Es gibt eine krasse Kehrtwende auf dem Gaspreismarkt. Im vergangenen Jahr explodierten die Preise förmlich. Plötzlich war die über Jahrzehnte geltende Regel, dass der Grundversorger-Tarif fast immer der teuerste Tarif und die Tarife anderer Anbieter eigentlich immer preisgünstiger waren, nichts mehr wert.
Monatelang war es am günstigsten, die Grundversorgung des örtlichen Versorgers zu wählen. Andere Anbieter waren teils um ein Vielfaches teurer. Das ist nun vorbei, wie eine Auswertung der Daten aus 74 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen durch unserer Redaktion zeigt.
Für unseren Vergleich haben wir sowohl die zu zahlenden Gaspreise in der Grundversorgung als auch die aktuellen Preise beim günstigsten Alternativanbieter erhoben. Berücksichtigt haben wir unter den Alternativanbietern ausschließlich solche mit einer Preisbindung von mindestens einem Jahr.
Als Muster-Haushalt haben wir unserem Vergleich eine 100-Quadratmeter-Wohnung mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 12.000 Kilowattstunden zugrunde gelegt. Wir haben für unseren Vergleich die Internet-Plattform Verivox genutzt.
Ins Gegenteil verkehrt: Alternativanbieter plötzlich günstiger
Noch Mitte Dezember hatte unser Datenvergleich ergeben, dass in 63 Städten und Gemeinden – das entspricht 85,1 Prozent der stichprobenartig untersuchten 74 Orte – der örtliche Grundversorger den günstigsten Tarif anbot. Nur in 11 Orten (14,9 Prozent) war ein Alternativanbieter günstiger.
Nicht einmal vier Wochen später ist die Lage völlig anders. Die Situation hat sich komplett ins Gegenteil gedreht, wie unsere Auswertung zeigt. Zum Stichtag 9. Januar bietet jetzt ein Alternativanbieter in 61 der untersuchten 74 Orte einen preiswerteren Tarif als der örtliche Grundversorger an. Das sind 82,4 Prozent der Fälle. Nur noch in 13 Orten (17,6 Prozent) ist der Grundversorger der günstigste Anbieter.
Möglich wurde diese radikale Trendumkehr dadurch, dass die günstigsten Alternativanbieter in den 74 untersuchten Kommunen ihre Preise um mindestens 20 Prozent, teils sogar rum mehr als 30 Prozent gegenüber Mitte Dezember gesenkt haben. In der Grundversorgung dagegen sanken die Preise lediglich in 4 Orten, in 49 Städten und Gemeinden blieben sie konstant und in 21 Fällen stiegen sie sogar.
Die Folge: Die Tarife in der Grundversorgung und beim jeweils günstigsten Alternativanbieter klaffen inzwischen teils sehr weit auseinander. Wer jetzt die Tarife in seiner Stadt vergleicht – siehe interaktive Karte – kann daher in vielen Fällen etliche hundert Euro, teils sogar mehr als 1.000 Euro im Jahr sparen.
In Ahaus 1.432, in Dortmund immerhin 659 Euro im Jahr sparen
Das krasseste Beispiel in unserem Vergleich liefert Ahaus im Münsterland. Der Grundversorger-Tarif liegt hier bei 257,98 Euro, der preiswerteste Alternativanbieter bietet die gleiche Leistung für 138,60 Euro an. Das macht im Jahr eine Differenz von 1.432,56 Euro.
Aber auch in anderen Städten ist das Sparpotenzial nicht zu verachten. In Selm, Ascheberg, Olfen, Senden und Nordkirchen liegt es beispielsweise bei 872,16 Euro, in Dortmund bei 659,64 Euro, in Recklinghausen bei 423,72 Euro und in Lünen immer noch bei 232,80 Euro.
Großhandelspreise sind im Sturzflug und das wirkt
Hintergrund der sinkenden Gaspreise ist vor allem die Entwicklung auf dem Großhandelsmarkt. Hier hat es geradezu einen Preissturz gegeben. Lag der Großhandelspreis für eine Megawattstunde Erdgas laut Bundesnetzagentur am 29. August 2022 noch bei 315,86 Euro, so stürzte er bis zum 15. Dezember 2022 auf 135,09 Euro ab und hat sich seither bis heute noch einmal auf 66,44 Euro halbiert. Eine Megawattstunde ist die Strom-Menge, die 10.000 Glühbirnen mit einer Stärke von jeweils 100 Watt in einer Stunde verbrauchen.
Dass Alternativanbieter auf sinkende Großhandels-Preise rascher mit niedrigeren Preisen reagieren als die Grundversorger hängt mit der Einkaufspolitik der Grundversorger zusammen. Sie kaufen – vereinfacht gesagt – in aller Regel Gasmengen in kleineren Margen verteilt über das Jahr ein.
So lassen sich große Preissprünge besser vermeiden, da man mal zu höheren und mal zu niedrigen Preisen einkauft. Im Schnitt gleicht sich das dann über das Jahr gesehen eher an.
Aktuell wirkt sich diese Einkaufspolitik negativ auf die Verbrauchspreise aus, weil die auch zu den Hochpreisphasen eingekauften Gasmengen noch eine ganze Zeit lang nachwirken und den Preis nach oben drücken.
Andererseits hatte diese Einkaufspolitik in den vergangenen Monaten eben auch dazu geführt, dass die Preise der Grundversorger im Schnitt deutlich niedriger lagen als die der Alternativanbieter, weil die niedrigen Preise aus Vor-Krisen-Zeiten noch nachwirkten.
Eine andere Einkaufspolitik der Alternativanbieter
Alternativanbieter verfolgen in der Regel eine andere Einkaufspolitik und kalkulieren ihre aktuellen Preise anhand der bei Vertragsabschluss geltenden Einkaufspreise. Die Folge sind größere Preissprünge nach oben oder unten. Einen nivellierenden Effekt gibt es nicht.
Wer jetzt darüber nachdenkt, seinen Erdgasanbieter zu wechseln, sollte unbedingt eines beachten: Wer zu einem Alternativanbieter wechselt, kann in vielen Fällen Stand heute viel Geld sparen und ist mit einer Vertragslaufzeit von mindestens 12 Monaten auf der sicheren Seite und kann mit diesem Preis kalkulieren, aber: Es ist durchaus möglich, aber eben nicht sicher, dass die Alternativanbieter ihre Preise in den nächsten Wochen noch weiter senken. In diesem Fall würde es sich auszahlen, mit einem Wechsel noch ein wenig zu warten.
Keine feste Laufzeit in der Grundversorgung
In der Grundversorgung gibt es dagegen keine feste Laufzeit. Diese Verträge sind mit einer Frist von lediglich zwei Wochen jederzeit kündbar. Das heißt: Die Preise können fallen, aber eben auch steigen.
Unterm Strich ist die Frage, ob Gas-Kunden jetzt den Anbieter wechseln sollten, eine Frage der ganz persönlichen Risiko-Abwägung.
Gaspreis-Vergleich für 74 Städte: In 43 Orten sind die Preise seit Ende August gesunken
Vergünstigungen für Hausbesitzer: Vier Dinge, die sich 2023 bei Photovoltaikanlagen ändern
Lieferprobleme bei Krebsmedikamenten häufen sich: „Horror wäre Verschlechterung der Prognose“