Frikadelle mit Kakao: Wie Wüst und Kutschaty Wahlkampf machen
Landtagswahl NRW
Im Parlament werden die Reden gehalten, in Fernsehdebatten der Gegner attackiert. Wer aber erleben will, wie sich Hendrik Wüst und Thomas Kutschaty abstrampeln, muss sie auf der Straße begleiten.
Essen und Wahlkampf, das hängt oft untrennbar zusammen. Wer in die höchsten Ämter der Republik will, kommt meist nicht drumherum, vor Publikum mal volksnah eine Bratwurst zu verspeisen, was stets auch ein heikler Moment sein kann. Denn mit Würde in heißen Schweinedarm zu beißen, das ist gar nicht einfach - ganz zu schweigen von den Soßen.
Hendrik Wüst aber scheint relativ angstfrei zu sein, als er im weißen Oberhemd und mit beiger Jacke am Wagen einer Schlachterei auf einem Kölner Wochenmarkt steht. Er fragt proaktiv: „Kann ich eine Frikadelle mit Senf haben?“ Es ist noch recht früh am Morgen, für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Wahlkämpfer ist es aber bereits das zweite Frühstück.

Hendrik Wüst, Spitzenkandidat der CDU zur Landtagwahl, kauft auf dem Markt auf dem Neptunplatz in Köln Ehrenfeld ein Gebäck. © picture alliance/dpa
Am ganz frühen Morgen hat er ein Radio-Interview gegeben und dort schon erzählt, dass er an „keinem Bratwurststand vorbei“ komme. Das Thema Wurstwaren zieht sich irgendwie durch. Wüst verweist - während er nun den senfbeschmierten Fleischklops mit Brötchen hält - auf biografische Hintergründe: „Meine Mutter war Fleischerin.“
Biografien, Bilder, vielleicht sogar Plaudereien - auch das wird eine größere oder kleinere Rolle spielen, wenn Nordrhein-Westfalen am Sonntag (15. Mai) einen neuen Landtag wählt. Parteien treten mit Programmen an - es ist aber auch das Duell zweier Männer, die die nächste Landesregierung als Ministerpräsident anführen wollen.
Auf der einen Seite: Amtsinhaber Hendrik Wüst, 46 Jahre alt, CDU. Auf der anderen: Herausforderer Thomas Kutschaty, 53 Jahre alt, SPD. Wer wissen will, wie sich die beiden abstrampeln und welches Bild sie von sich zeigen, der sollte sie in der Urform des Wahlkampfs beobachten. Auf der Straße.
Fototermine außerhalb der Staatskanzlei
Wüst ist an diesem Tag, es ist ein Freitag, gekommen, um zusammen mit Nathanael Liminski Wahlkampf zu machen. Die beiden kennen sich gut. Liminski ist Chef der NRW-Staatskanzlei. Als Kandidat tritt er nun im Wahlkreis Köln III an, der - vorsichtig ausgedrückt - kein Selbstläufer für die CDU ist.
Der Wochenmarkt im Stadtteil Ehrenfeld, Multikulti-Viertel und Heimat von Günter Wallraff, wird von den beiden Männern geradezu durchkämmt - ein Stand nach dem anderen ist dran. Ein Wahlkampfteam reicht Blumentöpfchen zum Verschenken.
„Mein Name ist Wüst. Ich bin Ministerpräsident in diesem Land“, stellt sich der Regierungschef auf der kurzen Tour vor. Bedenkt man, dass sein Gesicht und sein Name auf Wahlplakaten überall im Land gedruckt sind, könnte man das als Understatement lesen. Vielleicht ist es auch einfach Höflichkeit. Feststeht, dass Wüst eher nicht auf die Leute lospoltert. Als er drei Kinder vor dem Bäckerstand erblickt, fragt er die Frau, die offenbar zu dem Trio gehört: „Alle drei aus einer Gang?“
Eines der bekanntesten Bilder von Wüst zeigt ihn am Tag seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober. Auf dem Foto schiebt er einen Kinderwagen zum Landtag. Auch in den vergangenen Wahlkampf-Wochen sind diverse Aufnahmen entstanden, die ihn außerhalb der Staatskanzlei zeigen: Wüst mit einer Giraffe im Zoo, Wüst vor einer Poolnudel bei einem Schwimmkurs, Wüst auf einem Panzer.
In Köln bleibt er vor einem Stand stehen, an dem prächtige Erdbeeren angeboten werden. Die Kameras klicken. „Könne‘ mer mal eine lecker‘ Erdbeere probieren?“, fragt die Verkäuferin im Dialekt zu Wüst, wobei es mehr eine Aufforderung als eine Frage ist. „Ich nehme so eine reife hier, ja?“, sagt Wüst. Urteil: „Die leckersten Erdbeeren!“
Dass in diesem Wahlkampf aber auch noch etwas Weg zu gehen ist, wird klar, als Wüst schon fast zum nächsten Termin weiter muss. Zusammen mit CDU-Helfern macht er noch ein Foto, auf ihren Pullovern ist sein Gesicht und „Team Wüst“ aufgedruckt. Ein Paar steht nebenan am Fischstand. Der Mann schaut verwundert rüber, während der CDU-Trupp posiert. „Sind das alle Prominente?“, fragt er.
