Fünf Gründe, warum die Ausstellung "Digitale Demenz" im U ein Muss ist
Hartware-Medienkunstverein
Der Titel wird der Ausstellung nicht gerecht: "Digitale Demenz" klingt eher kopflastig, schwierig und nach Krankheit. Zu sehen gibt es im Hartware-Medienkunstverein aber Lustiges, Skurriles, Erstaunliches und extrem coole Künstler-Ideen. Dieser Artikel ist der Beweis: Wir nennen fünf Gründe, warum man da unbedingt hinmuss.
Freitag Abend ist die Eröffnung, ab Samstag ist die Schau von Thibaut de Ruyter im Hartware-Medienkunstverein (HMKV) bis 6. März im U-Turm zu sehen.
Wir nennen beispielhaft drei Werke und zwei weitere Vorzüge, die beweisen: Diese Ausstellung ist viel zu cool, um nicht hinzugehen.
1. Ein lebendiges Kim-Kardashian-Double für zuhause
Das Projekt „Zufalls-Darknet-Shopper“ der Künstlergruppe Bitnik: Die Künstler programmierten einen Computer für eine Ausstellung so, dass der Rechner sich selbstständig ins Darknet einwählte (ein versteckter Online-Markt für legale und illegale Waren).
Dort wählte er jede Woche eine Ware aus, kaufte sie und ließ sie ins Museum in die Ausstellung liefern, wo sie ausgestellt wurde – alles automatisch. Er kaufte Schuhe, ein paar Schlüssel, eine Dose Sprite – und schließlich zwei Pillen der Droge Ecstasy.
Das entdeckte ein Besucher und beschwerte sich – und während des folgenden Prozesses musste der Richter entscheiden, wer die Schuld an der illegalen Kauf-Aktion tragen soll: Der Kurator? Das Museum? Die Künstler? Oder der Rechner?
Der Richter entschied: Das ist eine Kunstaktion, niemand ist schuld. Das Ecstasy wurde vernichtet, der Rechner konfisziert – und damit als einziger eingesperrt.
Dieser Verlauf war für die Künstler ein Glücksfall, genau diese Diskussion wollten sie provozieren. Allerdings hatten sie dem Computer bewusst nur ein kleines Budget gegeben. Hätte er mehr Geld gehabt, wären noch viel fragwürdigere oder belastendere Käufe möglich gewesen: Kurator de Ruyter erzählt, im Darknet seien zum Beispiel Doubles der amerikanischen Prominenten Kim Kardashian zu kaufen. Das seien Russinnen, die sich so operieren ließen, dass sie dem amerikanischen Vorbild aufs Haar gleichen. Und die könne man dann - zu einem extrem hohen Preis - kaufen, sich nach Hause liefern lassen und für immer behalten.
Das Werk ist als dokumentarische Installation in der Schau zu sehen.
2. Chris Markes Chat-Programm "Dialector 6"
1985 kaufte der Künstler Chris Marker den supermodernen „Apple II“-Computer für rund 20.000 Dollar. Marker brachte sich das Programmieren bei und entwickelte innerhalb von drei Jahren das Programm „Dialector 6“. Ausgedruckt passt das gesamte Programm auf 32 DINA4-Seiten – aus heutiger Sicht lächerlich wenig.
Das Programm erlaubt eine Art Dialog mit dem Computer. Man gibt seinen Namen ein und beantwortet zwei, drei kurze Fragen, danach beginnt das Gespräch: Man schreibt eine Zeile, dann antwortet der Computer mit Sätzen, die manchmal zufällig wirken, manchmal aber auch witzig oder poetisch sein können. Und wenn man merkt, wie sich die alte Maschine abmüht, um ihre Antworten zu generieren, ist das fast rührend.
In der Ausstellung kann man das Programm nach Lust und Laune ausprobieren.
3. Julien Prévieuxs "Das wilde Schachbrett"
1996 gewann der IBM-Computer Deep Blue zum ersten Mal in der Geschichte gegen einen Menschen, den Schachweltmeister Garri Kasparow. Doch nicht durch sein überlegenes Programm, erzählt Kurator Thibaut de Ruyter: Kasparow wusste, dass er wahrscheinlich verlieren würde.
Also bluffte er. Das konnte der Rechner trotz seiner Milliarden Schachdaten nicht deuten – und verrechnete sich. Das wiederum verwirrte Kasparow – und er verlor. So gewann der Computer zwar, aber nicht durch seine Rechenkraft, sondern durch einen Fehler. Oder, anders gesagt, durch die Unvereinbarkeit von Mensch und Maschine. Der Künstler Julien Prévieux stellte die entscheidenden Züge aus diesem Spiel mit schwarzen und weißen Steinchen auf einem ausgetrockneten Flussbett nach und fotografierte sie – höchst minimalistisch, höchst poetisch.
4. Filme, Filme, Filme und ein Online-Katalog
Die Installationen sind nur die eine Hälfte der Schau: In der Film-Lounge sind zwei Serien zu sehen – „Black Mirror“ und „Real Humans“ – und fünf Filme, darunter das knapp 60-minütige Video „The Girl Who Never Was“ von Erik Bünger.
Außerdem gibt es einen Katalog, aber keinen gedruckten: Kurator Thiabut de Ruyter bat den Künstler Brendan Howell, stattdessen eine Website zu programmieren. Die scheitert auch sehr schön: Links stehen dort die erklärenden Texte zur Schau, rechts ein Text, den ein Programm errechnet: Mit den Wörtern und dem Satzbau des linken Textes, nur halt leider sinnlos. Bis auf die Momente, wo dort zufällig etwas überraschend Sinnvolles entsteht.
5. Der Eintritt: Einmal zahlen, immer wiederkommen
Wer zum ersten Mal die Schau besucht, erhält ein Gummi-Armband. Das Armband ab diesem Zeitpunkt gilt als Eintrittskarte, die bis zum Ende der Schau im März gilt. "So ist die Ausstellung ja auch gedacht", sagt HMKV-Chefin Dr. Inke Arns: Man solle mehrmals kommen, zum Beispiel um sich einmal in Ruhe eine Serie von vorn bis hinten anzusehen und ein anderes Mal die Exponate begutachten.