Forschung an Corona-Impfstoffen: “So schnell ist es noch nie gegangen”

Coronavirus

Professor Marylyn Addo vom Uniklinikum Eppendorf arbeitet an der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs. Im Interview erklärt sie, wie und wann mit einem Impfstoff zu rechnen ist.

Hamburg

von Thorsten Fuchs

, 16.05.2020, 14:15 Uhr / Lesedauer: 5 min
Professor Marylyn Addo ist Oberärztin und Leitern der Sektion Infektiologie am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg.

Professor Marylyn Addo ist Oberärztin und Leitern der Sektion Infektiologie am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. © Ulrich Perrey/dpa-POOL/dpa

Frau Addo, in dieser Woche hat der Gründer des Labors Euroimmun, Winfried Stöcker, erklärt, er habe sich einen selbst entwickelten Impfstoff gespritzt und auch Antikörper entwickelt. Eine riskante Einzelaktion – oder hat das auch einen wissenschaftlichen Wert?

Ich habe seinen Fall verfolgt, aber es ist natürlich historisch nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler an sich selbst Experimente vornehmen, da gibt es eine lange Geschichte. Zunächst mal ist das eine individuelle Entscheidung.

Käme das für Sie selbst in Frage?

Bei dem Ebola-Impfstoff, den wir entwickelt haben, hätte ich tatsächlich gern an der Prüfung auch selbst teilgenommen, und mein Labor auch, aber da gibt es klare Empfehlungen. Wir haben in Deutschland für die klinische Prüfung von Medikamenten ein Gesetz, und aus ethischen Gründen und um Objektivität der Datenerhebung zu wahren, sollen die Leitung der Klinischen Prüfung, die die Studie durchführt, und von ihr oder dem Studiensponsor abhängige Personen sich selbst nicht die Substanzen spritzen.

In anderen Ländern, zum Beispiel in Afrika, kann das anders sein, da entscheiden Prüfer oft als Vorbildfunktion, als Erste geimpft zu werden sein. Aber hier ist das nicht empfohlen.

“Jetzt beginnt die richtige Herstellung”

Kommt man durch solche Selbstversuche einem Impfstoff näher?

Nein, was wir brauchen sind keine Einzelfallanekdoten, sondern systematische klinische Studien, und die brauchen wir schnell, denn aus diesen Individualversuchen kann man ja wenig ablesen, und man sollte niemanden dazu ermutigen.

Unsere Regularien in Deutschland haben gerade im Impfstoffbereich den Sinn, dass man sichere Präparate herstellt, dass die Qualitätskontrollen da sind. Das dient dem Schutz der Bevölkerung und auch der Maximierung des Erkenntnisgewinns.

Sie arbeiten selbst mit anderen Wissenschaftlern unter dem Dach des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung an der Entwicklung eines Impfstoffs. Wie weit sind Sie?

Die Finanzierung der klinischen Erprobung ist gesichert, der Impfstoff ist auch schon hergestellt. Man muss ihn ja bauen, wie einen Legobaukasten. Das ist erfolgreich gewesen, da haben wir auch schon wunderschöne Bilder gesehen. Der Impfstoff ist schon in Mäusen verimpft worden, die auch schon Immunantworten gezeigt haben.

Jetzt beginnt die richtige Herstellung, beim Hersteller. Der Impfstoff ist ja in einem Universitätslabor entwickelt worden, und jetzt wird er so aufbereitet und weiterentwickelt, dass die Studien mit dieser Medikation durchgeführt werden können.

“Bei uns am UKE steht schon alles bereit”

Das heißt, Sie warten jetzt auf den Hersteller?

Das ist wie bei einem Staffellauf. Die Herstellung ist jetzt tatsächlich der nächste zeitbestimmende Faktor. Die Phase jetzt heißt Great Manufacturing Practice, GMP, Herstellung. Da muss zum Beispiel geprüft werden, wie hoch eine mögliche Verunreinigung ist, dass die Titer, der Gehalt also, stimmen, dass der Impfstoff stabil ist, solche Dinge.

