplanten Covid-19-Impfungen „antikörperabhängige Verstärkungen“ – kurz ADE genannt – auslösen würden.

So gehen Demagogen der Impfgegnerbewegung vor

Doch die scheinbar „wissenschaftlich fundierten“ Thesen erweisen sich bei näherem Hinsehen als Fake: „Hier werden Informationen verknüpft, die keinen Bezug zu den aktuellen Covid-Impfstoffen haben. Dadurch werden in der Bevölkerung Ängste geschürt, die unbegründet sind“, stellt der Frankfurter Internist und Infektiologe Professor Christoph Stephan gegenüber dem RND klar. Als Oberarzt in der Infektiologie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt verfügt Stephan über langjährige Erfahrung mit verschiedenen Virenerkrankungen und Behandlungsmethoden.

Aus seiner Sicht werden in dem „Skandal“-Artikel aus „2020news.de“ gezielt Falschinformationen verbreitet: „Bei ADE handelt es sich um eine sehr seltene Ausnahmeerscheinung, die vor Jahren einmal im Zusammenhang mit dem Denguefieber, einer durch Mücken übertragbaren Tropenkrankheit, beschrieben wurde. Es geht dabei jedoch um ein völlig anderes Krankheitsbild und auch einen ganz anderen Impfstoff ohne Bezug zu Corona. Ich halte es für absolut unseriös, hier spekulative Vergleiche zu ziehen.“

Offenbar haben die Akteure der Impfgegnerkampagnen damit jedoch leichtes Spiel: Nach RND-Informationen sind selbst Ärzte und Heilpraktiker auf die geschickt inszenierten Falschinformationen hereingefallen und haben die E-Mail mit dem Link zu dem Artikel über den angeblichen „Riesenskandal“ um die Covid-19-Impfungen ungeprüft weiterverbreitet.

„Viele haben eine falsche Vorstellung vom Corona-Impfstoff“

Dabei kommt den Aktivisten das vielfach vorherrschende Unwissen über die komplexe Welt von Viren und Impfmethoden zugute: „Viele Menschen haben eine völlig falsche Vorstellung von den derzeit gegen Covid-19-Erkrankungen entwickelten Impfstoffen“, sagt Christoph Stephan. „Die Impfstoffe enthalten ja nicht etwa aktive Viren, sondern nur die genetische Bauinformation für einen Coronavirus-Bestandteil – nur der Zacken auf der Außenhülle, der allein keine Covid-19-Erkrankung auslösen könnte. Es geht also lediglich um einen für sich genommen unbedenklichen Baustein der Vireninformation, der dazu dient, unser Immunsystem zur Antikörperbildung anzuregen, mit deren Hilfe die Abwehrzellen das Coronavirus bekämpfen.“

Vor der Zulassung eines jeden Impfstoffs stehen zudem aufwendige Testverfahren mit vielen Tausend Teilnehmern. Für eine angebliche „Verstärkung des Corona-Virus“, vor der Impfgegner in ihren Postings warnen, wurde dabei weder in den umfangreichen Testphasen mit mehr als 30.000 Teilnehmern noch in der laufenden Praxisanwendung ein Beleg gefunden.

Bei den bereits in Großbritannien und Nordamerika angelaufenen Impfungen mit einem vom US-Pharmaunternehmen Pfizer und dem deutschen Entwickler Biontech auf den Markt gebrachten Serum wurden lediglich vereinzelt Fälle von allergischen Reaktionen bekannt. Angesichts der geringen Nebenwirkungen hält auch die europäische Medikamentenbehörde Ema den Wirkstoff für unbedenklich.

Fake News sollen Menschen vom Maskentragen abhalten

Doch nicht nur beim Impfen rufen die Querdenker zum Protest auf und sehen sich dabei gar in der Tradition des antifaschistischen Widerstands im Dritten Reich: Auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zur Vorbeugung von Infektionen lehnen die Aktivisten vehement ab. So auch jener Arzt aus Rheinland-Pfalz, dessen Name dem RND bekannt ist und der in seinem Kettenbrief behauptet: „Eine Ansteckung wird man auch durch Masken nicht verhindern können, da die Viren in Nanogröße jedes Maschennetz durchdringen.“

Nach Ansicht von Experten ist auch diese Behauptung unhaltbar: „Das sind Fake News“, sagt dazu der Göttinger Physiker Eberhard Bodenschatz. Das von ihm mitgeleitete Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation hat umfangreiche Testreihen mit nahezu allen auf dem Markt erhältlichen Maskentypen durchgeführt.

