Freiburg dreht denkwürdiges Schnee-Spiel in Köln
Fußball: Bundesliga
Fassungslosigkeit, Schockstarre, Wut: Nach einer denkwürdigen 3:4-Niederlage gegen den SC Freiburg scheint der Abstieg des 1. FC Köln zwei Spieltage vor der Winterpause fast schon besiegelt zu sein. Selbst eine 3:0-Führung gegen den bis dahin Vorletzten aus dem Breisgau reichte dem Schlusslicht der Fußball-Bundesliga am 15. Spieltag nicht zum ersten Saisonsieg. Der Glaube an ein Wunder ist auf den Nullpunkt gesunken.

Niederlage in der Nachspielzeit: Kölns Lukas Klünter, hier im Duell mit Freiburgs Torwart Alexander Schwolow, kassierten gegen Freiburg eine extrem bittere Pleite. © dpa
„Ich habe keine Worte mehr. Das ist die Krönung. Schlimmer geht es nicht mehr“, sagte der fassungslose Abwehrspieler Dominique Heintz. Sein Kollege Jannes Horn sagte: „Unfassbar, was da heute passiert ist. In der Kabine hat niemand ein Wort gesprochen.“ Derweil ließen draußen die Fans ihrem Frust freien Lauf und forderten noch lange nach dem Schlusspfiff lautstark „Vorstand raus“.
Offener Brief an die Fans
Präsident Werner Spinner und seine Stellvertreter Toni Schumacher und Markus Ritterbach wandten sich anschließend in einem Offenen Brief an die Fans. Dabei gestanden sie eigene Fehler ein, stellten aber zugleich auch den geschiedenen Jörg Schmadtke (Sport-Geschäftsführer) und Peter Stöger (Trainer) kein gutes Zeugnis aus.
Trotz eigener Fehler schloss das Vorstands-Trio einen eigenen Rücktritt indes aus. Am Montag tritt in Sportchef Armin Veh der neue Hoffnungsträger sein Amt beim FC an, den sechsten Abstieg zu vermeiden, wird bei zwölf Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz aber eine Mammutaufgabe.
Wo ist der Elfmeterpunkt
Dabei schien das völlig verrückte Spiel mit unzähligen Kuriositäten und Slapstick-Einlagen prädestiniert dafür, die Wende für den FC einzuleiten. Der FC nutzte dies zu Treffern des überraschend im Sturm aufgebotenen Rechtsverteidigers Lukas Klünter (8.) und Sehrou Guirassy (16., Foulelfmeter).
Vor dem Strafstoß zum 2:0 fand Schiedsrichter Robert Kampka den Elfmeterpunkt nicht unter dem Schnee - er schritt wie bei einem Jugendspiel elf Meter ab. Freiburg, das zudem den verletzungsbedingten Ausfall von Philipp Lienhardt beklagt, erkämpfte sich mit großer Moral den ersten Auswärtssieg der Saison. Nils Petersen (39./90. Foulelfmeter/90.+5/Handelfmeter) und Jannik Haberer (65.) waren für die Breisgauer, die ein Wahnsinns-Finish zeigten, erfolgreich. Nach dem Spiel liefen die Freiburger jubelnd zur Gästekurve, viele Kölner Fans riefen „Vorstand raus!“
Begonnenen hatte die Partie wegen der Witterungsbedingungen mit einer halben Stunde Verspätung. Kurz vor dem Anpfiff musste der Rasen mit großen Schippen und Saugern vom Schnee befreit werden. Die Rasenheizung lief auf Hochtouren. Der immer weiter fallende Neuschnee machte die Präparation des Rasens, der erst unter der Woche neu verlegt worden war, aber schwierig. Auch einzelne Zuschauer-Bereiche mussten erst bereitet werden. Gespielt werden konnte letztlich, mit orange-blauem Ball und auf roten Linien.
Stöger noch in Köln
Ebenfalls kurios: Auf den ersten Aufstellungszetteln, die der FC vor dem Spiel verteilte, war aus alter Gewohnheit noch der in der Vorwoche entlassene Peter Stöger als Kölner Trainer aufgeführt. Wenige Minuten zuvor war der Österreicher als neuer Coach beim Liga-Rivalen Borussia Dortmund vorgestellt worden. Sein Nachfolger Ruthenbeck und Edelfan Lukas Podolski auf der Tribüne durften bereits nach sieben Minuten jubeln: Milos Jojic bediente Klünter, der mit dem schwächeren linken Fuß den Ball ins Tor schoss. Es war erst der dritte Treffer für den FC im siebten Heimspiel der Saison - dem schnell zwei weitere folgten.
Die Freiburger hatten mit den Witterungs- und Platzbedingungen heftige Probleme und zudem eine Menge Pech: Nach weniger als 20 Minuten musste Lienhardt verletzt vom Platz, dem eingewechselten Caleb unterlief nach zwölf Minuten das vermeintlich vorentscheidende Eigentor. Auch Kapitän Julian Schuster, der durch sein 180. Bundesliga-Spiel für den SCF mit Richard Golz auf Platz zwei der ewigen Freiburger Rangliste vorrückte, musste früh Stürmer Tim Kleindienst weichen (18.).
Zwei Elfmetertore on Petersen
Petersens sehenswertes Anschlusstor ließ den Gästen Hoffnung für die 2. Halbzeit. Kurz vor der Pause hatte der Schneefall aufgehört, der zweite Durchgang konnte somit unter etwas reguläreren Bedingungen ablaufen. Köln verlegte sich nun auf die Sicherung der Führung und musste darum spätestens nach Haberers Treffer richtig zittern. Petersen drehte mit zwei Elfmetertoren die Partie dann komplett.
„Alle haben gedacht, das Derby Dortmund gegen Schalke (Anmerkung: 4:4 nach 4:-Führung für den BVB) wäre legendär. Aber das war auch nicht schlecht“, sagte Matchwinner Petersen: „Keiner hat mehr einen Pfifferling auf uns gesetzt. Auch wir nicht. Aber dann haben wir eine Leck-mich-am-Arsch-Mentalität reingeworfen.“
Streich: "Nicht mehr viel Kraft"
Trainer Christian Streich wirkte dagegen nicht so, als habe sein Team soeben einen denkwürdigen Sieg errungen. „Es ist ja auch kurz nach dem Spiel und vor einer Stunde haben wir noch 0:3 in Köln zurückgelegen“, erklärte er seinen Missmut bei „Eurosport“. Später sagte er: „Ich habe nicht mehr viel Kraft, mich zu freuen. Aber ich bewundere, welche Frustrations-Toleranz die Spieler haben. Offenbar eine höhere als ich.“
Von dpa