Mit den Behörden haben wir schon erste Gespräche geführt, so dass die Zulassung dann relativ zügig gehen kann, also in einer Woche bis 14 Tagen. Dann kann die klinische Prüfung, wenn alles gut geht, im September beginnen.

In Deutschland hat die Firma BioNtech schon mit der klinischen Prüfung begonnen, CureVac aus Tübingen will im Juni folgen.

Genau, das sind synthetische Impfstoffe, für die kein Virus replizieren muss. Für die viralen Vektor-Impfstoffe, wie wir sie nutzen, muss man große Zellkulturen anlegen, das dauert in der Herstellung einfach ein bisschen länger.

Aber bei uns am UKE steht schon alles bereit. Wir werden den ersten Teil parallel durchführen zu der Studie, die wir beim Impfstoff gegen das MERS-Coronavirus durchgeführt haben, mit dem wir jetzt in der zweiten Phase der klinischen Prüfung sind. So kann man das wirklich Schritt für Schritt vergleichen, das spart viel Zeit und dient uns hier als Blaupause

“Die Bereitschaft, an Studien teilzunehmen, ist sehr hoch”

Wer stellt den Impfstoff her?

Unser Industriepartner sind die Industriewerke Dessau, IDT. Die haben sich auch schon an der Herstellung des Ebola-Impfstoffs beteiligt und sind spezialisiert auf virale Vektor-Impfstoffe. Wir hatten über CEPI …

… die von der Gates-Stiftung gegründete Allianz aus Regierungen, Forschungsorganisationen und der WHO …

… für die Impfung gegen MERS eine Förderung bekommen, mit genau den Partnern, mit denen wir vom UKE auch jetzt zusammenarbeiten: der LMU in München, der Uni Marburg und IDT als Hersteller.

Was können Sie konkret dieser Tage tun?

Wir haben zum Beispiel begonnen, eine Probanden-Datenbank anzulegen. Angesichts der jetzigen Situation ist die Bereitschaft schon jetzt sehr hoch, an Covid-19-Impfstoff-Studien teilzunehmen. Das haben wir bei Ebola auch gesehen, da hatten wir fast das Zehnfache an Kandidaten für die eigentlichen Impfstudienplätze.

Dazu müssen wir gefühlte 500 Seiten vorbereiten, Patienteninformationen, Studienprotokolle, das ist also auch ein aufwendiger regulatorischer und bürokratischer Prozess.

“Ich spüre schon den Druck”

Sie haben in den vergangenen Wochen viel Erfahrung mit der Behandlung von Covid-19-Patienten gesammelt. Inwiefern profitieren Sie bei der Impfstoff-Entwicklung davon?

Das ist in der Tat ein wichtiger Unterschied zu MERS und SARS: Wir können jetzt Blutproben von Covid-19-Patienten untersuchen, damit wir vergleichen können. Wie verläuft es bei Patienten, die eine akute Infektion ausheilen? Wir separieren Blut und messen Antikörper, so dass wir, wenn der Impfstoff da ist, sagen können:

Der Impfstoff bewirkt zum Beispiel im Körper A, die Infektion macht aber B, und wir müssen schauen, was es braucht, damit sich das Virus nicht vermehren kann. Wir sitzen also auch jetzt nicht untätig da und warten, bis die Glasbehälter mit dem Impfstoff ankommen. Wir wollen viele Menschen impfen, möglichst schnell, und da sind viele Vorarbeiten zu leisten.

Wie belasten Sie der Druck und die enorme Erwartungshaltung?

