"Für die Kirche geht es um die eigene Glaubwürdigkeit"
Thema Staatsleistungen
Etwa 480 Millionen Euro zahlen die Bundesländer der evangelischen und der katholischen Kirche jedes Jahr als Ausgleich für Enteignungen im 19. Jahrhundert. Selbst hochrangige Kirchenleute wie der Kölner Dompropst Norbert Feldhoff plädieren hier für neue Lösungen. Einfach wird das allerdings nicht, sagt der Kirchenrechtler Prof. Manfred Baldus im Interview.

Im Kölner Dom
Hat der Kölner Dompropst Norbert Feldhoff aus Ihrer Sicht Recht: Ist es an der Zeit, die Staatsleistungen abzulösen?
Er begründet das ja unter anderem mit der schwindenden Akzeptanz in der Gesellschaft. Dazu muss man feststellen, dass Akzeptanz eigentlich kein Rechtsproblem ist. Die Durchsetzung von Gesetzen und von Urteilen hängt im Rechtsstaat nicht von der gesellschaftlichen Akzeptanz ab. Dennoch kommt bei diesem Thema das Akzeptanzproblem auf, weil hier ein verfassungsrechtlich geschützter Anspruch in Konflikt gerät mit der Glaubwürdigkeit des Begünstigten – in diesem Fall der Kirche.
Das Zweite Vatikanische Konzil rechnete bereits mit einer solchen Konstellation. In der Pastoral-Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ heißt es ausdrücklich, die Kirche werde „auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern“. Ob eine solche Fallkonstellation hier vorliegt, kann im Rechtsstaat nur die betroffene Kirche beurteilen. Wie könnten die vom Dompropst geforderten „neuen, kreativen Vorschläge“ aussehen?
Dazu muss man vorab festhalten, dass eine Ablösung der Staatsleistungen nur durch Vertrag möglich ist – das steht ausdrücklich so in Artikel 21 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Dazu muss man erstmal die Frage klären: Was heißt überhaupt Ablösung? Ablösung heißt – das ist unter Staatskirchenrechtlern relativ unstrittig – Aufhebung einer Leistung gegen Entschädigung. Trefflich streiten kann man natürlich über die Frage, ob voller Wertersatz gemeint ist oder nur eine „angemessene Entschädigung“.
Es geht bei den Staatsleistungen ja darum, dass der Kirche ein Ausgleich dafür geboten wird, dass sie nicht im Stande ist, ihren eigenen Bedarf aus eigenen Mitteln zu decken. Diese Situation ergab sich durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und die Säkularisation. Bevor man überhaupt über juristische Lösungsmodelle - oder wie es der Dompropst formuliert: „neue, kreative Vorschläge“ - nachdenkt, muss man aus meiner Sicht erst einmal klären, was überhaupt Gegenstand der Verhandlungen sein soll.
Wo liegt denn dabei das Problem?
Die sogenannten Staatsleistungen bieten ein höchst unterschiedliches Erscheinungsbild. Neben konkordats- beziehungsweise kirchenvertraglichen Leistungen - zum Beispiel Dotationen für persönlichen und sachlichen Aufwand der Diözesen - gibt es etwa Personalkostenzuschüsse und Verpflichtungen aus staatlicher Vermögensübernahme nach der Säkularisation von Klostergut, unter anderem als Baulast an Kirchengebäuden und Pfarrhäusern. Außerdem gibt es auch negative Staatsleistungen, also etwa Befreiungen von öffentlichen Gebühren und Abgaben. Sehr hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Offenlegung der Vermögensverhältnisse der Diözesen als mittelbare Folge des Falles rund um den früheren Limburger Bischof Tebartz van-Elst. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, um zu einer Konkretisierung der einzelnen Staatsleistungen zu kommen und eine Ablösung einzuleiten.
Am aussichtsreichsten scheint mir dabei die sorgfältige Eingrenzung der Verhandlungen auf bestimmte Staatsleistungen eines einzelnen Bundeslandes, weil die Leistungen in den verschiedenen Bundesländern höchst unterschiedlich ausfallen. Deshalb macht es auch keinen Sinn auf Bundesebene über die Ablösung von Staatsleistungen nachzudenken. Das kann eigentlich nur auf Länderebene passieren. Wäre denn eine Ratenzahlung der Länder möglich, also ein „Abstottern“ über einen jährlich zu zahlenden Betrag?
Zur Art und Weise der Ablösung gibt es keinerlei rechtliche Vorgaben. Das einzige, was sicher nicht in Betracht kommt, ist eine neue ewige Rente. Das würde dem Motiv der Ablösung widersprechen. Was man zum Beispiel machen kann: bestimmte Zuwendungen zusammenfassen. Das ist in Hessen etwa bereits passiert. Oder man kann die Staatsleistungen über eine abschließende Leistung erledigen. Das kann über eine Einmalzahlung geschehen, es kommen aber auch Ratenzahlungen oder längerfristige Zahlungsziele in Betracht.
Bislang gab es wenig Echo auf Feldhoffs Vorstoß: Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass sich bei dem Thema - trotz der dauerhaften finanziellen Belastung für die Bundesländer – gerade von Seiten der Politik bisher so wenig tut?
Das hat sicher damit zu tun, dass einiges dafür spricht, dass auf die Länder erhebliche Belastungen zukämen. Umso wichtiger wäre die Klärung der Frage, welche Staatsleistungen abgelöst werden könnten. Ich bin mir sicher, dass man eine Lösung für eine pauschale Ablösung aller Staatsleistungen nicht finden wird – dazu ist das Feld zu weit. Man sollte sich stattdessen zum Beispiel auf die Dotationen, die Baulasten oder die Personalkosten konzentrieren.
Beim Thema Staatsleistungen habe ich den Eindruck: Beide Kirchen wären bereit für Verhandlungen.
Man kann getrost sagen: Das waren sie eigentlich immer. In den Haushalten der beiden Kirchen spielen die Staatsleistungen keine tragende Rolle. Für die Kirche geht es bei dem Thema im Wesentlichen um die eigene Glaubwürdigkeit. Für den Staat ist es nicht zuletzt eine Frage der Höhe der Forderungen. Das Problem für die Politik ist: Sie muss ungefähr wissen, was da auf sie zukommt. Erst wenn man das grob abschätzen kann, weiß man, auf welchen Vergleich man zusteuern könnte.
Hängt die Zurückhaltung der Politik vielleicht auch damit zusammen, dass man bei diesem Thema innerhalb von ein oder zwei Legislaturperioden schwerlich etwas erreicht, das man vorzeigen kann?
Es hat sicher damit zu tun, dass Politik dazu neigt, auf eher kurzfristige Ergebnisse zu setzen. Und die sind bei diesem wirklich komplizierten Thema sehr fraglich.