Ergebnis: „Alltagsmasken aus textilen Materialien verfügen über einen fünf- bis siebenfachen Schutz vor Viren. Das heißt, ich kann mich mit einer Alltagsmaske fünf- bis siebenmal länger in einem Raum aufhalten, in dem Viren in der Atemluft enthalten sind, als ohne Mund-Nasen-Schutz – ohne Gefahr zu laufen, mich anzustecken. Bei medizinischen FFP2 und FFP3 Masken ist sogar ein nahezu hundertprozentiger Schutz gegeben, da diese Spezialgewebe durch ihre elektrostatische Aufladung so gut wie keine Virenpartikel durchlassen, sofern die Maske dicht am Gesicht anliegt.“

Covid-„Behandlung“ mit Desinfektionsmittel kann tödlich enden

Doch die Rundmail des Querdenker-Arztes legt nicht nur nahe, gänzlich auf Impfungen oder Masken zum Schutz vor einer Corona-Erkrankung zu verzichten – sie enthält auch Empfehlungen, was zu tun sei, wenn man sich dennoch infiziert. Zitat: „Wenn man sich angesteckt hat und klinische Zeichen, die auf eine beginnende Erkrankung hinweisen, feststellt, kann man folgende Therapien, die in Deutschland nicht zugelassen sind, selbstverantwortlich durchführen.“

Was dann folgt, könnte aus einem Lehrbuch für Giftmischer stammen: Neben der Einnahme von „kolloidalem Silber“ („langsam schluckweise im Mund zergehen lassen“) zählt auch die innere Einnahme einer Chlordioxidlösung und gar die Infusion von Wasserstoffperoxid zu den empfohlenen „Heilmethoden“ des Arztes.

Nach seinen Worten handele es sich bei Chlordioxid um ein „Sauerstoffradikal, was der Körper selber auch herstellt und zur Abwehr von Keimen und Parasiten verwendet“. Wasserstoffperoxid sei in den USA „gerade als Therapie gegen Tumore wiederentdeckt“ worden.

Offen räumt der Querdenker-Arzt angesichts seiner fragwürdigen Empfehlungen ein, „dass sie von der Schulmedizin in Deutschland nicht angewendet werden! Aber man kann selber denken und sich vorsorglich eindecken. Wichtig ist, die Therapie schnell zu beginnen, um Schädigungen der Organe zuvorzukommen. Bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung“.

Facharzt: „Ich war entsetzt“

Tatsächlich handelt es sich bei Chlordioxid und Wasserstoffperoxid um Desinfektionsmittel aus dem Reinigungsbedarf. Gegenüber dem RND stellt Professor Christoph Stephan klar, was von Behandlungen mit diesen chemischen Stoffen zu halten ist: „Ich war entsetzt als ich die E-Mail gelesen habe! Hier geht es um ätzende Stoffe, die zu schweren inneren Verletzungen und Vergiftungserscheinungen führen können. Unter Umständen kann die innere Einnahme oder gar eine Infusion mit solchen Verbindungen sogar tödlich enden.“

Auch Natriumhypochlorit stand auf der Empfehlungsliste des Arztes. Das geht aus einer früheren Mitteilung des Mediziners hervor, die an „liebe Kollegen und Freunde“ gerichtet ist und dem RND ebenfalls vorliegt. Bei Natriumhypochlorit handelt es sich um ein toxisches Bleichmittel, das ebenfalls zu Verätzungen führen kann. Zudem besteht im Umgang mit Natriumhypochlorit eine erhöhte Explosions- und Brandgefahr.

Aus den USA wurden im Frühsommer mehr als ein Dutzend schwere Vergiftungen gemeldet, nachdem auch Ex-Präsident Trump die Einnahme von Desinfektionsmitteln gegen Corona empfohlen hatte, die lediglich für die Reinigung von Oberflächen gedacht sind. Mindestens vier Menschen starben.

„Irreführende Arzneimittelwerbung ist strafbar“

Die rheinland-pfälzische Landesärztekammer hält die Empfehlungen für keinen Einzelfall: „Es gibt diverse Ärzte, die Corona leugnen, verharmlosen oder obskure Behandlungsmethoden empfehlen. Diese sind jenseits aller anerkannten schulmedizinischen Maßnahmen und werden von uns nicht geteilt“, betont Kammer-Sprecherin Ines Engelmohr.

Auch nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sind gefährliche Behandlungstipps dieser Art keine Ausnahme: „Im Zusammenhang mit der Pandemie werden neben seriösen Informationen auch Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und gezielte Desinformationen verbreitet“, so BMG-Sprecher Sebastian Gülde gegenüber dem RND. „Grundsätzlich empfehlen wir bei vermeintlich sensationellen Nachrichten sehr genau auf die Quelle der Information zu achten und diese zu überprüfen“.

Gleiches gelte für angebliche „Heilmitte“ wie Chlordioxid, die „seit Beginn der Pandemie immer wieder genannt“ würden. Zugleich weist das BMG darauf hin, dass Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel strafbar sei: „Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei anderen Menschen anzuwenden“, erklärt Sebastian Gülde. Irreführende oder unlautere Werbung wird nach Mitteilung des BGM mit Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr geahndet.

Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung hat sich auf eine Anfrage zu dem konkreten Fall bislang nicht geäußert.