Es ist mir nicht neu, bei Ebola war es ganz ähnlich. Aber ich bin angetreten für die Professur, Emerging Infections, neu auftretende Infektionskrankheiten. Insofern ist es zwar nicht ganz Tagesgeschäft, aber Teil meines Berufs. Ich spüre schon den Druck, aber da muss man dann eben immer auch transparent kommunizieren:

Schneller geht es nicht. Alle wollen ein sicheres Produkt, und da müssen wir aushalten, dass es eine gewisse Zeit braucht. Man muss auch immer wieder sagen: So schnell ist es noch nie gegangen. Ich weiß, es fühlt sich an, als hätte der Impfstoff schon vor drei Monaten da sein müssen. Aber insgesamt bin ich mehr getragen von der Begeisterung darüber, wie schnell es gehen kann, wenn viele zusammenarbeiten.

“Wir werden wahrscheinlich mehrere Impfstoffe brauchen”

Wie wichtig ist es, der oder die Erste zu sein, also das Rennen um Impfstoff zu gewinnen?

Es ist nicht so entscheidend. Am Ende werden wir wahrscheinlich auch nicht einen Impfstoff haben, wir werden wahrscheinlich mehrere brauchen. Die Impfstoffe, die aktiv replizieren, wird man nicht bei Immunsupprimierten einsetzen können, also bei Patienten, deren Immunabwehr herabgesetzt ist. Da braucht man Tot-Impfstoffe, Impfstoffe also, die sich nicht mehr ausbreiten können.

Vielleicht braucht es für ältere Patienten wiederum andere als für den immungesunden 30-Jährigen. Die ersten Resultate wird man da frühestens in der zweiten Jahreshälfte haben. Die ersten Kandidaten könnten wohl auch schon 2021 zur Verfügung stehen.

Der Leiter des Paul-Ehrlich-Institut deutete jetzt an, dass es schon Ende dieses Jahres soweit sein könnte.

Das ist schwer zu sagen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es dann auch ähnlich wie bei Medikamenten geht, dass es also bei den ersten Kandidaten auch schon eine Notfall-Zulassung gibt. Das ist dann nichts, was man in jeder Apotheke kaufen kann.

Aber wenn eines dieser Impfstoff-Konstrukte eine Wirksamkeit zeigt und sicher ist – und das muss gar nicht so sein wie bei einem Masern-Impfstoff, der mit 97 oder 98 Prozent wirksam ist - und sei es nur ein Teilschutz: Sobald man so etwas hätte, würde es der Bevölkerung sicher sehr schnell zur Verfügung stehen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

“Man muss schauen, dass die Entwicklungsländer nicht abgehängt werden”

Diskutieren Sie mit Ihren Kollegen darüber, wer Ihren Impfstoff bekommen wird? Sanofi, der größte europäische Hersteller, hat gerade mit der Drohung gespielt, er wolle allein die USA beliefern.

Die Debatte wird geführt, auch mit Behörden, Stakeholdern, und es sind ja auch sehr viele internationale Organisationen dabei. Man muss sicher schauen, dass es nicht wie in anderen Fällen früher läuft, dass also die Entwicklungsländer abgehängt werden und die Industrieländer sich die Impfstoffe sichern. Da sind wir Forscher eingebunden, aber wir sind nicht die Entscheidungsträger, und da ist jetzt auch noch keine Entscheidung getroffen.

Wie sollte die Verteilung aus Ihrer Sicht idealerweise laufen?

Meine Wahrnehmung ist, dass die internationalen Organisationen, die bei uns ja wichtige Stakeholder sind, darauf drängen, dass die Impfstoffe zu vernünftigen Preisen verfügbar sind, damit sich nicht gewisse Länder einen Stock anlegen und den nicht teilen. Die Frage stellt sich ja nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Ländern.

Es wird ein stufenweises Verfahren geben müssen, weil wir nicht auf einen Schlag für alle Impfstoffe haben werden. Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel Risikogruppen und Health Care-Personal zu den ersten Gruppen gehören werden, die geimpft werden – und dann muss man danach weiter gucken.

RND