Wahlkampf ist auch ein Kampf um Aufmerksamkeit
Ortswechsel. In der Fußgängerzone von Leverkusen-Opladen lässt sich Thomas Kutschaty einen Packen Wahlkampf-Flyer von einem Helfer aushändigen und sagt, er wolle nun arbeiten: „Ich bin hier ja nicht aus touristischen Gründen gekommen.“
Auch den SPD-Landeschef und Oppositionsführer zieht es in Richtung Wochenmarkt. Auf dem Weg klopft er bei einem Wahlkampfstand der FDP freundlich auf den Tisch. Wer weiß, wofür es noch gut sein kann.
Kutschaty ist in NRW kein No-Name-Politiker, früher war er Justizminister. Im Vergleich zu Wüst hat er aktuell aber den Nachteil, dass er kein Regierungsamt inne hat und deshalb nicht so oft auf natürliche Weise in die Hauptnachrichtensendungen rutscht. Der Wahlkampf ist für ihn also auch ein Kampf um Aufmerksamkeit.

Thomas Kutschaty, Spitzenkandidat der SPD zur Landtagwahl in Nordrhein-Westfalen verteilt auf einem Markt in Leverkusen- Opladen Werbematerial. © picture alliance/dpa
Dennoch nähert auch er sich der Wählerschaft, der man beim Anblick eines mittelgroßen SPD-Trosses eine gewisse Verschrecktheit nicht verübeln würde, höflich und zurückhaltend. „Schönen guten Tag die Damen, darf ich mal eben Hallo sagen? Ich bin Thomas Kutschaty, der Kandidat der SPD“, sagt er zu zwei Frauen mit Rollator, die vor einem Stand für „Käse mit Geschmack“ stehen. „Ich seh‘ Sie auch immer im Fernsehen!“, sagt eine von ihnen. Das kann man als Erfolg werten.
An einem Gewürzstand indes ist der Verkäufer zunächst irritiert, als ihm Kutschaty Wahlkampf-Material überreichen will. „Ich wähle hier in Leverkusen nicht“, versichert er. Kutschaty fragt: „Wo wählen Sie denn?“ Antwort: In Solingen. „Da bin ich doch auch zu wählen, ich bin ja der Spitzenkandidat“, sagt Kutschaty. Der Verkäufer entgegnet verdattert: „Für komplett diese Region hier?“
Irgendwo hinter dem Kandidaten beobachtet auch Ulrich Jonas die Tour, der - wie er sagt - seit 55 Jahren in der SPD ist. Er habe eben mit Kutschaty gesprochen und bemerkt, dass er im Fernsehen etwas größer wirke als so Auge in Auge, erzählt er. „Er ist eigentlich ein bisschen von einer zierlichen Gestalt“, sagt Jonas. „Das ist ja kein Nachteil, im Gegenteil!“, schiebt er nach.
Er habe einst auch schon mit Helmut Schmidt derartige Rundgänge gemacht. „Der war ja auch von kleiner Gestalt - war aber ein sehr Großer. Einer der besten Kanzler, den wir eigentlich in der Bundesrepublik hatten.“
Kutschaty: An Schulen mehr für Ausbildung werben
Auch in Leverkusen-Opladen gibt es Metzgerstände. Einer wird von Barbara Hilgemeier betrieben, die dringend Verstärkung sucht - der Verkauf laufe gut, aber er könne mit mehr Personal noch besser laufen. „Wir wursten selber“, erläutert sie, als Kutschaty vor ihr steht. Aber überall fehle es an Nachwuchs-Kräften. Sie ist ratlos: „In welche Berufe gehen die überall?“, fragt sie.
Während im Hintergrund gekochtes Eisbein für 5,40 Euro angeboten wird, ist Kutschaty nun bei der Sachpolitik: Man müsse an den Schulen mehr für Ausbildung werben.
Ein paar Stunden später steht er in Köln und hat eine kleine Pause. Kutschaty bestellt ein Stück Apfelkuchen und fragt, ob man Kakao kriegen könne. Man kann. „Ich habe als Kind Kakao getrunken und trinke das auch immer noch gerne“, sagt er. Zu Hause habe er eine „etwas dunklere“ Mischung, die sei etwas kräftiger.
Wenn man bei dem Thema Essensgewohnheiten ist: Wie steht es um die Wurst? Er sei Vegetarier, sagt Kutschaty. Er habe sich politisch einst intensiv mit dem familiären Schweinemastbetrieb der Ex-Agrarministerin Christina Schulze Föcking (CDU) beschäftigt. Schon vorher habe er wenig Fleisch gegessen - da sei dann aber „endgültig Schluss“ gewesen. Missionieren wolle er gleichwohl niemanden, schiebt er nach. „Ich brat‘ auch notfalls das Schnitzel noch für die Familie in der Pfanne.“
dpa